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Sind phonologische Fehler bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörung abhängig von Paukenergüssen in der Anamnese?
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Veröffentlicht: | 20. August 2024 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Sprachentwicklungsstörungen (SES) und Paukenergüsse (PE) sind zwei häufig auftretende pädaudiologische Störungsbilder mit negativen Konsequenzen für die Sprachentwicklung. Während PE zu einer temporären Schallleitungsstörung führen und langfristig eventuell Defizite in der auditiven Verarbeitung hervorrufen können, sind linguistische Defizite bei Kindern mit SES nicht auf sensorische Einschränkungen zurückzuführen. Die Auswirkungen der durch PE verursachten sensorischen Deprivation auf die phonologische Entwicklung bei Kindern mit SES sind bislang wenig erforscht. Um diese Lücke zu adressieren, untersucht die aktuelle Studie den Einfluss von PE auf die expressive phonologische Entwicklung bei Kindern mit SES.
Material und Methoden: Diese retrospektive Studie vergleicht die Anzahl und Art der Aussprachefehler in den Lautbefunden von drei- bis fünfjährigen Kindern mit SES mit PE-Vorgeschichte (n=31; SES&PE-Gruppe) und ohne (n=29; SES-Gruppe). Die Auftretenswahrscheinlichkeit phonologischer Fehler wurde als abhängige Variable in einer logistischen Regression mit den Faktoren Gruppe, Alter und Fehlertyp analysiert.
Ergebnisse: Die Auftretenswahrscheinlichkeit phonologischer Fehler war in der SES-Gruppe signifikant höher als in der SES&PE-Gruppe (p=.03). Dieser Gruppenunterschied war bei dreijährigen Kindern am deutlichsten (p=.03). Außerdem zeigten beide Gruppen eine höhere Wahrscheinlichkeit für verzögerte physiologische als für pathologische Prozesse (p=.02) sowie für Lautauslassungen im Vergleich zu Lautsubstitutionen (p<.001).
Diskussion: Die SES&PE-Gruppe zeigte weniger phonologische Fehler als die SES-Gruppe. Obwohl die SES-Diagnosen für alle Kinder auf Basis der ICD-10 Diagnosekriterien gestellt wurden, könnte die Ätiologie sich in den beiden Gruppen unterscheiden. Bei den Kindern der SES&PE-Gruppe könnten der temporäre Hörverlust und damit verbundene anhaltende Verarbeitungsdefizite zur SES-Diagnose beigetragen haben, während sensorische Einschränkungen in der Gruppe mit SES und peripherer Normalhörigkeit ohne PE-Vorgeschichte als Auslöser für SES keine Rolle spielen.
Fazit: Trotz standardisierter Diagnosekriterien bestehen Unterschiede in der Manifestation von SES. Eine potenzielle Ursache besteht in einer unterschiedlichen Ätiologie, mit einem wahrscheinlichen Einfluss sensorischer Defizite bei SES mit einer PE-Vorgeschichte. Weitere Studien sollten die Auswirkungen kombinierter sprachlicher und sensorischer Defizite genauer untersuchen.
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Hintergrund
Sprachentwicklungsstörungen (SES) und Paukenergüsse (PE) sind zwei häufig auftretende pädaudiologische Störungsbilder mit negativen Konsequenzen für die Sprachentwicklung [1]. Während PE zu einer temporären Schallleitungsstörung führen [2] und langfristig eventuell Defizite in der auditiven Verarbeitung hervorrufen können [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11], sind linguistische Defizite bei Kindern mit SES nicht auf sensorische Einschränkungen zurückzuführen [1]. Die Auswirkungen der durch PE verursachten sensorischen Deprivation auf die phonologische Entwicklung bei Kindern mit SES sind bislang wenig erforscht. Um diese Lücke zu verkleinern, untersucht die aktuelle Studie den Einfluss von PE auf die expressive phonologische Entwicklung bei Kindern mit SES.
Material und Methoden
Diese retrospektive Studie vergleicht die Anzahl und Art der Aussprachefehler in den Lautbefunden von drei- bis fünfjährigen Kindern mit SES mit PE-Vorgeschichte (n=31; SES&PE-Gruppe) und ohne (n=29; SES-Gruppe). Die Auftretenswahrscheinlichkeit phonologischer Fehler wurde als abhängige Variable in einer logistischen Regression mit den Faktoren Gruppe, Alter und Fehlertyp analysiert.
Ergebnisse
Die Auftretenswahrscheinlichkeit phonologischer Fehler war in der SES-Gruppe signifikant höher als in der SES&PE-Gruppe (p=.03) (Abbildung 1 [Abb. 1]). Dieser Gruppenunterschied war bei dreijährigen Kindern am deutlichsten (p=.03). Außerdem zeigten beide Gruppen eine höhere Wahrscheinlichkeit für verzögerte physiologische als für pathologische Prozesse (p=.02) sowie für Lautauslassungen im Vergleich zu Lautsubstitutionen (p<.001).
Diskussion
Die SES&PE-Gruppe zeigte weniger phonologische Fehler als die SES-Gruppe. Obwohl die SES-Diagnosen für alle Kinder auf Basis der ICD-10 Diagnosekriterien [12] gestellt wurden, könnte die Ätiologie sich in den beiden Gruppen unterscheiden. Bei den Kindern der SES&PE-Gruppe könnten der temporäre Hörverlust und damit verbundene anhaltende Verarbeitungsdefizite zur SES-Diagnose beigetragen haben, während sensorische Einschränkungen in der Gruppe mit SES und peripherer Normalhörigkeit ohne PE-Vorgeschichte als Auslöser für SES keine Rolle spielen.
Fazit
Trotz standardisierter Diagnosekriterien bestehen Unterschiede in der Manifestation von SES. Eine potenzielle Ursache besteht in einer unterschiedlichen Ätiologie, mit einem wahrscheinlichen Einfluss sensorischer Defizite bei SES mit einer PE-Vorgeschichte. Weitere Studien sollten die Auswirkungen kombinierter sprachlicher und sensorischer Defizite genauer untersuchen.
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