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Stimmbelastungsbedingte Herzratenvariabilität abhängig vom Dysphonie-Schweregrad-Index
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Veröffentlicht: | 20. August 2024 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Die menschliche Stimme ist Resultat physiologischer Regelkreise und psychischer Beeinflussungen. Ob und wie sich die sympathische Erregung in den Belastungssituationen, die durch Analyse der Herzratenvariabilität (HRV) objektiv beurteilt werden kann, und die Physiologie des Sprechens gegenseitig bedingen, ist kaum untersucht. Die HRV kommt als Beanspruchungsparameter zur individuellen Einschätzung psychischer und physischer Belastung zum Einsatz (Cardoso et al. 2021, Sammito et al. 2024). Ziel der Studie war es, Zusammenhänge zwischen Parametern der HRV und der objektiven Stimmfunktion abhängig vom Dysphonia Severity Index (DSI) zu analysieren.
Material und Methoden: Es wurden 53 Personen im erwerbsfähigen Alter untersucht. Das mittlere Alter der Probanden lag bei 34,6 ± 11,3 Jahren, 60,4% waren weiblich. Nach Abfrage soziodemografischer, berufs- und stimmbezogener Daten wurde mit dem DiVAS Stimmdiagnostik-System (XION medical, Berlin, Deutschland) die objektive Stimmfunktion durch Berechnung des DSI ermittelt und ein 20-minütiger Stimmbelastungstest (Wechseltest (Seidner et al. 2012)) durchgeführt.
Die EKG-Aufzeichnung erfolgte mittels medilog AR12plus (SCHILLER Medizintechnik GmbH, Obfelden, Schweiz) während des Stimmbelastungstestes sowie in einer 5-minütigen Ruhephase vor und in einer 5-minütigen Erholungsphase nach dem Test. Die HRV-Analyse wurde mit der Software Kubios HRV Premium (Biosignal Analysis and Medical Imaging Group, Universität Kuopio, Finnland) durchgeführt.
Ergebnisse: Die parasympathische Aktivierung (High frequency normalized unit (HF nu)) war im Vergleich zur Ruhe- (40,25 ± 18,19) und Erholungsphase (19,43 ± 12,83) während des Stimmbelastungstestes (17,54 ± 8,69) reduziert. Der DSI-Gesamtwert der Stichprobe betrug 6,53 ± 2,71. Es zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen objektiv besserer Stimmqualität (höherer DSI) und der Parasympathikusaktivierung (HF nu) (r=0,404; p=0,003) während des Testes.
Diskussion: Es bestehen Zusammenhänge zwischen objektiver Stimmfunktion und sympathischer bzw. parasympathischer Aktivierung während eines Stimmbelastungstestes. Je besser die objektive Stimmfunktion, desto höher ist die parasympathische Aktivierung.
Fazit: Eine Stimmausbildung, -kräftigung und -konditionierung sowie der Einsatz präventiver Strategien für die Stimmgesundheit könnten bei stimmbelastenden Berufen einen positiven Einfluss auf die parasympathische Aktivität haben, was den Nutzen einer obligatorischen Stimmausbildung für stimmintensive Berufe begründen kann.
Text
Hintergrund
Eine stimmliche Leistungs- und Belastungsfähigkeit ist grundlegende Voraussetzung stimmintensiver Tätigkeiten. Sie sollte frühzeitig, während der Ausbildung/des Studiums und berufsbegleitend trainiert werden. Die menschliche Stimme ist dabei Resultat physiologischer Regelkreise und psychischer Beeinflussungen. Eine Verbindung zwischen der Stimme und dem autonomen Nervensystem stellt anatomisch der Nervus vagus (X. Hirnnerv) als Teil des Parasympathikus dar. Seine drei Äste Ramus pharyngeus, Nervus laryngeus superior und Nervus laryngeus inferior (Nervus recurrens) besitzen Bedeutung für Sprechen, Schlucken und im Besonderen für die Stimme.
Zur objektiven Beurteilung der Aktivität des autonomen Nervensystems wird in der Arbeitsmedizin die Analyse der Herzratenvariabilität (HRV) genutzt. Ob und wie sich die sympathische Erregung in Belastungssituationen, die durch Analyse der HRV-Parametern objektiv beurteilt werden kann, und die Physiologie der Stimmbildung gegenseitig bedingen, ist kaum untersucht [1]. Die HRV basiert auf einem Zusammenspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus als Teile des autonomen Nervensystems. Die beiden werden funktionell gesehen als Gegenspieler im Nervensystem betrachtet, d.h. sie haben entgegengesetzte Wirkungen. In meisten Fällen ist die Aktivitätssteigerung des Sympathikus mit der Reduzierung der Aktivität des Parasympathikus verbunden.
Die HRV kommt als Beanspruchungsparameter zur individuellen Einschätzung psychischer und physischer Belastung zum Einsatz [2]. Ziel der Studie war es, Zusammenhänge zwischen Parametern der HRV und der objektiven Stimmfunktion, erfasst mittels Dysphonia Severity Index (DSI), bei Stimmbelastung zu analysieren. Es sollte eine Hypothese geprüft werden, ob Menschen mit eingeschränkter Stimmfunktion bei einer stimmlichen Belastung ein stärkeres Überwiegen der sympathischen Steuerung zeigen als Proband*innen mit besserer Stimmfunktion.
Material und Methoden
Es wurden 53 Personen im erwerbsfähigen Alter untersucht. Das mittlere Alter der Proband*innen lag bei 34,6 ± 11,3 Jahren, 60,4% waren weiblich, 45% gingen einer stimmintensiven beruflichen Tätigkeit nach. Nach Abfrage soziodemografischer, berufs- und stimmbezogener Daten wurde mit dem DiVAS Stimmdiagnostik-System (XION medical, Berlin, Deutschland) die objektive Stimmfunktion durch Berechnung des DSI ermittelt und ein 20-minütiger Stimmbelastungstest (Wechseltest nach Seidner, Lesetext „Das tapfere Schneiderlein“) durchgeführt [3].
Die EKG-Aufzeichnung erfolgte mittels medilog AR12plus (SCHILLER Medizintechnik GmbH, Obfelden, Schweiz) während des Stimmbelastungstestes sowie in einer 5-minütigen Ruhephase vor und in einer 5-minütigen Erholungsphase nach dem Test. Anschließend wurde die HRV-Analyse mit der Software Kubios HRV Premium (Biosignal Analysis and Medical Imaging Group, Universität Kuopio, Finnland) durchgeführt.
Ergebnisse
Der DSI-Gesamtwert der Stichprobe betrug 6,53 ± 2,089.
Die parasympathische Aktivierung (High frequency normalized unit (HF nu)) war im Vergleich zur Ruhe- (40,25 ± 18,19) und Erholungsphase (19,43 ± 12,83) während des Stimmbelastungstestes (17,54 ± 8,69) reduziert.
Es zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen objektiv besserer Stimmqualität (höherer DSI) und der Parasympathikusaktivierung (HF nu) (r=0,404; p=0,003) während des Testes. Der DSI korrelierte während des Stimmbelastungstestes negativ mit dem Quotienten aus dem Spektrum in Low frequency (LF) und High frequency (HF) (LF/HF-Quotient) (r=-0.404; p=0.003).
Diskussion
Bei einer reduzierten objektiven Stimmfunktion, also einem niedrigeren DSI-Wert, überwiegt die Sympathikusaktivierung und es findet eine stärkere Verschiebung des Parasympathikus/Sympathikus-Verhältnisses in Richtung Sympathikus statt. Eine bessere Stimmfunktion, also ein höherer DSI-Wert, geht mit einer höheren Parasympathikusaktivierung während des Stimmbelastungstestes einher. Es ist bekannt, dass der Parasympathikus in Ruhe und in der Regenerationsphase überwiegt.
Es bestehen also Zusammenhänge zwischen objektiver Stimmfunktion und sympathischer bzw. parasympathischer Aktivierung während eines Stimmbelastungstestes. Je besser die objektive Stimmfunktion, desto höher ist die parasympathische Aktivierung.
Fazit
Eine ungestörte, leistungsfähige und belastbare Stimme bildet eine wichtige Basis für eine stimmstressresistente Tätigkeit. Deshalb sollte für Menschen in sprechintensiven und stimmbelastenden Berufen eine berufsvorbereitende und -begleitende Stimmausbildung, inkl. Stimmkräftigung und -konditionierung sowie die Vermittlung stimmstörungspräventiver Strategien obligatorisch sein.
Literatur
- 1.
- Cardoso R, Lumini-Oliveira J, Meneses RF. Associations Between Autonomic Nervous System Function, Voice, and Dysphonia: A Systematic Review. J Voice. 2021;35(1):104-12. DOI: 10.1016/j.jvoice.2019.07.022
- 2.
- Sammito S, Thielmann B, Klussmann A, Deußen A, Braumann K-M, Böckelmann I. Guideline for the application of heart rate and heart rate variability in occupational medicine and occupational health science. J Occup Med Toxicol. 2024;19(1):15. DOI: 10.1186/s12995-024-00414-9
- 3.
- Seidner W, Nawka T, editors. Handreichungen zur Stimmdiagnostik: Aus der Praxis für die Praxis. XION GmbH; 2012.