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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Vagus- und Glossopharyngeusläsionen nach Glomustumorexstirpation

Vortrag

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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocV21

doi: 10.3205/24dgpp28, urn:nbn:de:0183-24dgpp285

Veröffentlicht: 20. August 2024

© 2024 Sauter et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Glomustumore sind neuroendokrine Tumoren, die in den parasympathischen oder sympathischen Ganglien entstehen und im Kopf-Hals-Bereich carotideal, vagal, jugulär oder tympanal lokalisiert sein können. Die einzige kurative Behandlungsoption bietet die vollständige chirurgische Resektion, wobei die Entfernung lokalisationsbedingt häufig mit Läsionen der kaudalen Hirnnerven einhergeht. Dies birgt ein postoperatives Risiko an Stimm- und Schluckstörungen bei N. vagus- (N. X) und N. glossopharyngeus (N. IX) -Beteiligung. Ziel dieser Studie war diese zu erfassen, um Patienten frühzeitig zu potentiellen postoperativen Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität beraten zu können.

Material und Methoden: Mit Hilfe des EORTC Quality of Life Questionnaire HN43 wurde die krankheitsspezifische Lebensqualität von 62 Patienten erhoben, die von 2008–2024 aufgrund eines carotidealen, jugulären oder vagalen Glomustumors in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg operiert wurden. Die subjektive Lebensqualität von Patienten mit und ohne postoperative N. IX und X Parese wurde verglichen. Präoperativ vorbestehende Paresen wurden von der Analyse ausgeschlossen.

Ergebnisse: Nach Glomustumorexstirpation manifestierten sich insgesamt acht (12,9%) iatrogene Paresen des N. IX sowie 20 (32,3%) des N. X. Im Vergleich der Gruppen zeigte sich eine eingeschränkte subjektive Lebensqualität der Patienten mit Hirnnervenparesen. Signifikant höhere Symptomscores ergaben sich bei Sprache und Stimme (p=0,021) und Xerostomie mit zäher Verschleimung (p=0,031). Auch die Symptomskalen Schlucken, Husten und Gewicht zeigten sich im Vergleich deutlich stärker ausgeprägt, wenn auch nicht signifikant.

Diskussion: Die Lebensqualität von Patienten mit permanenten Hirnnervenparesen nach Glomustumorexstirpation zeigte sich deutlich eingeschränkt. Bei Auswahl des Therapiekonzepts sollte neben dem onkologischen Outcome stets die zu erwartende Lebensqualität berücksichtigt werden. Die in unserer Studie erfassten Paresen des N. IX und X führten zu deutlichen Schluck- und Stimmstörungen mit Auswirkungen auf die soziale Teilhabe. Betroffene Patienten sollten in einem interdisziplinären Team aus HNO-Ärzten, Phoniatern und Logopäden betreut werden.

Fazit: Aufgrund der hohen Inzidenz an postoperativen Paresen des N. IX und X ist eine präoperative ausführliche Aufklärung der Patienten essentiell. Logopädie und operative Interventionen sollten frühzeitig bereits im stationären Setting angeboten und aufeinander abgestimmt werden.


Text

Hintergrund

Paragangliome sind neuroendokrine Tumoren, die in den parasympathischen oder sympathischen Ganglien entstehen und im Kopf-Hals-Bereich carotideal, vagal, jugulär oder tympanal lokalisiert sind [1]. Genetische Variationen im Succinatdehydrogenase (SDH)-Gen tragen zu ihrer Ätiologie bei [2]. Neben der chirurgischen Resektion werden auch strahlentherapeutische und abwartende Konzepte angewendet [3], [4]. Aufgrund der Nähe der Tumoren zu großen Blutgefäßen und den kaudalen Hirnnerven stellt die Operation jedoch eine Herausforderung dar. Das langsame Wachstum und die Tendenz der erblichen Kopf-Hals-Paragangliome multifokal aufzutreten, können weniger aggressive Behandlungsstrategien rechtfertigen. Neben der präoperativen Beeinträchtigung der Nervenfunktion kann auch die Operation zu Defiziten bei den Hirnnerven VII bis XII führen [5]. Obwohl die Hypothese aufgestellt werden kann, dass Paragangliome durch Hirnnervenschäden des N. glossopharyngeus und des N. vagus im Kopf- und Halsbereich die Lebensqualität beeinträchtigen, haben nur wenige Studien die postoperativen Beeinträchtigungen untersucht. In dieser Studie wurden Morbidität und Lebensqualität in einer großen Patientenkohorte mit operativ behandelten Kopf-Hals-Paragangliomen anhand des aktualisierten EORTC QLQ H&N 43-Fragebogens untersucht, um Patienten zu potentiellen postoperativen Rehabilitationsmaßnahmen frühzeitig zur Verbesserung ihrer Lebensqualität beraten zu können.

Material und Methoden

Insgesamt wurden 64 Patienten mit Paragangliomen des Kopf-Halsbereichs, welche im Zeitraum von 2006–2023 am Universitätsklinikum operiert wurden, in die Studie zur patientenbezogenen Lebensqualität eingeschlossen. Die Lebensqualität wurde anhand der deutschen Version des Fragebogens (QLQ-H&N43) der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) bewertet, welcher typische Komplikationen von Karzinomen des Kopf-Halsbereichs erfasst. Der QLQ-H&N43 besteht aus 43 Fragen, wobei ein höherer Zahlenwert einer stärkeren Symptomatik entspricht. Die statistischen Analysen wurden mit der Software SPSS, Version 29.0.2.0 (SPSS, Chicago, IL), durchgeführt. Ein zweiseitiger p-Wert von <0,05 wurde als statistisch signifikant erachtet.

Ergebnisse

Das durchschnittliche Alter bei der Bewertung der Lebensqualität betrug 61,1 Jahre (SD: 12,6; range: 25,5–87,1). Die mittlere Nachbeobachtungszeit vor Auswertung des Fragebogens betrug 6,0 Jahre (SD: 4,5; range: 0,3–16,2; Median: 4.9). Im gesamten Patientenkollektiv lag der Mittelwert der Symptom-Scores bei 18,8 (Median 17,7; range: 6,8–41,4). Nach Glomustumorexstirpation manifestierten sich insgesamt acht iatrogene Paresen des N. IX sowie 20 des N. X.

Signifikant höhere Symptomscores ergaben sich im Bereich der Sprache und Stimme (22,9 vs. 38,1; p=0,042) und Xerostomie mit zäher Verschleimung (16,2 vs. 30,5; p=0,016). Auch die Symptomskalen Schlucken (SW), Sexualität (SX), Angst vor Progression der Erkrankung (ANX) sowie sozialer Kontakt (SC) zeigten sich im Vergleich deutlich stärker ausgeprägt, wenn auch nicht signifikant.

Diskussion

Ziel der vorliegenden Studie war die Analyse der Lebensqualität von Patienten, die aufgrund einer chirurgischen Behandlung eines Paraganglioms unter einer Vagus- oder Glossopharyngeusparese leiden. Die Lebensqualität einiger Patienten scheint erheblich beeinträchtigt zu sein, auch wenn dieses Ergebnis in der Patientenpopulation sehr unterschiedlich ausfällt. In Anbetracht der signifikanten Morbidität von Hirnnervenlähmungen in unserer Kohorte (44%), die mindestens sechs Monate nach der Operation persistieren, besteht ein Bedarf an alternativen Behandlungsmöglichkeiten. Andere Autoren berichten über eine geringe Toxizität und eine gute lokale Kontrolle bei der Strahlentherapie von Paragangliomen im Kopf- und Halsbereich [3], [6], [7]. In der Literatur finden sich nur wenige Studien, die sich mit der Lebensqualität von Patienten mit Paragangliomen im Kopf-Hals-Bereich befassen. Die Verwendung von Fragebögen erfolgt uneinheitlich und variiert in ihrer Anwendung. Der Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Kopf- und Halstumoren (H&N43) wurde bislang unseres Wissens nach noch nicht bei Patienten mit Paragangliomen eingesetzt.

Fazit

Die chirurgische Behandlung von Paragangliomen im Kopf-Hals-Bereich ist mit einer signifikanten Morbidität und einer Beeinträchtigung der Lebensqualität bei einigen Patienten assoziiert. Es kann somit festgehalten werden, dass die Berücksichtigung der Lebensqualität bei Behandlungsentscheidungen auf Basis patientenbezogener Ergebnismessungen letztlich zu einer Optimierung des Behandlungsergebnisses beitragen wird.

Aufgrund der hohen Inzidenz an postoperativen Paresen des N. IX und X ist eine präoperative ausführliche Aufklärung der Patienten essentiell. Logopädisches Training und operative Interventionen sollten frühzeitig bereits im stationären Setting angeboten werden.


Literatur

1.
Cass ND, Schopper MA, Lubin JA, Fishbein L, Gubbels SP. The Changing Paradigm of Head and Neck Paragangliomas: What Every Otolaryngologist Needs to Know. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2020 Nov;129(11):1135-43. DOI: 10.1177/0003489420931540 Externer Link
2.
Offergeld C, Brase C, Yaremchuk S, Mader I, Rischke HC, Gläsker S, Schmid KW, Wiech T, Preuss SF, Suárez C, Kopeć T, Patocs A, Wohllk N, Malekpour M, Boedeker CC, Neumann HP. Head and neck paragangliomas: clinical and molecular genetic classification. Clinics (Sao Paulo). 2012;67 Suppl 1(Suppl 1):19-28. DOI: 10.6061/clinics/2012(sup01)05 Externer Link
3.
Rougier G, Rochand A, Bourdais R, Meillan N, Tankere F, Herman P, Riet F, Mazeron JJ, Burnichon N, Lussey-Lepoutre C, Jacob J, Simon JM, Maingon P, Feuvret L. Long-Term Outcomes in Head and Neck Paragangliomas Managed with Intensity-Modulated Radiotherapy. Laryngoscope. 2023 Mar;133(3):607-14. DOI: 10.1002/lary.30226 Externer Link
4.
Anderson JL, Khattab MH, Anderson C, Sherry AD, Luo G, Manzoor N, Attia A, Netterville J, Cmelak AJ. Long-term Outcomes for the Treatment of Paragangliomas in the Upfront, Adjuvant, and Salvage Settings With Stereotactic Radiosurgery and Intensity-modulated Radiotherapy. Otol Neurotol. 2020 Jan;41(1):133-40. DOI: 10.1097/MAO.0000000000002461 Externer Link
5.
Anand VK, Alemar GO, Sanders TS. Management of the internal carotid artery during carotid body tumor surgery. Laryngoscope. 1995 Mar;105(3 Pt 1):231-5. DOI: 10.1288/00005537-199503000-00001 Externer Link
6.
Mendenhall WM, Morris CG, Amdur RJ, Hitchcock KE, Silver NL, Dziegielewski PT. Radiotherapy for benign head and neck paragangliomas. Head Neck. 2019 Jul;41(7):2107-10. DOI: 10.1002/hed.25664 Externer Link
7.
Gilbo P, Morris CG, Amdur RJ, Werning JW, Dziegielewski PT, Kirwan J, Mendenhall WM. Radiotherapy for benign head and neck paragangliomas: a 45-year experience. Cancer. 2014 Dec 1;120(23):3738-43. DOI: 10.1002/cncr.28923 Externer Link