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Klassifikation von Hörkurven mittels phänotypisch-probabilistischem Ansatz – eine Analyse von 18.343 Ohren aus dem Deutschen Zentralregister für kindliche Hörstörungen (DZH)
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Veröffentlicht: | 20. August 2024 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Im Deutschen Zentralregister für kindliche Hörstörungen (DZH) wurden in den Jahren 1994–2021 deutschlandweit Hörkurven durch Tonaudiometrie und frequenzspezifischer BERA von Kindern bis einschließlich dem 18. Lebensjahr erfasst.
Eine detaillierte Auswertung der Charakteristik der Hörkurven ist von hoher klinischer Relevanz hinsichtlich einer optimalen Versorgung und einer möglichen verbesserten Anpassung von Hörhilfen. Ziel dieser Arbeit ist es, Methoden zur Klassifikation der Hörverlustkurven zu erproben:
- 1.
- die Berücksichtigung von Standardhörkurven, wie sie im klinischen Alltag benannt werden, durch Form- und Varianzanalyse (top-down);
- 2.
- datengetriebenes Clustering (bottom-up).
Material und Methoden: Analysiert wurden Hörkurven für die jeweils Werte auf den Frequenzpunkten 0.5, 1.0, 2.0 und 4.0 kHz vorlagen (n=17202 Ohren).
In einem ersten Schritt (top-down) erfolgte eine Definition von 5 Standardhörkurven (Pantonal,Cookie, Berg, Hochton-Schrägabfall und Tiefton-Schrägabfall). Um die Hörkurven einem dieserStandardhörkurven zuzuordnen, wurde eine Kombination zweier Metriken zur Bewertung herangezogen:
- 1.
- Formähnlichkeit, aus der Fréchet-Distanz in Verbindung mit einer Prokrustes-Analyse;
- 2.
- Minimum der Varianz der Kurven durch das Bestimmtheitsmaß R2.
In einem zweiten Schritt wurden die Hörkurven einem datengetriebenen Clustering zugeführt (bottom-up). Dabei wurden Gaussian-Mixture-Models (GMM) und hierarchisches Clustering (HC) zur Clustersuche genutzt.
Ergebnisse: Mittels der Form- und Varianzanalyse wurden nPantonal=5,997, nCookie=3,676, nBerg=1,355, nHochton-Schrägabfall=5,089 und nTiefton-Schrägabfall=1,085 Ohren den fünf Standardhörkurven zugeordnet.
Im datengetriebenen Clustering sind sowohl für GMM als auch HC im Mittel Cluster dem Tiefton-Schrägabfall, verschiedenen Ausprägungen von Hochton-Schrägabfall, Pantonal und Cookie zuzuordnen. Bei beiden Cluster-Methoden wurde keine Standardhörkurve „Berg“ identifiziert.
Diskussion: Die Zuweisung durch Form- und Varianzanalyse zu definierten Standardhörkurven kann inkorrekt sein. Datengetriebene Clustering-Algorithmen ermöglichen eine ad hoc-Identifikation von Hörkurventypen ohne Vordefinition von Standardhörkurven.
Fazit: Datengetriebenes Clustering ermöglicht eine plausible Vorgruppierung großer Datenmengen ohne den klinischen Erfahrungsschatz außer Acht zu lassen. Es ist einem reinen top-down-Verfahren vorzuziehen.
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Hintergrund
Im Deutschen Zentralregister für kindliche Hörstörungen (DZH) wurden in den Jahren 1994–2024 deutschlandweit Hörkurven durch Tonaudiometrie und frequenzspezifischer BERA von Kindern erfasst. Eine detaillierte Beschreibung der Hörkurven ist von hoher klinischer Relevanz hinsichtlich einer optimalen Versorgung. Ziel dieser Arbeit ist es, Methoden zur Klassifikation der Hörkurven zu erproben:
- 1.
- die Berücksichtigung von Standardhörkurven, wie sie im klinischen Alltag benannt werden, durch Form- und Varianzanalyse (top-down);
- 2.
- datengetriebenes Clustering (bottom-up).
Material und Methoden
Analysiert wurden Hörkurven für die jeweils Werte auf den Frequenzpunkten 0.5, 1.0, 2.0 und 4.0 kHz vorlagen (n=18343 Ohren). Es wurden fünf Standardhörkurven definiert (Pantonal, Cookie, Berg, Hochton-Schrägabfall und Tiefton-Schrägabfall, Abbildung 1 [Abb. 1], [1]). Um die Hörkurven einer dieser Standardhörkurven zuzuordnen (top-down), wurde eine Kombination zweier Metriken zur Bewertung herangezogen:
- 1.
- Formähnlichkeit, aus der Fréchet-Distanz in Verbindung mit einer Prokrustes-Analyse;
- 2.
- Minimum der Varianz der Hörkurven bzgl. der Standardhörkurven durch das Bestimmtheitsmaß R2.
Außerdem wurden die Hörkurven einem datengetriebenen Clustering zugeführt (bottom-up). Dabei wurden Gaussian-Mixture-Models (GMM) und hierarchisches Clustering (HC) zur Clustersuche genutzt.
Ergebnisse
Mittels der Form- und Varianzanalyse wurden nPantonal=6425, nCookie-Bite=3905, nBerg=1468, nHochton-Schrägabfall=5339 und nTiefton-Schrägabfall=1206 Ohren den fünf Standardhörkurven zugeordnet (Abbildung 1 [Abb. 1]). Allerdings wurde auch ersichtlich, dass nur die Form der Hörkurve, nicht jedoch die frequenzabhängige Höhe des Hörverlusts abgebildet werden konnte. Weiterhin ist, aufgrund der erzwungenen Zuordnung zu den Standardhörkurven, ein hoher Interquartilsabstand (Höhe der Boxen in Abbildung 1 [Abb. 1]) ersichtlich.
Im datengetriebenes Clustering zeigten sich sowohl für GMM (Abbildung 2 [Abb. 2]) als auch HC (nicht gezeigt) Cluster mit verschiedenen Ausprägungen von Tiefton-Schrägabfall, Hochton-Schrägabfall, Pantonal und wannenförmiger Mitteltonsenke (“Cookie-Bite”). Bei beiden Cluster-Methoden wurde kein Cluster ähnlich einem kombinierten Hoch- und Tieftonabfall (“Berg”) identifiziert was möglicherweise auf die geringe Häufigkeit dieser Fälle zurückzuführen ist. Im Vergleich zu Abbildung 1 [Abb. 1] zeigen die einzelnen Cluster in Abbildung 2 [Abb. 2] einen deutlich verringerten Interquartilsabstand und damit eine höhere Genauigkeit der individuellen Zuordnung.
Diskussion
Die Zuweisung durch Form- und Varianzanalyse zu vordefinierten Standardhörkurven kann inkorrekt sein. Datengetriebene Clustering-Algorithmen ermöglichen eine ad hoc-Identifikation von Hörkurventypen ohne Vordefinition von Standardhörkurven.