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Mindeststandards für die Rehabilitation und Nachsorge nach Cochlea-Implantat-Versorgung bei Kindern und Erwachsenen – ein Konsenspapier
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Veröffentlicht: | 20. August 2024 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Nach Cochlea-Implantat (CI)-Versorgung ist eine Rehabilitation und lebenslange Nachsorge medizinisch indiziert. Die Standards der Durchführung variieren in Deutschland stark.
Die Arbeitsgemeinschaft Cochlea Implantat Rehabilitation (ACIR e.V.) hat daher ein Konsenspapier zu Mindeststandards für die Rehabilitation und Nachsorge nach CI-Versorgung für Kinder und Erwachsene erstellt. Mitglieder der ACIR e.V. sind 20 CI-Rehabilitations-Centren, die dort durch ihre therapeutische Leitung vertreten sind (https://www.acir.de/).
Material und Methoden: Nach Sichtung aktueller Leitlinien wurde das Manuskript mit Empfehlungen zu Minimalstandards der Rehabilitation und Nachsorge nach CI-Versorgung erstellt. In einem nominalen Gruppenprozess erfolgten Diskussion, Konsensfindung und Konsentierung der Empfehlungen am 19.04.2024 in Präsenz von 17 der insgesamt 20 Mitglied-Centren der ACIR e.V. Das entspricht einer Teilnahmerate von 85% am Konsensprozess.
Ergebnisse: Die Empfehlungen wurden mit einer Zustimmung von 100% konsentiert (starker Konsens). Sie umfassen u.a. Notwendigkeit und Ziele der postoperativen CI-Rehabilitation und lebenslangen Nachsorge, Aspekte der Berechtigung zur Durchführung und Qualitätssicherung, sowie Mindeststandards zu Personal und Ausstattung der CI-Rehabilitations-Centren.
Diskussion: Erstmals liegt in Deutschland ein Konsenspapier vor, das zur Sicherung von Mindeststandards der Rehabilitation und Nachsorge nach CI-Versorgung dienen kann. Die von den therapeutischen Leitungen erstellten Empfehlungen führender CI-Rehabilitations-Centren in Deutschland ergänzen die bereits geltenden Leitlinien und Regelwerke (WHO 2021, Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. 2020, Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. 2021, Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. 2020).
Fazit: Patienten mit hochgradiger Hörstörung aller Altersstufen sind nach CI-Versorgung auf Mindeststandards in der Rehabilitation und der lebenslangen Nachsorge angewiesen. Das vorliegende Konsenspapier definiert und stärkt diesen Anspruch.
Text
Hintergrund
Hörschädigungen haben, wenn sie nicht früh erkannt und adäquat behandelt werden, über die gesamte Lebensspanne und in den verschiedenen Lebensphasen weitreichende Konsequenzen auf Sprachentwicklung, Kommunikation, psychosoziales Wohlbefinden, Lebensqualität, Bildungschancen sowie ökonomische Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Darauf weist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem World Report on Hearing hin [1]. Erfolgt eine Cochlea Implantat (CI)-Versorgung, ist für Patienten aller Altersstufen im Anschluss eine Rehabilitation (Reha) und lebenslange Nachsorge medizinisch indiziert. Die Standards der Durchführung variieren in Deutschland stark. Die Arbeitsgemeinschaft Cochlear Implantat Rehabilitation (ACIR e.V.) hat daher ein Konsenspapier zu Mindeststandards für die Reha und Nachsorge nach CI-Versorgung für Kinder und Erwachsene erstellt.
Die ACIR e.V. wurde 1996 in Hannover gegründet (https://www.acir.de/). Mitglieder sind die therapeutischen Leiter:innen führender CI-Centren für Kinder und Erwachsene aus Deutschland mit Sitz (alphabetisch) in Berlin, Dresden, Düsseldorf, Essen, Erfurt, Erlangen, Freiburg, Friedberg, Güstrow, Halberstadt, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Köln, Leipzig, Münster, Schleswig, Straubing, Tübingen und Würzburg (https://www.acir.de/unser-profil/zentren/).
Methode
Nach Sichtung aktueller Leitlinien wurden Empfehlungen zu Mindeststandards der Reha und lebenslangen Nachsorge nach CI-Versorgung erstellt. In einem nominalen Gruppenprozess erfolgten Diskussion, Konsensfindung und Konsentierung am 19.04.2024 in Präsenz von 17 der insgesamt 20 Mitglied-Centren der ACIR e.V. Das entspricht einer Teilnahmerate von 85% am Konsensprozess. Die drei verbleibenden Centren wurden im Anschluss schriftlich per Mail um Abstimmung der konsentierten Fassung gebeten. Die Empfehlungen wurden mit einer Zustimmung von 100% konsentiert (starker Konsens).
Ergebnisse
Die ACIR e.V. postuliert, dass eine postoperative Reha, also Basis- und Folgetherapie [2], [3], [4], sowie die lebenslange Nachsorge nach CI-Versorgung bei Kindern und Erwachsenen integraler Bestandteil der CI-Versorgung [2] und somit unverzichtbar sind. Dabei sollen folgende Mindeststandards eingehalten werden:
- 1.
- Die postoperative Reha als auch die lebenslange Nachsorge erfolgen stets in einem multiprofessionellen Team entweder in der CI-versorgenden Einrichtung mit angeschlossenen und klinikinternen Strukturen der postoperativen Reha, oder in CI-Reha-Centren, die spezialisiert sind und in Kooperation mit CI-versorgenden Einrichtungen auf Grundlage des aktuellen Weißbuches arbeiten [3]. Beide Versorgungsformen werden im Folgenden CI-Centren genannt. Die CI-Reha ist gekennzeichnet durch eine unabdingbare und unmittelbare Synergie von Medizin, Pädagogik, Therapie, Audiologie und Selbsthilfe.
- 2.
- Die Reha nach der CI-Versorgung ist eine Leistung, die in der Regel von den Krankenversicherungen finanziert wird und den CI-Versorgten unabhängig vom Alter nach der Implantation zusteht und ermöglicht werden muss. Ein wichtiger Aspekt ist die Qualitätssicherung in den CI-Centren, die oft eine Zertifizierung miteinschließt. Die personelle und räumliche Ausstattung eines CI-Centrums entspricht den Vorgaben des aktuellen Weißbuches [3] sowie der aktuell gültigen S2k-Leitlinie Cochlea-Implantat-Versorgung [2].
- 3.
- Ziele der postoperativen Reha sind die vollumfängliche Nutzung des/der Implantat-Systeme im Rahmen des individuellen Entwicklungspotenzials der CI-Versorgten, eine erfolgreiche Kommunikationsfähigkeit, soziale Teilhabe am Leben sowie eine gesteigerte Lebensqualität [2], [4]. Bei CI-versorgten Kindern ist es darüber hinaus ein wesentliches Ziel, „das Hören als integralen Bestandteil ihres Lebens zu verankern, ihre kommunikativen und sprachlichen Fähigkeiten zu entwickeln und ständig, über Jahre, zu verbessern und so weit wie möglich denen normalhörender Kinder anzunähern“ ([2], S. 43).
- 4.
- Die Therapie findet auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstandes sowie der aktuell gültigen Leitlinien statt [2], [3], [5], [6]. Die CI-Centren arbeiten individuell ressourcenorientiert auf Basis der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) [7] beziehungsweise ICF-CY bei Kindern und Jugendlichen [8] der WHO. Die Inhalte der postoperativen Reha werden fortlaufend an die individuellen Bedürfnisse der CI-Versorgten sowie dessen Familie und/oder Angehörige angepasst.
- 5.
- Im Anschluss an die postoperative Reha benötigen CI-Versorgte lebenslang eine kompetente Nachsorge. Sie dient der regelmäßigen Überprüfung der CI-Systeme zur Sicherung des Hörerfolgs und der sozialen Teilhabe.
Diskussion
Erstmals liegt in Deutschland ein Konsenspapier vor, das zur Sicherung von Mindeststandards der Reha und Nachsorge nach CI-Versorgung dienen kann. Die von den therapeutischen Leitungen erstellten Empfehlungen führender CI-Centren in Deutschland ergänzen die bereits geltenden Leitlinien und Regelwerke [1], [2], [3], [4].
Die ACIR e.V. postuliert außerdem, dass nur durch eine enge Zusammenarbeit aller an der CI-Versorgung beteiligten Fachbereiche eine hohe Qualitätssicherung der postoperativen Rehabilitation sowie auch der Langzeitnachsorge zu gewährleisten ist.
Fazit
Patienten mit hochgradiger Hörstörung aller Altersstufen sind nach CI-Versorgung auf Mindeststandards in der Reha und der lebenslangen Nachsorge angewiesen. Das vorliegende Konsenspapier definiert und stärkt diesen Anspruch.
Literatur
- 1.
- World Health Organization. World Report on Hearing. 2021.
- 2.
- Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. S2k-Leitlinie Cochlea-Implantat-Versorgung: Cochlea-Implantat Versorgung einschließlich zentral-auditorischer Implantate. AWMF-Register-Nr. 017/071. AWMF; 2020.
- 3.
- Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. Weißbuch Cochlea-Implantat(CI)-Versorgung. 2. Aufl. Bonn; 2021.
- 4.
- Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. Begutachtungsanleitung Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes nach §282 SGB V - Apparative Versorgung bei Schwerhörigkeit. 2020.
- 5.
- Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), et al. Therapie von Sprachentwicklungsstörungen – Interdisziplinäre S3-Leitlinie. AWMF-Registernr. 049-015. Version 1. AWMF; 2022. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/049-015
- 6.
- Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. S2-Leitlinie Periphere Hörstörungen im Kindesalter. AWMF-Registernr. 049-010. Version 1.1. 2013. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/049-010
- 7.
- World Health Organization. Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Inhaltlich unveränderter Nachdruck. Bonn: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte; 2021.
- 8.
- World Health Organization. ICF-CY: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. 4. Auflage. Bern: Hogrefe; 2020.