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Eine logopädisch-phoniatrische Sprechstunde zur Prähabilitation von Dysphagien bei Kopf-Hals-Tumoren
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Veröffentlicht: | 20. August 2024 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Dysphagien sind eine häufige Folge der Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren (KHT) und haben einen starken negativen Einfluss auf die Lebensqualität. Sie können nach Tumorresektion oder Radio(chemo)therapie (R(C)T) auftreten. Internationale Studien zeigen Effekte einer proaktiven Dysphagietherapie auf, doch im deutschsprachigen Raum fehlt bis dato ein Versorgungsmodell, um die bestehende Versorgungslücke zu schließen. Im Jahr 2019 führten wir das „Zürcher Prähabilitationskonzept“ ein: eine logopädisch-phoniatrische Sprechstunde zur prätherapeutischen Schluckdiagnostik (Pretreatment Assessment) und Behandlung (Prähabilitation).
Material und Methoden: Unser logopädisches Diagnostik- und Therapiekonzept bei Kopf-Hals-Tumoren wurde auf Basis aktueller internationaler Literatur entwickelt und implementiert. Vor und nach der Tumorbehandlung erhalten Patient*innen eine standardisierte Diagnostik, einschließlich flexibler endoskopischer Schluckuntersuchung (FEES). Während einer R(C)T beginnen wir zudem vorgängig eine tumorlokalisationsspezifische Prähabilitation, die auch während der R(C)T fortgeführt wird. Zusätzlich führen wir standardisierte Nachuntersuchungen (Posttreatment Assessment) durch.
Ergebnisse: Bisher wurden über 400 Patient*innen in unserer Sprechstunde untersucht und behandelt. Die Patient*innen nehmen Therapie- und Kontrolltermine überwiegend wahr und empfinden diese als hilfreich. Das Pretreatment Assessment ermöglicht die frühzeitige Erkennung bereits bestehender Dysphagie-Symptome und anderer Probleme, um eine individualisierte Therapie zu ermöglichen. Das Posttreatment Assessment erlaubt eine rechtzeitige Intervention bei möglichen Spätfolgen oder persistierenden Beschwerden.
Diskussion: Obwohl die statistischen Ergebnisse zu den Effekten auf die Schluckfunktion noch ausstehen, stimmen unsere klinischen Erfahrungen mit umfangreichen Studien überein, die die Vorteile der Prähabilitation beschreiben. Auch 1,5 Jahre nach der Behandlung zeigen die Patient*innen eine hohe Compliance, selbst bei subjektiv beschwerdefreien Personen, was auf eine hohe Patient*innenzufriedenheit schließen lässt.
Fazit: Die Integration logopädischer Prähabilitation bei R(C)T für Patient*innen mit KHT sollte als „standard of care“ in der Tumorbehandlung implementiert werden, um negative Auswirkungen auf Morbidität, Mortalität und die dysphagiebezogene Lebensqualität zu reduzieren.
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Hintergrund
Dysphagien sind eine häufige Folge der Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren (KHT) und haben einen starken negativen Einfluss auf die Lebensqualität. Sie können nach Tumorresektion oder Radio(chemo)therapie (R(C)T) auftreten. Insbesondere die R(C)T führt häufig zu einer verringerten peroralen Nahrungsaufnahme und einem konsekutiven Muskelabbau durch die reduzierte Nutzung der Muskulatur aufgrund akuter Nebenwirkungen der Behandlung. (Spät)folgen der Bestrahlungen, wie Lymphödem, Muskelatrophien, -fibrosen, Trismus und Sensibilitätsverlust können zudem erschwerend hinzukommen [1]. In der Folge kann es dabei sogar bei bis zu 60% der Patient*innen zu einer langfristigen Abhängigkeit von Ernährungssonden kommen [2]. Internationale Studien zeigen positive Effekte einer proaktiven Dysphagietherapie auf [3], [4], [5]. Im deutschsprachigen Raum fehlt bis dato ein Versorgungsmodell, um die bestehende Versorgungslücke zu schließen. Im Jahr 2019 führten wir im Rahmen der Tumorsprechstunde bei Kopf-Hals-Tumoren das Zürcher Prähabilitationskonzept ein [6], [7]: eine logopädisch-phoniatrische Sprechstunde zur prätherapeutischen Schluckdiagnostik (Pretreatment Assessment) und Behandlung (Prähabilitation) sowie zur Nachverfolgung (Posttreatment Assessment).
Material und Methoden
Unser logopädisch-phoniatrisches Diagnostik- und Therapiekonzept bei Kopf-Hals-Tumoren wurde auf Basis aktueller internationaler Literatur entwickelt und implementiert. Vor und nach der Tumorbehandlung erhalten Patient*innen eine standardisierte Diagnostik, einschließlich flexibler endoskopischer Schluckuntersuchung (FEES). Während einer R(C)T beginnen wir zudem vorgängig eine tumorlokalisationsspezifische Prähabilitation, die auch während der R(C)T fortgeführt wird. Zusätzlich führen wir standardisierte Nachuntersuchungen (Posttreatment Assessment) durch.
Ergebnisse
Bisher wurden über 400 Patient*innen in unserer Sprechstunde untersucht und behandelt. Die Patient*innen nehmen Therapie- und Kontrolltermine überwiegend wahr und empfinden diese als hilfreich. Das Pretreatment Assessment ermöglicht die frühzeitige Erkennung bereits bestehender Dysphagie-Symptome und anderer Probleme, um eine individualisierte Therapie zu ermöglichen. Das Posttreatment Assessment erlaubt eine rechtzeitige Intervention bei möglichen Spätfolgen oder persistierenden Beschwerden.
Diskussion
Obwohl die statistischen Ergebnisse zu den Effekten auf die Schluckfunktion noch ausstehen, stimmen unsere klinischen Erfahrungen mit umfangreichen Studien überein, die die Vorteile der Prähabilitation beschreiben. Auch 1,5 Jahre nach der Behandlung zeigen die Patient*innen eine hohe Compliance, selbst bei subjektiv beschwerdefreien Personen, was auf eine hohe Patient*innenzufriedenheit schließen lässt.
Fazit/Schlussfolgerung
Die Integration logopädischer Prähabilitation bei R(C)T für Patient*innen mit KHT sollte als „standard of care“ in der Tumorbehandlung implementiert werden, um negative Auswirkungen auf Morbidität, Mortalität und die dysphagiebezogene Lebensqualität zu reduzieren. Unser erfolgversprechendes Modell des Zürcher Prähabilitationsprogramms beruht maßgeblich auf der aktiven Gestaltung und Federführung der Logopädie in Abstimmung mit der Phoniatrie.
Literatur
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- van Beek MEF, Bohlender JE. Das Zürcher Prähabilitationskonzept. Dysphagie bei Kopf-Hals-Tumoren. In: Keller J, Durwen H, editors. Dysphagietherapie - Ein interdisziplinäres Fallbuch. Stuttgart: W. Kohlhammer; 2024. S. 206-20.
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- van Beek MEF, Colotto-Vith U, Bauer S, Bohlender JE, Brockmann-Bauser M. Pretreatment Assessment und Prähabilitation bei KHT – ein Spezialsprechstunden-Modell. In: 49. Jahreskongress des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie (dbl); 2021 Jun 4-5; online.
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- Hutcheson KA, Bhayani MK, Beadle BM, Gold KA, Shinn EH, Lai SY, Lewin J. Eat and exercise during radiotherapy or chemoradiotherapy for pharyngeal cancers: use it or lose it. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2013 Nov;139(11):1127-34. DOI: 10.1001/jamaoto.2013.4715