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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Zur Plastizität der Altersstimme – vergleichende Untersuchung trainierter und untrainierter Sprechstimmen älterer und alter Menschen

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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocP6

doi: 10.3205/24dgpp24, urn:nbn:de:0183-24dgpp244

Veröffentlicht: 20. August 2024

© 2024 Gürtler et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die menschliche Stimme unterliegt kontinuierlichen Veränderungen über die gesamte Lebensspanne hinweg. Insbesondere Stimmveränderungen im Alter können sich negativ auf die Lebensqualität und stimmbasierte Teilhabe auswirken. Der Bedarf an stimmtherapeutischen/-störungspräventiven Konzepten für ältere Menschen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen (Schulz-Nieswandt et al. 2019, Oates et al. 2014, Zhu et al. 2018, Moon et al. 2022). Wir untersuchten, inwiefern ein funktionales Stimmtraining (FST) einen positiven Effekt auf die Altersstimme hat.

Material und Methoden: Studiendesign: prospektive kontrollierte Interventionsstudie im Prä-Post-Vergleich. Material: 72 Proband*innen im Alter von 55–82 Jahren ( 67,53 Jahre), Interventionsgruppe (IG, n=36, 24♀/12♂), Kontrollgruppe (KG, n=36, 24♀/12♂), Einteilung erfolgte nach „Windhundprinzip“. Die IG erhielt zehn 45-minütige Übungseinheiten des FST. Die Erfolgskontrolle erfolgte bei der IG und KG mittels Stimmanalyseprogramm LingWAVES, Fa. WEVOSYS vor und nach dem FST bzw. vor und nach den 10 Wochen bei der KG.

Ergebnisse: Der Sprechstimmumfang vergrößerte sich stärker bei der IG: bei den weiblichen TN der IG von 9,5 HT (± 2,55 HT) auf 11,04 HT (± 3,59 HT); bei den männlichen TN von 10,5 HT (± 3,45 HT) auf 12,5 HT (± 3,28 HT). Bei beiden Geschlechtern der KG verringerte sich der Sprechstimmumfang von 11,25 HT (± 3,11 HT) auf 11,08 HT(± 3,87 HT) bei den Frauen und von 13,83 HT (± 4,62 HT) auf 13,58 HT (± 4,68 HT) bei den Männern.

Die Normstimmfeldabdeckung vergrößerte sich nur bei den Proband*innen der IG: von 10,67% (± 9,09%) auf 13,04% (± 7,89%) bei den Probandinnen; von 8,17% (± 8,46%) auf 12% (± 6,76%) bei den Probanden.

Die Veränderungen in der Tonhaltedauer und im VHI lassen sich nicht auf das FST zurückführen.

Diskussion: Funktionales Stimmtraining hat einen positiven Effekt auf verschiedene Parameter der Altersstimme, insbesondere auf die stimmliche Leistungsfähigkeit älterer Männer, die bekanntermaßen überwiegend vom sog. Voval fold bowing betroffen sind.

Fazit: Eine gezielte und geschlechtsspezifische Stimmfunktionsbehandlung scheint zur Verbesserung der Stimme bei älteren Menschen beizutragen und eine stimmbasierte Teilhabe (z.B. Seniorenchor, -theater) weiterhin zu ermöglichen. Im nächsten Schritt müssen die Wirksamkeit hinsichtlich Nachhaltigkeit und unter geschlechtsspezifischen Aspekten bzw. weitere Stimmfunktionsmethoden evaluiert werden.


Text

Hintergrund

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels als globales Phänomen und der steigenden Lebenserwartung rücken die Themen „Alter und Altern“ zunehmend in den Fokus des gesellschaftlichen und politischen Diskurses [1]. Der Alterungsprozess ist ein multifaktorielles Geschehen, welcher sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens beeinflusst. Die menschliche Stimme unterliegt kontinuierlichen Veränderungen über die gesamte Lebensspanne hinweg. Insbesondere Stimmveränderungen im Alter können sich negativ auf die stimmbezogene Lebensqualität und Teilhabe auswirken. Wird die Stimme brüchig, leise, kraftlos und verliert an Tragfähigkeit, ziehen sich die Betroffenen oftmals zurück. Besonders belastend ist dies bei Menschen, deren soziale und gesellschaftliche Teilhabe auf der Nutzung ihrer Stimme basiert. Der Bedarf an stimmtherapeutischer Behandlung bei älteren Menschen ist deshalb in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen [2]. Wir untersuchten, inwiefern ein funktionales Stimmtraining (Erlanger Modell) (FST) einen positiven Effekt auf die Stimme älterer und alter Menschen hat.

Material und Methoden

Die Untersuchung wurde als prospektive kontrollierte Interventionsstudie im Prä-Post-Vergleich durchgeführt. Insgesamt nahmen 72 Proband*innen im Alter von 55–82 Jahren ( 67,53 Jahre) teil, die per „Windhundprinzip“ zwei Gruppen zugeteilt wurden: einer Interventionsgruppe (IG) und einer Kontrollgruppe (KG). In jeder Gruppe waren 36 Proband*innen, je 24 Frauen und 12 Männer. Die Proband*innen der IG erhielten zehn je 45-minütige Übungseinheiten des FST. Die Erfolgskontrolle des FST erfolgte mittels Stimmanalyse (LingWAVES, Fa. WEVOSYS). Die Proband*innen der Kontrollgruppe erhielten keine Intervention, unterzogen sich aber ebenfalls der Stimmanalyse vor und nach 10 Wochen. Es kam in beiden Gruppen zu keinen Drop-outs.

Ergebnisse

Anders als bei den Proband*innen der KG nahm der Sprechstimmumfang bei den Proband*innen der IG zu: bei den Frauen von 9,5 HT (± 2,55 HT) auf 11,04 HT (± 3,59 HT); bei den Männern von 10,5 HT (± 3,45 HT) auf 12,5 HT (± 3,28 HT). In der KG verringerte sich bei den Frauen der Sprechstimmumfang dagegen von 11,25 HT (± 3,11 HT) auf 11,08 HT (± 3,87 HT) und bei Männern von 13,83 HT (± 4,62 HT) auf 13,58 HT (± 4,68 HT).

Die Normstimmfeldabdeckung vergrößerte sich bei den Proband*innen der IG bei beiden Geschlechtern: bei den Frauen von 10,67% (± 9,09%) auf 13,04% (± 7,89%) und bei den Männern von 8,17% (± 8,46%) auf 12% (± 6,76%). In der Kontrollgruppe verringerte sich der Wert dagegen bei beiden Geschlechtern: bei den Frauen von 15,08% (± 8,62%) auf 13,5% (± 7,92%) und bei den Männern von 16,42% (± 15,48%) auf 14,25% (± 9,89%).

Der Jitter nahm nur bei den Männern der IG von 0,45% (± 0,98%) auf 0,36% (± 0,76%) ab, bei den Frauen der IG erhöhte er sich von 0,52% (± 2,74%) auf 0,60% (± 1,0%). Bei der KG verringerte er sich auch, hier bei beiden Geschlechtern: bei den Frauen von 0,41% (± 0,98%) auf 0,36% (± 0,6%) und bei den Männern von 0,28% (± 0,38%) auf 0,2% (± 0,18%).

Die Tonhaltedauer verbesserte sich bei den Proband*innen der IG bei beiden Geschlechtern: bei den Frauen von 15,72 Sekunden (s) (± 5,27 s) auf 16,24 s (± 5,50 s) und bei den Männern von 19,69 s (± 7,24 s) auf 21,77 s (± 4,63 s). In der KG verbesserte sich der Wert nur bei den Männern von 20,38 s (± 8,10 s) auf 22,92 s (± 9,22 s). Bei den Frauen der KG verringerte sich der Wert von 15,47 s (± 8,90 s) auf 14,67 s ± (7,01 s).

Der DSI verbesserte sich bei den Männern, sowohl in der IG als auch der KG: in der IG von 3,96 (± 1,98) auf 4,60 (± 1,40); in der KG von 3,74 (± 1,34) auf 4,11 (± 2,04). Bei den Frauen verschlechterte er sich in beiden Gruppen: in der IG von 4,85 (± 2,24) auf 4,83 (± 2,81) und in der KG von 5,20 (± 2,53) auf 4,60 (± 2,29).

Diskussion

Da der Bedarf an stimmtherapeutischer Behandlung bei älteren und alten Menschen kontinuierlich steigt, wurden verschiedene stimmtherapeutische Konzepte hinsichtlich ihrer Effektivität überprüft [3], [4]. Alle Autor*innen beschreiben positive Effekte der Stimmtherapie auf verschiedenste Stimmparameter. Auch unsere Ergebnisse konnten zeigen, dass gezieltes Stimmtraining, hier das FST, einen positiven Effekt auf verschiedene Parameter der Altersstimme hat. Da insbesondere ältere Männer vom sog. vocal fold bowing betroffen sind, profitieren sie am stärksten von der glottisschlussverbessernden Wirkung einiger Übungen des FST.

Fazit

Eine gezielte Stimmfunktionstherapie scheint zur Verbesserung der Stimme bei älteren Menschen beizutragen und eine stimmbasierte Teilhabe, wie beispielsweise im Chor oder im Theater zu ermöglichen. Im nächsten Schritt muss die nachhaltige Wirkung bzw. weitere Stimmfunktionsmethoden unter geschlechtsspezifischen Aspekten evaluiert werden. Weiterführend sollten u.U. geschlechtsspezifische Stimmtrainingskonzepte für ältere Menschen entwickelt und angeboten werden.


Literatur

1.
Schulz-Nieswandt F. Was ist Altern und wie erforscht man es wozu? In: Hank K, Schulz-Nieswandt F, Wagner M, Zank S, editors. Alternsforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden;2019. S. 15-20.
2.
Oates JM. Treatment of dysphonia in older people: the role of the speech therapist. Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2014 Dec;22(6):477-86. DOI: 10.1097/MOO.0000000000000109 Externer Link
3.
Zhu M, Wang L, Bai X, Peng KA. Hard onset therapy for functional hypoadduction and presbylaryngis: Our experience in 22 patients. Clin Otolaryngol. 2018 Aug;43(4):1122-1125. DOI: 10.1111/coa.13078 Externer Link
4.
Moon S, Park J, Yang S. The Effects of Therapeutic Singing on Vocal Functions of the Elderly: A Study on Korean Elderly. J Voice. 2022 May;36(3):437.e1-437.e9. DOI: 10.1016/j.jvoice.2020.06.007 Externer Link