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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Die Dynamik der Fasertrakte bei Sprachentwicklungsstörungen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Sabrina Regele - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Technischen Universität München, Deutschland
  • Bettina Pfleiderer - Klinik für Radiologie, Universitätsklinikum Münster, Deutschland
  • Jochen Bauer - Klinik für Radiologie, Universitätsklinikum Münster, Deutschland
  • Mahi Dehghan - Klinik für Radiologie, Universitätsklinikum Münster, Deutschland
  • Karen Reichmuth - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Deutschland
  • Corinna Gietmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Deutschland
  • Harald Euler - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Deutschland

40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocV4

doi: 10.3205/24dgpp05, urn:nbn:de:0183-24dgpp050

Veröffentlicht: 20. August 2024

© 2024 Regele et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Sprachentwicklungsstörungen (SES) sind eine der häufigsten Entwicklungsstörungen in der Kindheit. Sie können tiefgreifende Auswirkungen auf das gesamte Leben haben und zeigen einen dynamischen Phänotyp bis ins Erwachsenenalter. Verschiedene MRT Studien haben veränderte Faserbahnen der weißen Substanz mit reduzierter fraktioneller Anisotropie (FA) bei Kindern mit SES gezeigt als Hinweis für eine gestörte oder unvollständige Myelinisierung der Fasertrakte. Wenige Studien haben die Fasertrakte bei Jugendlichen und Erwachsenen mit SES dargestellt. Das Ziel dieser Studie ist es daher weitere Einblicke in die neuronale Dynamik von Sprachentwicklungsstörungen zu erhalten.

Material und Methoden: 14 Kinder und 14 Erwachsene mit SES aus insgesamt 9 Familien wurden mit alters- und geschlechtsgleichen gesunden Kontrollen (GK) mittels Diffusionstensorbildgebung gescannt. Die ventralen und dorsalen Sprachfaserbahnen, die an der Sprachverarbeitung beteiligt sind, und die Korrelation der FA mit der Sprach- und Arbeitsgedächtnisleistung wurden untersucht.

Ergebnisse: Gruppenvergleiche zeigten eine signifikant reduzierte FA im linken ILF (inferiorer longitudinaler Fasciculus) von Erwachsenen mit SES im Vergleich zu alters- und geschlechtsgleichen gesunden Kontrollen. Während Kinder mit einer SES eine Linkslateralisierung des ILF aufweisen, zeigten Erwachsene mit einer SES einen Verlust der Linkslateralisierung. Es wurde kein signifikanter Unterschied zwischen Kindern mit SES und altersgleichen Kontrollen festgestellt, jedoch zeigten sich die mittleren FA-Werte bei Kindern mit SES deutlich niedriger. Darüber hinaus zeigte sich ein signifikanter Unterschied in der FA des linken SLF III (superior longitudinaler Fasciculus) zwischen der gesamten SES- und der GK-Gruppe mit einer signifikant niedrigeren FA in der SES-Gruppe. Es wurden unterschiedliche Korrelationsprofile der Sprachleistung mit den FAs der Sprachbahnen zwischen SES-Kindern und Kontrollen im Vergleich zu Erwachsenen festgestellt.

Diskussion: Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der FA-Unterschied zwischen SES und den Kontrollen mit dem Alter zunimmt, da wir bei SES-Kindern im Vergleich zu den Kontrollen einen niedrigeren FA-Wert feststellten, der noch nicht signifikant war, während der Unterschied bei Erwachsenen signifikant wurde.

Fazit: Unsere Ergebnisse deuten auf zunehmende strukturelle Veränderungen bei SES hin sowie eine unterschiedliche Sprachverarbeitung bei Kindern im Vergleich zu Erwachsene mit SES.


Text

Hintergrund

Sprachentwicklungsstörungen (SES) sind eine der häufigsten Entwicklungsstörungen in der Kindheit. Sie können tiefgreifende Auswirkungen auf das gesamte Leben haben und zeigen einen dynamischen Phänotyp bis ins Erwachsenenalter [1]. Verschiedene MRT Studien [2], [3] haben veränderte Faserbahnen der weißen Substanz mit reduzierter fraktioneller Anisotropie (FA) bei Kindern mit SES gezeigt als Hinweis für eine gestörte oder unvollständige Myelinisierung der Fasertrakte [4]. Wenige Studien haben die Fasertrakte bei Jugendlichen und Erwachsenen mit SES dargestellt. Das Ziel dieser Studie ist es daher weitere Einblicke in die neuronale Dynamik von Sprachentwicklungsstörungen zu erhalten.

Material und Methoden

14 Kinder und 14 Erwachsene mit SES aus insgesamt 9 Familien wurden mit alters- und geschlechtsgleichen gesunden Kontrollen (GK) mittels Diffusionstensorbildgebung gescannt. Die ventralen Sprachfaserbahnen (Fasciculus fronto-okzipital inferior (IFOF), Fasciculus longitudinalis inferior (ILF), Fasciculus longitudinalis medialis (MLF)) und dorsalen Sprachfaserbahnen (Fasciculus arcuatus (AF), Fasciculus longitudinalis superior (SLF)), die an der Sprachverarbeitung beteiligt sind, und die Korrelation der FA mit der Sprach- und Arbeitsgedächtnisleistung wurden untersucht.

Ergebnisse

Gruppenvergleiche zeigten eine signifikant reduzierte FA im linken ILF von Erwachsenen mit SES im Vergleich zu alters- und geschlechtsgleichen gesunden Kontrollen. Während Kinder mit einer SES eine Linkslateralisierung des ILF aufweisen, zeigten Erwachsene mit einer SES einen Verlust der Linkslateralisierung. Es wurde kein signifikanter Unterschied zwischen Kindern mit SES und altersgleichen Kontrollen festgestellt, jedoch waren die mittleren FA-Werte bei Kindern mit SES deutlich niedriger. Darüber hinaus zeigte sich ein signifikanter Unterschied in der FA des linken SLF III zwischen der gesamten SES- und der GK-Gruppe mit einer signifikant niedrigeren FA in der SES-Gruppe. Es wurden unterschiedliche Korrelationsprofile der Sprachleistung mit den FAs der Sprachbahnen zwischen SES-Kindern und Kontrollen im Vergleich zu Erwachsenen festgestellt.

Diskussion

Mithilfe des familiären Ansatzes konnten wir strukturelle Unterschiede in den Sprachbahnen bei SES nachweisen. Wir konnten zeigen, dass die Unterschiede zu gesunden Kontrollpersonen auch im Erwachsenenalter noch bestehen und wir vermuten, dass diese mit dem Alter sogar zunehmen, da wir bei SES-Kindern im Vergleich zu den Kontrollen einen niedrigeren FA-Wert feststellten, der jedoch noch nicht signifikant war, während der Unterschied bei Erwachsenen signifikant wurde. Eine Dynamik bei SES zeigt sich auch in der Lateralisation. Der ILF zeigte bei SES Kindern eine Lateralisation nach links, bei SES Erwachsenen zeigte sich keine Lateralisation. Die FA des rechten SLF korrelierte mit verschiedenen Sprachleistungen bei SES Kindern, aber nicht bei SES Erwachsenen, was darauf hindeutet, dass bei Kindern eine bessere Sprachleistung mit einer höheren FA des rechten SLF verbunden ist.

Fazit

Unsere Ergebnisse zeigen zunehmende strukturelle Veränderungen bei SES von Kindesalter an bis ins Erwachsenenalter sowie eine unterschiedliche Sprachverarbeitung bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen mit SES.


Literatur

1.
Botting N, Conti-Ramsden G. The role of language, social cognition, and social skill in the functionalsocial outcomes of young adolescents with and without a history of SLI. Br J Dev Psychol. 2008;26(2):281-300.
2.
Vydrova R, Komarek V, Sanda J, Sterbova K, Jahodova A, Maulisova A, Zackova J, Reissigova J, Krsek P, Kyncl M. Structural alterations of the language connectome in children with specific language impairment. Brain Lang. 2015;151:35-41.
3.
Verly M, Gerrits R, Sleurs C, Lagae L, Sunaert S, Zink I, Rommel N. The mis-wired language network in children with developmental language disorder: insights from DTI tractography. Brain Imaging Behav. 2019;13(4):973-84.
4.
Wheeler-Kingshott CAM, Cercignani M. About “axial” and “radial” diffusivities. Magn Reson Med. 2009;61(5):1255-60.