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Bildgebende Untersuchungen der Lippen bei Blechbläsern
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Veröffentlicht: | 20. August 2024 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Die Tonentstehung an Mundlippen und Stimmlippen erfolgt nach vergleichbaren anatomischen und physiologischen Prinzipien. Es liegt daher nahe, die für Stimmlippen gängigen bildgebenden Untersuchungsmethoden (Stroboskopie, Kymografie, Sonografie) in technisch abgewandelter Form auch auf die Mundlippen anzuwenden.
Material und Methoden: Die stroboskopischen und kymografischen Schwingungsanalysen erfolgen mittels angebohrter Mundstücke und einer in das Bohrloch eingeschraubten 70°-Lupenoptik. Die schwingenden Mundlippen werden hinsichtlich Amplituden- und Frequenzvariationen, Suffizienz des Lippenschlusses und Phasensynchronizität (Vergleich Ober- mit Unterlippe) beurteilt. Die Lippensonografie erfolgt mit einem Linearschallkopf, dessen Frequenz zwischen 4 und 19 MHz variabel ist. Beim sitzenden Patient werden Ober- und Unterlippe separat transversal sowie kombiniert sagittal im B-Mode geschallt.
Ergebnisse: Sowohl mittels Stroboskopie als auch mittels Kymografie lassen sich Öffnungs-, Schließungs-, Offen- und Verschlussphase der Lippen unterscheiden. Zusätzlich lassen sich kymografisch Einschwing-, Vollschwing- und Ausschwingphasen differenzieren. Die Kymografie hat gegenüber der Stroboskopie den Vorteil, dass jede einzelne Lippenschwingung entlang einer zuvor festgelegten Linie (engl. high-speed line scanning) hinsichtlich ihrer Amplitude vermessen werden kann. Stroboskopiekameras sind deutlich kostengünstiger als Kymografiekameras. Ein weiterer Nachteil der Kymografie sind die im Vergleich zur Stroboskopie anfallenden großen Datenmengen. Sonografisch kann der M. orbicularis oris bei Ent- und Anspannung (d.h. funktionell) untersucht werden. Die morphologische Intaktheit der Lippenmuskulatur (Ruptur? Narbe?) kann sonografisch gut eingeschätzt werden.
Diskussion: Die drei o.g. nicht-invasiven bildgebenden Verfahren sind relevant zur Beurteilung der Arbeits- und Berufs(un)fähigkeit professioneller Blechbläser (z.B. bei Reha-Maßnahmen und Gerichtsverfahren). Sowohl eine „Druckschädigung der Nerven“ als auch eine Fokale Dystonie/Ansatzdystonie kann im Bereich der Mundlippen bei Blechbläsern als Berufskrankheit anerkannt werden. Weiterhin liefern Stroboskopie, Kymografie und Sonografie der Mundlippen wichtige objektive Beurteilungskriterien bei der Differenzialdiagnose zwischen Ansatzdystonie und Ruptur des Lippenmuskels (sog. Satchmo-Syndrom).
Fazit: Die routinemäßige Anwendung dieser bildgebenden Ansatzuntersuchungen wird daher für Blechbläser in Musikermedizinischen Sprechstunden empfohlen.
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Hintergrund
Die Tonentstehung an Mundlippen und Stimmlippen erfolgt nach vergleichbaren anatomischen (muskuläre Unterlage mit darauf schwingender Schleimhaut/body-cover-Modell) und physiologischen (Bernoulli’sches Strömungsgesetz) Prinzipien. Es liegt daher nahe, die für Stimmlippen gängigen bildgebenden Untersuchungsmethoden (Stroboskopie, Kymografie, Sonografie) in technisch abgewandelter Form auch auf die Mundlippen anzuwenden. So erlangt man objektive, videodokumentierte Aussagen zu Funktion und Morphologie der Mundlippen.
Material und Methoden
Die stroboskopischen und kymografischen Schwingungsanalysen erfolgen mittels angebohrter Mundstücke und einer in das Bohrloch eingeschraubten 70°-Lupenoptik [1], [2]. So lassen sich Bewegungsartefakte der schwingenden Mundlippen während des Spielens auf dem Blasinstrument vermeiden. Die schwingenden Mundlippen werden hinsichtlich Amplituden- und Frequenzvariationen, Suffizienz des Lippenschlusses und Phasensynchronizität (Vergleich Ober- mit Unterlippe) beurteilt.
Die Lippensonografie erfolgt mit einem Linearschallkopf, dessen Frequenz zwischen 4 und 19 MHz variabel ist. Beim sitzenden Patient werden Ober- und Unterlippe separat transversal sowie kombiniert sagittal im B-Mode geschallt [3], [4].
Ergebnisse
Sowohl mittels Stroboskopie als auch mittels Kymografie lassen sich Öffnungs-, Schließungs-, Offen- und Verschlussphase der Lippen unterscheiden. Zusätzlich lassen sich kymografisch Einschwing-, Vollschwing- und Ausschwingphasen differenzieren [1], [2].
Die Kymografie hat gegenüber der Stroboskopie den Vorteil, dass jede einzelne Lippenschwingung entlang einer zuvor festgelegten Linie (engl. high-speed line scanning) hinsichtlich ihrer Amplitude vermessen werden kann. Mit steigender Frequenz der Mundlippenschwingungen werden deren Amplituden zunehmend kleiner und umgekehrt. Stroboskopien eignen sicher eher zu einer deskriptiven Darstellung der Schwingungszyklen. Stroboskopiekameras sind deutlich kostengünstiger als Kymografiekameras. Ein weiterer Nachteil der Kymografie sind die im Vergleich zur Stroboskopie anfallenden großen Datenmengen.
Sonografisch kann der M. orbicularis oris bei Ent- und Anspannung (d.h. funktionell) untersucht werden. Er besteht aus zwei separaten Einheiten, der entwicklungsgeschichtlich älteren Pars marginalis (Sphinkter, wichtig für die Nahrungsaufnahme) und der entwicklungsgeschichtlich jüngeren Pars peripheralis mit einstrahlenden Gesichtsmuskeln (wichtig für Artikulation, Mimik, Gestik und Ästhetik). Die morphologische Intaktheit der Lippenmuskulatur (Ruptur? Narbe?) kann sonografisch gut eingeschätzt werden [3], [4].
Diskussion
Die drei o.g. nicht-invasiven bildgebenden Verfahren sind relevant zur Beurteilung der Arbeits- und Berufs(un)fähigkeit professioneller Blechbläser (z.B. bei Rehabilitationsmaßnahmen und Gerichtsverfahren). Die Fokale Dystonie/Ansatzdystonie kann im Bereich der Mundlippen bei Blechbläsern als Berufskrankheit anerkannt werden [5], [6]. Weiterhin liefern Stroboskopie, Kymografie und Sonografie der Mundlippen wichtige objektive Beurteilungskriterien bei der Differenzialdiagnose zwischen Ansatzdystonie und Ruptur des Lippenmuskels (sog. Satchmo-Syndrom).
Fazit
Die routinemäßige Anwendung dieser bildgebenden Ansatzuntersuchungen mit Videodokumentation wird daher für Blechbläser in Musikermedizinischen Sprechstunden empfohlen.
Literatur
- 1.
- Mauersberger R. Lippenschwingungen und Stimmgebung bei Blechbläsern [Inauguraldissertation]. Düsseldorf: Med. Fakultät der Heinrich-Heine-Universität;2016.
- 2.
- Haubrich R, Angerstein W. Stroboscopic and kymographic examinations of lip vibrations in brass musicians. Chapter 6.6. In: am Zenhoff-Dinnessen A, Wiskirska-Woznica B, Neumann K, Nawka T, editors. European Manual of Medicine: Phoniatrics 1. Berlin: Springer; 2020. p. 387-96.
- 3.
- Lefarth F. Sonographische Untersuchungen der Mundlippen [Inauguraldissertation], Düsseldorf: Med. Fakultät der Heinrich-Heine-Universität; 2019.
- 4.
- Lefarth F, Prescher A, Angerstein W. Vergleichende sonographische und histomorphologische Untersuchung der Lippen. HNO. 2014;62(12):879-85. DOI: 10.1007/s00106-014-2918-1
- 5.
- Rozanski VE, Rehfuess E, Bötzel K, Nowak D. Aufgabenspezifische Dystonie bei professionellen Musikern - Ein systematisches Review zur Bedeutung des intensiven Musizierens als Risikofaktor. Dtsch Arztebl Int. 2015;112(51-52):871-77. DOI: 10.3238/arztebl.2015.0871
- 6.
- Angerstein W, Brusis T. Aus der Gutachtenpraxis: Die Ansatzdystonie bei Bläsern - eine Berufskrankheit (BK 2115). Laryngo-Rhino-Otologie. 2020;99(07):480-2. DOI: 10.1055/a-1123-3702