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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Biomechanische Charakterisierung von Vibrato und Non-Vibrato-Phonation bei klassisch ausgebildeten SängerInnen mittels Hochgeschwindigkeits-Videoendoskopie und Elektroglottographie

Poster

  • Isabella Gantner - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, LMU Klinikum München, Deutschland
  • author presenting/speaker Sophia Gantner - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, LMU Klinikum München, Deutschland
  • Marie Christine Köberlein - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, LMU Klinikum München, Deutschland
  • Jonas Kirsch - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, LMU Klinikum München, Deutschland
  • Peter Birkholz - Institut für Akustik und Sprachkommunikation, Technische Universität Dresden, Deutschland
  • Michael Döllinger - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, Universitätsklinik Erlangen, Deutschland
  • corresponding author Matthias Echternach - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, LMU Klinikum München, Deutschland

40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocP5

doi: 10.3205/24dgpp19, urn:nbn:de:0183-24dgpp195

Veröffentlicht: 20. August 2024

© 2024 Gantner et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Zusammenfassung

Hintergrund: Vibrato ist eine physiologische, aerodynamische und akustische Erscheinung im westlichen, klassischen Gesang, welche durch eine periodische Wellenbewegung der Grundfrequenz (ƒo) definiert ist. Bisher gibt es wenige Erkenntnisse bezüglich eines möglichen Zusammenhangs zwischen akustischen Parametern und dem Verhalten des Stimmapparates. Diese Studie gibt einen Einblick in die grundlegenden Prozesse von Vibrato und Non-Vibrato-Phonation.

Material und Methoden: 10 professionelle, im klassischen Gesang ausgebildete SängerInnen führten eine Phonationssequenz mit drei Phasen (Non-Vibrato, Vibrato, Non-Vibrato) aus. Diese wurde durch akustische Aufnahmen, Elektroglottographie und transnasale Hochgeschwindigkeits-Videoendoskopie (20.000 fps) dokumentiert. Es wurde eine Analyse der Glottalflächen-Wellenform (glottal area waveform, GAW) durchgeführt und die Bewegung von ƒo über die Zeit berechnet. Die daraus konstruierten Vibrato-Minima und -Maxima aus GAW-Zyklen und das Verhalten des Offen- und Schließungsquotienten während der Vibrato-Extrema wurden analysiert. Darüber hinaus wurde die Ausprägung akustischer und physiologischer Parameter während eines Non-Vibrato- oder Vibrato-Tons verglichen. Um einen möglichen Zusammenhang zwischen Vibrato-Erzeugung und Larynxknorpelbewegung zu untersuchen, wurde ein Tracking der Aryknorpelbewegung mit Hilfe der laryngoskopischen Bildserie durchgeführt.

Ergebnisse: Die Extremwertanalyse zeigte eine Tendenz zu einem höheren Offenquotienten für Vibrato-Minima als für Vibrato-Maxima. Vibrato-Phonation ging mit einer Abnahme der Cepstral peak prominence und einer Zunahme des Lautstärkepegels im Vergleich zu Tönen ohne Vibrato einher. Die Nachverfolgung der Knorpelbewegung zeigte eine zeitliche Parallelbewegung der Knorpel zur ƒo-Bewegung.

Diskussion: Vibrato-Phonation wird von verschiedenen Muskelaktivitäten begleitet, die die Position des Knorpels invers oder parallel zur ƒo-Struktur begleiten und daran beteiligt sein können. Als mögliche Beteiligte könnten Musculus vocalis oder Musculus cricothyroideus, sowie Muskeln mit Beteiligung an der Hebung und Senkung des gesamten Larynx eine Rolle spielen. Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Signal mit starken Teiltönen und variierender Amplitude, wie es beim Vibrato der Fall ist, eine Lautstärkenänderung und eine Abnahme der Cepstral peak prominence bewirkt.

Fazit: Die biomechanischen Eigenschaften der Stimmlippenschwingungen und des Rahmengerüstes ändern sich bei Vibrato und Non-Vibrato-Phonation.


Text

Hintergrund

Vibrato ist ein physiologisches, aerodynamisches und akustisches Phänomen. Der Begriff Vibrato ist in verschiedenen Musiktraditionen, -stilen und -kulturen präsent, unterscheidet sich jedoch in akustischen und physiologischen Merkmalen. Im westlichen klassischen Gesang, auf den sich diese Studie konzentriert, wird Vibrato durch eine periodische Wellenbewegung der Grundfrequenz (ƒo) definiert. Das Vibrato kann mit Parametern wie Rate (Undulationen pro Sekunde), Umfang (Schwankung der ƒo über und unter der mittleren ƒo), Regelmäßigkeit (Ähnlichkeit der Frequenzschwankungen), Wellenform (Ähnlichkeit zu einer Sinuswelle) und Einsatz (Verzögerung vom Phonationsbeginn bis zum ersten Vibratozyklus) beschrieben werden.

Im Allgemeinen streben professionelle SängerInnen ein regelmäßiges und konsistentes Vibrato mit einer Rate von etwa 4–8 Hz und einem Umfang von etwa 1,5 Halbtönen an. Es gibt eine hohe Variabilität der Vibratoparameter in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, Emotion, Gesangsstil oder Repertoire.

Bisher existieren v.a. Studien, welche das Phänomen Vibrato mittels Audioaufnahmen analysieren. Aus akustischer Sicht kann Vibrato als eine Reihe von Partialtönen beschrieben werden, deren Frequenz und Amplitude periodisch mit der Zeit variieren, was zu wahrnehmbaren Veränderungen in Klangfarbe, Tonhöhe und Lautstärke führt. Synchrone Lautstärkeänderungen treten oft mit der Schwankung der Grundfrequenz (ƒo) auf, da sich das Verhältnis zwischen den Quell-Obertönen und den Resonanzen des Vokaltrakts und die synchronen Oszillationen im Schalldruckpegel (SPL) ändern.

Shipp et al. (1990) postulierten, dass Vibrato in zwei Hauptklassen der Produktion unterteilt werden kann: Die erste Kategorie basiert auf rhythmischen Pulsationen des subglottischen Luftdrucks, welche die Grundfrequenz (ƒo) modulieren und durch die Kontraktion der Bauchmuskeln erzeugt werden. Die zweite Kategorie ist das laryngeal vermittelte Vibrato, bei dem die ƒo-Modulation hauptsächlich durch die Aktivität der Cricothyroid-Muskeln (CT) erfolgt. Die zyklische Kontraktion des CT könnte die Stimmlippen mit der Vibratorate verlängern und verkürzen und somit auch die Spannung des Stimmlippengewebes verändern.

Jedoch sind das Phänomen Vibrato und seine biomechanischen und dynamischen Prozesse noch nicht vollständig verstanden.

Um einen detaillierten Einblick in die biomechanischen und dynamischen Prozesse der Stimmlippenschwingungen sowie die Konfiguration der Supraglottis zu erhalten, wurde in dieser Studie neben Audio- und elektroglottographischen Aufnahmen eine transnasale Hochgeschwindigkeitsvideoendoskopie (20.000 fps) eingesetzt.

Material und Methoden

10 professionelle, im klassischen Gesang ausgebildete und zum Zeitpunkt der Untersuchung stimmgesunde SängerInnen sangen einen Ton auf einer gleichbleibenden Grundfrequenz (ƒo 125 Hz für männliche und 250 Hz für weibliche Probanden) auf dem Vokal [i:] mit drei Phasen (Non-Vibrato, Vibrato, Non-Vibrato) Die Gesamtlänge sollte ca. 6 Sekunden betragen. Innerhalb dieses Zeitraums sollten die Teilnehmenden die Phonation mit etwa 2 Sekunden non-vibrato beginnen, gefolgt von einer Modulation des Tons zu einem Vibrato für etwa 2 Sekunden und einer abschließenden Phase von 2 Sekunden non-vibrato.

Die Phonationen wurden mittels akustischer Aufnahmen, Elektroglottographie (EGG) und transnasaler Hochgeschwindigkeitsvideoendoskopie (HSV, 20.000 fps) dokumentiert.

Es wurde eine Analyse der Glottalflächen-Wellenform (glottal area waveform, GAW) durchgeführt und die Bewegung von ƒo über die Zeit berechnet. Die daraus konstruierten Vibrato-Minima und -Maxima aus den GAW-Zyklen und das Verhalten des Offen- und Schließungsquotienten während der Vibrato-Extrema wurden analysiert. Darüber hinaus wurde die Ausprägung akustischer und physiologischer Parameter während eines Non-Vibrato- oder Vibrato-Tons verglichen.

Um einen möglichen Zusammenhang zwischen Vibrato-Erzeugung und Larynxknorpelbewegung zu untersuchen, wurde ein Tracking der Aryknorpelbewegung mit Hilfe der laryngoskopischen Bildserie durchgeführt. Zur Bewertung der Position der Aryknorpel während des Singens von Vibrato und Non-Vibrato wurden die laryngoskopischen Bildserien weiter verarbeitet, indem die cuneiformen Tuberkel markiert und verfolgt wurden. Da diese Teil der aryepiglottischen Falten sind und direkt mit den Aryknorpeln gekoppelt sind, spiegeln ihre Bewegungen indirekt auch die Adduktion und Abduktion der Stimmlippen sowie die aryepiglottischen Falten wider. Während die Bewegung des Knorpels in x- und y-Richtung durch Positionsänderungen verfolgt wurde, wurde die Bewegung in z-Richtung durch Intensitätsmessungen des Reflexionspunktes ermittelt.

Ergebnisse

Von den 10 untersuchten SängerInnen wurden für die Analyse der Vibrato Maxima und Minima nur diejenigen Probanden einbezogen, welche die Vibrato-Charakteristika gemäß Sundberg (2014) mit einer regelmäßigen periodischen Vibratostruktur und einem minimalen Umfang von 1 Halbton aufwiesen. 3 Probanden wurden aufgrund unregelmäßiger Vibratoleistung oder kleinerem Vibratoumfang von der Analyse ausgeschlossen. In dieser Studie lag die untere Schwelle des Vibratoumfangs bei 7,5 Hz für männliche Sänger (ƒo um 125 Hz) und 15 Hz für weibliche Sänger (ƒo um 250 Hz). Die Teilnehmer zeigten eine Vibratofrequenz von 4,1 bis 6,6 Hz und einen Umfang von 1,4 bis 3 Halbtönen. Die Extremwertanalyse zeigte eine Tendenz zu einem höheren Offenquotienten für Vibrato-Minima als für Vibrato-Maxima.

Unabhängig davon, ob sie einen Non-Vibrato- oder Vibrato-Ton sangen, blieben die Teilnehmer auf einem konstanten ƒo-Niveau.

Des Weiteren wurde zur Bestimmung des Einflusses von Non-Vibrato- und Vibrato-Tönen auf den Schalldruckpegel (SPL) das zuvor kalibrierte Audio-Signal-Mittel (ASM) analysiert. Es wurde eine statistisch signifikante Erhöhung des SPL (p≤0,05) für den Vibratoteil festgestellt, mit einem Medianwert von 81 dB im Vergleich zu Non-Vibrato mit 78,6 dB und 76,8 dB.

Vibrato-Phonation ging mit einer Abnahme der Cepstral peak prominence im Vergleich zu Tönen ohne Vibrato einher.

Die Nachverfolgung der Knorpelbewegung zeigte bei allen Probanden eine anterior gerichtete Bewegung und ein Anheben des Knorpels während eines ƒo-Maximums sowie eine umgekehrte Bewegung während der Minima, was auf eine mögliche Beziehung dieser Parameter zur ƒo-Modulation hinweist.

Diskussion

Die Analyse der Grundfrequenz zeigte, dass die Sängerinnen und Sänger während ihrer Aufgaben nahe am vorgegebenen Wert von 250 Hz für Frauen und 125 Hz für Männer blieben. Dies zeigt, dass Vibrato die Genauigkeit der zentralen Tonhöhe trotz der permanenten Frequenzmodulation nicht verringert. Im Gegenteil scheinen Vibrato und Tonmodulation sogar Intonationsvariationen auszugleichen, da die mittlere Grundfrequenz während des Vibratos sogar näher an den gewünschten 250 Hz oder 125 Hz lag als die Tonhöhe des vorangegangenen non-vibrato.

Das Tracking der Aryknorpelbewegung visualisierte rhythmische parallele und inverse Bewegungen des Knorpels zur ƒo-Schwingung. Einige Probanden zeigten eine inverse x- und y-Richtungsbewegung des Knorpels im Vergleich zur ƒo-Struktur, was eine Abduktion des Knorpels während ƒo-Maxima und eine Adduktion während ƒo-Minima widerspiegelt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass zusammen mit einem ƒo-Maximum eine verstärkte CT-Kontraktion zur Verlängerung und Versteifung der Stimmlippen vorliegt, was durch eine Abduktion aufgrund der Zunahme der Steifigkeit und Verschiebung des Knorpels begleitet wird und zu einer Tonhöhensteigerung führt

Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Signal mit starken Teiltönen und variierender Amplitude, wie es beim Vibrato der Fall ist, eine Lautstärkenänderung und eine Abnahme der Cepstral peak prominence bewirkt.

Die Studie weist mehrere Einschränkungen auf: Die geringe Probandenzahl begrenzt eine detaillierte statistische Analyse aufgrund hoher Anforderungen und umfangreicher Daten. Psychologische Einflüsse könnten die Lautstärkeparameter beeinflusst haben, da Vibrato oft mit dramatischem Gesang assoziiert wird. Eine Variabilität der Vibrato-Parameter aufgrund von Geschlecht, Alter, Emotionen und Stil könnte die Formulierung allgemeingültiger Aussagen erschweren. Dir transnasale Laryngoskopie könnte Unbehagen verursacht haben, was Einfluss auf die Qualität der Videoaufnahmen und die Vibrato-Non-Vibrato-Sequenzen haben könnte. Schwierigkeiten beim Knorpel-Tracking durch Bewegungen der Teilnehmer und Lichtreflexionen waren weitere Herausforderungen. Diese Einschränkungen müssen in zukünftigen Studien bzw. Analysen beachtet werden.