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45. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), 19. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), 52. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC)

11.09. - 13.09.2014, München

Wie viel Patientenautonomie kann die Plastische Chirurgie heutzutage tolerieren?

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Evangelos Sarantopoulos - Kiel, Deutschland; Athen, Griechenland

Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen. Österreichische Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. 45. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), 19. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), 52. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPRÄC). München, 11.-13.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. Doc296

doi: 10.3205/14dgpraec225, urn:nbn:de:0183-14dgpraec2253

Veröffentlicht: 3. September 2014

© 2014 Sarantopoulos.
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Gliederung

Text

Einleitung: Stellen Sie sich die folgende hypothetische Situation dar: ein 85-jähriger Patient wird in ein Traumazentrum nach einem Verkehrsunfall eingeliefert. Die Verletzung des 85-jährigen Patienten ist nicht lebensbedrohlich. Aber er hat ein großer Defekt im Bereich des Knies, der zur Deckung einen freien Lappen benötigt (z.B. einen freien M. latissimus dorsi-Lappen). Der Patient war bis zum Unfalltag aktiver Sportler (Jogging) und hat nur arterielle Hypertonie als Begleiterkrankung. Die diagnostische Abklärung seiner Verletzung (inkl. Angiographie und gefäßchirurgische konsiliarische Vorstellung) ergibt eine für die Durchführung eines freien Lappens suboptimale arterielle Versorgung, die gefäßchirurgisch nicht verbessert werden kann. Dem Patienten werden ausführlich alle Optionen dargestellt (inkl. Amputation), er kann sein Leben nur mit zwei Beine vorstellen und persistiert auf die Durchführung eines freien Lappens – trotz potentiellen Risiken.

Diskussion: Die Falldarstellung ist hypothetisch, aber versucht die zunehmende Signifikanz der Patientenautonomie sowie der Selbstbestimmung zu thematisieren. Der Blick der Medizinethik war traditionellerweise weitgehend auf dasjenige beschränkt, was Ärzte zum Wohle ihrer Patienten tun oder nicht tun sollten. Vom Eid des Hippokrates an bis zu zeitgenössischen Abhandlungen der 60er Jahre war Medizinethik im wesentlichen Fürsorgeethik, meist von Ärzten geschrieben. Seither jedoch sind Handlungen und Entscheidungen weiterer Personen in das Blickfeld der Medizinethik genommen worden. Zu diesen können etwa Pflegekräfte, Forscher, Angehörige, Kostenträger oder gesellschaftliche Gruppen gehören.

Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist eines der klassischen Themen der Medizinethik, bei dem es zunächst weniger um spezifische Verbote oder Verpflichtungen eines Arztes in brisanten Einzelfragen geht als um grundlegende Weichenstellungen – bezüglich der Paternalismusfrage, der Reichweite ärztlicher Fürsorgepflicht und der moralischen Ermessensspielräume von Ärzten. Angesichts der großen Bedeutung, welche die moderne Medizin im Leben vieler Menschen hat oder haben kann, steht hinter dem Verständnis der Arzt- und Patientenrolle auch ein wichtiges Stück gesellschaftlichen Selbstverständnisses.

In der modernen Diskussion dieses Themas werden oft drei – vermeintlich komplementäre und auf unterschiedliche Situationen bezogene – Modelle des Arzt-Patienten-Verhältnisses unterschieden: das hippokratische, das Vertrags- und das Partnerschaftsmodell. Im erstgenannten übernimmt der Arzt die Verantwortung und den Entscheidungsprimat im Dienst des Patientenwohls; im zweiten erwartet der Patient vom Arzt nicht mehr und nicht weniger als kompetente fachliche Dienstleistungen; im dritten schließlich rückt der Arzt wieder näher an den Patienten heran, indem er als beratender Experte eine Mitverantwortung für möglichst angemessene Patientenentscheidungen trägt. Unbestreitbar sind das so beschriebene hippokratische Modell in einer akuten Notfallsituation und das Vertragsmodell bei einer umschriebenen High-Tech-Zusatzuntersuchung angebracht; umstritten hingegen ist die Wahl des angemessenen Modells bei eingreifenden medizinischen Entscheidungen für einen urteilsfähigen Patienten.

Da es in einer medizinischen Beratung nicht allein um die Beseitigung körperlicher Störungen, sondern um den Vorschlag möglicher, gegebenenfalls alternativer Formen der Therapie geht, kann der Patient, insofern er eine einsichtige Zustimmung (informed consent) leisten muss, nicht von vornherein im Sinne der medizinischen Objektivierung auf einen „Vorschriftenempfänger“ und ,,-vollzieher" reduziert werden, von dem lediglich eine pünktliche (evtl. zusätzlich einsichtige) Therapietreue (compliance) erwartet wird bzw. dem eine solche durch entsprechende weitergehende psychologische Maßnahmen antrainiert wird.

Die Situation der Beratung unterscheidet sich nämlich zumindest in einem wesentlichen Punkt von der der medizinischen Behandlung: Hier kann nicht von vornherein die Akzeptation der Hilfeleistung als notwendig unterstellt werden, sondern die Annahme der Therapie soll durch die Beratung ja gerade „bewirkt“ werden.

Im Gegensatz zu den anderen Modellen der Interaktion zwischen Arzt und Patient sieht das Ideal mündiger Interaktion zweier Individuen eine Symmetrie beider Handlungspartner hinsichtlich der Entscheidungskompetenz und der moralischen Verantwortung vor. Das bedeutet: es gibt zwei grundsätzlich gleichberechtigte Partner. Sowohl dem Arzt als auch dem Patienten fallen eine spezifische Kompetenz und Verantwortung zu. Dennoch erstreckt sich die jeweilige Kompetenz und Verantwortung des Arztes bzw. des Patienten auf unterschiedliche Bereiche.

Zusammenfassung: Der Patient ist nicht nur ein Gesprächspartner oder ein nicht funktionierender Körper, sondern ein hilfsbedürftiger Mensch. Er erwartet eine sachkundige Beratung in Bezug auf seiner Krankheit, damit er die passende operative Therapie für sich selbst zusammen mit dem behandelnden Arzt wählen kann. Der respektvolle Umgang mit dem Patienten setzt die sachkundige Beratung als „Anwendung“ wissenschaftlichen Wissens voraus. Die moderne Medizinethik betrachtet den Patienten nicht nur als eine hilfsbedürftige Person sondern als einen mündigen gebildeten Gesprächspartner, der sich beraten und gemäß den eigenen Bedürfnissen helfen ließ. Die intersubjektive praktische Beratung als Interaktionsmodell zwischen Patient und Plastischer Chirurg könnte somit zu einer Verbesserung der Zufriedenheit des Patienten nach einer Therapiewahl führen. Ist allerdings die plastische chirurgische Gesellschaft heutzutage bereit eine solche Patientenautonomie – gelegentlich auch auf Kosten des plastischen chirurgischen Erfolgs – zu akzeptieren?

Literatur:

Dichgans, J.: Zur Aufklärung von Kranken und Sterbenden

Engelhardt, T. Jr.: Bioethics and Secular Humanism, Kap. 5

Kamlah W: Philosophische Anthropologie. Sprachkritische Grundlegung und Ethik. Mannheim/Wien/Zürich 1973 (2. Aufl. 1984)

Wolff, H. P.: Arzt und Patient; etwas anders Emanuel, E. J./ Steiner, L. L.: Four Models of the Physician-Patient Relationship