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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Proteus Syndrom mit rezidivierender laryngealer Lymphangiomatosis

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Christina Sauter - Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Veronika Kolb - Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Ralph Hohenberger - Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Cornelia Hornberger - Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocP28

doi: 10.3205/23dgpp60, urn:nbn:de:0183-23dgpp609

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Sauter et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Das Proteus Syndrom ist eine seltene genetische Erkrankung mit ursächlicher Mutation in der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K)-AKT-Signalkette. Die dadurch ausgelöste Erkrankung zeichnet sich durch einen asymmetrischen Großwuchs einzelner Körperteile aus und wurde bisher nur vereinzelt beschrieben. Im vorliegenden Fall zeigen sich ausgeprägte rezidivierende Manifestationen eines laryngealen und hypopharyngealen Lymphangioms, welche sowohl (laser-) chirurgisch, systemisch sowie mittels Sklerosierung therapiert wurden.

Material und Methoden: Die vorliegende Arbeit ist eine Kasuistik einer Patientin, die sich erstmalig mit 29 Jahren in unserer Stimmsprechstunde vorstellte. Die Datenerhebung der nun retrospektiven Analyse erfolgte aus den klinikeigenen Akten. Die flexible Lupenendoskopie erfolgte mit dem Videoturm Visera Elite der Firma Olympus, Hamburg und dem digitalen Bildbearbeitungssystem rpSzene® der Firma Rehder/Partner, Hamburg.

Ergebnisse: Die 29-jährige Patientin präsentierte sich initial im Februar 2019 mit Stridor und Belastungsdyspnoe bei ausgeprägter lymphatischer Malformation der Supraglottis rechts. Im April 2019 erfolgte die Sklerosierung mit Picibanil. Bei ausbleibender Besserung wurde eine Systemtherapie mit dem PIK3CA-Inhibitor Alpelisib eingeleitet (03-07/2020) und bei hohem Nebenwirkungsprofil abgebrochen. Im Verlauf erfolgten von 2021 bis 2023 bei fluktuierendem Befund drei Mikrolaryngoskopien mit laserchirurgischer Resektion sowie eine erneute Sklerosierung des Lymphangioms mit Picibanil. Zum aktuellen Stand wurde damit ein laryngoskopisch stabiler Befund hergestellt.

Diskussion: Aktuell diskutierte Therapieoptionen von Lymphangiomen der Kopf-Hals-Region sind die Radiofrequenzablation, laserchirurgische Therapie, Sklerotherapie durch beispielsweise Picibanil (OK-432) sowie die klassische chirurgische Therapie. Die laserchirurgische Therapie wird aktuell als Therapie der Wahl beschrieben und zeigte auch bei unserer Patientin im Verlauf die höchste Wirksamkeit. Insbesondere bei Atemwegsverlegung kann die laserchirurgische Resektion eine schnelle Symptomlinderung erwirken. Alternativ und mit geringerem chirurgischem Risiko wurden auch hohe Heilungsraten durch die Sklerosierung insbesondere mit Picibanil bei makrozystischen oder gemischten Läsionen erreicht.

Fazit: Seltene syndromale Erkrankungen erfordern eine multidisziplinäre Zusammenarbeit. Bei laryngealer Lymphangiomatosis sollten insbesondere bei Rekurrenz neben der chirurgischen Exzision auch andere Therapieoptionen erwogen werden.


Text

Hintergrund

Das Proteus-Syndrom ist eine seltene Erkrankung und wird ausgelöst durch Mutationen in Komponenten der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K)-AKT-Signalkaskade. Das Syndrom ist durch einen unproportionalen regionalen Überwuchs gekennzeichnet [1]. Die Manifestationen umfassen fortschreitende Skelett- oder Gefäßfehlbildungen, benigne und maligne Tumoren sowie Hautläsionen oder sogar tiefe Venenthrombosen oder Lungenembolien [1]. Lymphatische Malformationen sind seltene zystische Fehlbildungen des Lymphsystems in lokalisierten Körperregionen. Sie treten häufig im Kopf- und Halsbereich auf, eine isolierte Kehlkopfmanifestation ist jedoch äußerst selten [2], [3]. Als Therapieoptionen für Lymphangiome im Kopf-Hals-Bereich werden derzeit die Radiofrequenzablation, Laserchirurgie, Sklerosierung und die klassische chirurgische Therapie diskutiert [2]. Insbesondere bei laryngealer Atemwegsobstruktionen kann eine laserchirurgische Resektion eine schnelle Linderung der Symptome herbeiführen. Alternativ und mit geringerem Operationsrisiko wurden auch durch die Sklerosierung hohe Heilungsraten erzielt [4]. Bisher wurden in der Literatur nur etwa 200 Fälle des Proteus-Syndroms beschrieben. Die Behandlungsmöglichkeiten sind meist symptomatisch und bleiben für jeden Patienten individuell [5].

Methoden

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um den Fall einer Patientin, die sich im Alter von 29 Jahren in unserer Klinik vorstellte. Die Datenerhebung für die nun retrospektive Analyse erfolgte aus den klinikeigenen Akten. Die flexible Endoskopie wurde mit dem Videoturm Visera Elite der Firma Olympus, Hamburg durchgeführt. Als digitales Bildverarbeitungssystem verwendeten wir rpszene® von Rehder/Partner, Hamburg.

Fallbeschreibung

Die 29-Jährige Patientin stellte sich erstmals im Februar 2019 in unserer Klinik vor. Die Diagnose des Proteus-Syndrom wurde im Alter von 23 Jahren gestellt. Das Proteus-Syndrom manifestierte sich bei der Patientin mit Gefäßfehlbildungen, Makrodaktylie, thorakolumbaler Skoliose und Lungenventilationsstörungen. Bei der Erstvorstellung klagte die Patientin über Belastungsdyspnoe und Stridor. In der Laryngoskopie zeigte sich eine submuköse Raumforderung in Teilen des Larynx und des Hypopharynx bei seitengleicher Beweglichkeit der Stimmlippen und vollständigem Glottisschluss (Abbildung 1 [Abb. 1]). Eine externe Magnetresonanztomographie (MRT) ergab korrelierende Befunde mit Kontrastmittelaufnahme in den oben genannten Regionen (Abbildung 2 [Abb. 2]). Nach interdisziplinärer Konferenz wurde die Indikation zur Sklerosierung gestellt. Der Eingriff wurde im April 2019 erfolgreich durch transkutane Injektion von Picibanil unter endoskopischer und fluoroskopischer Kontrolle in ITN durchgeführt. Nach der Sklerosierung erholte sich die Patientin vorübergehend. Zehn Monate nach der Operation traten erneut ausgeprägte Symptome auf, sodass im März 2020 eine Therapie mit dem PI3K-Inhibitor Alpelisib begonnen wurde. Hierbei traten ausgeprägte Nebenwirkungen auf, die schließlich nach drei Monaten zum Abbruch der Therapie führten. Unter systemischer Therapie waren die lymphatischen Malformationen weder progredient noch regredient. Im Mai 2021 zeigte die Laryngoskopie weiterhin die supraglottische Fehlbildung im Bereich der linken Taschenfalte und postkrikoidal sowie im Bereich beider Sinus piriformes. Daher führten wir im Juni 2021 eine Mikrolaryngoskopie mit laserchirurgischer Resektion durch. Nach dem Eingriff berichtete die Patientin über eine sofortige Linderung der Symptome, die etwa ein halbes Jahr anhielt. Im Oktober 2021 kam es erneut zu Episoden von Belastungs-Dyspnoe und Stridor bei einem Rezidiv des Lymphangioms, sodass erneut eine Sklerosierung mit Picibanil durchgeführt wurde. Nach der Intervention kam es erneut zur Dyspnoe bei laryngoskopisch zunehmender Schwellung des linken Hypopharynx, insbesondere im Bereich der aryepiglottischen Falte. Nach Überwachung auf der Intensivstation und Gabe von Steroiden konnte die Patientin wenige Tage später in einem verbesserten Allgemeinzustand entlassen werden. Aufgrund einer erneuten Zunahme der lymphatischen Malformation wurde im Mai 2022 eine Mikrolaryngoskopie mit laserchirurgischer Resektion links postkrikoidal durchgeführt mit anschließendem stabilem Befund. Im März 2023 bestand ein erneutes Globusgefühl und Belastungsdyspnoe sowie intermittierende Heiserkeit. Es erfolgte daraufhin eine Mikrolaryngoskopie mit laserchirurgischer Resektion der linken Postkrikoidregion. Unmittelbar nach der Operation bestand Beschwerdefreiheit. Bei rezidivierenden Lymphangiomen konnte vorerst ein zufriedenstellender laryngealer und hypopharyngealer Befund erzielt werden.

Diskussion

Isolierte Lymphangiome des Kehlkopfes sind selten bei nur wenigen in der Literatur dokumentierten Fällen. Neben der klinischen Untersuchung ist eine Bildgebung mittels CT oder MRT essentiell zur Planung des Eingriffs und Schonung von angrenzenden Strukturen [5]. Als Therapieoptionen von Lymphangiomen im Kopf-Hals-Bereich werden derzeit die Radiofrequenzablation, Laserchirurgie, Sklerosierung und die klassische chirurgische Therapie diskutiert [2]. Laryngeal werden vorwiegend Laser zur Behandlung von schleimhautbasierten Läsionen eingesetzt. Angrenzende Strukturen können im Vergleich zur klassischen Operation bestmöglich geschont werden [2], [6]. Bei unserer Patientin zeigte die laserchirurgische Resektion die höchste Wirksamkeit und erbrachte eine schnelle Linderung der Symptome. Mithilfe eines endoskopischen Ansatzes konnten wir die Läsion entfernen, ohne umliegende essentiellen anatomische Strukturen des Kehlkopfes zu beschädigen. Eine Tracheotomie war nicht notwendig. Trotzdem kam es bei unserer Patientin zu mehreren Rezidiven des Lymphangioms. Hartl et al. berichten von einem 94-prozentigen Risiko für das Wiederauftreten von Lymphangiomen am Zungengrund, im Parapharyngealraum und/oder am Kehlkopf bei ihren 18 pädiatrischen Patienten, die in ihre Studie einbezogen wurden [7].

Alternativ und mit geringerem chirurgischem Risiko wurden auch durch Sklerosierung hohe Heilungsraten erzielt [8]. Insbesondere Picibanil (OK-432) ist weit verbreitet und akzeptiert [2], [8]. Die Wirkung erfolgt durch eine lokale Entzündungsreaktion in der Läsion und Freisetzung von Zytokinen mit konsekutiver Schädigung des Endothels [2]. Der größte Nachteil der Sklerosierung mit Picibanil ist das Risiko posttherapeutischer Entzündungen und Schwellungen [2]. Auch unsere Patientin litt postinterventionell unter einer ausgeprägten Schwellung und musste vorübergehend auf der Intensivstation überwacht und mit Steroiden behandelt werden. Darüber hinaus sind häufig mehrere Eingriffe erforderlich, um den gewünschten Effekt und die Stabilisierung der lymphatischen Malformation zu erreichen [2], [8].

Bisher gibt es keine randomisierten Studien zum Vergleich der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten. Die Therapieentscheidung sollte daher interdisziplinär getroffen werden und richtet sich nach dem Ausmaß der lymphatischen Malformation und deren Lokalisation.


Literatur

1.
National Organization for Rare Disorders (NORD). Proteus Syndrome. 2018. Available from: https://rarediseases.org/rare-diseases/proteus-syndrome/ Externer Link
2.
Colbert SD, Seager L, Haider F, Evans BT, Anand R, Brennan PA. Lymphatic malformations of the head and neck-current concepts in management. Br J Oral Maxillofac Surg. 2013;51(2):98-102. DOI: 10.1016/j.bjoms.2011.12.016 Externer Link
3.
Seven H, Topuz E, Turgut S. Isolated laryngeal lymphangioma showing the symptoms of acute epiglottitis. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2004;261(10):548-550. DOI: 10.1007/s00405-002-0486-6 Externer Link
4.
Hirunwiwatkul P. Radiofrequency tissue volume reduction: suggested treatment for lymphatic malformation. J Med Assoc Thai. 2004;87(7):834-838.
5.
Perkins JA, Manning SC, Tempero RM, et al. Lymphatic malformations: review of current treatment. Otolaryngol Head Neck Surg. 2010;142(6):795-803, 803.e1. DOI: 10.1016/j.otohns.2010.02.026 Externer Link
6.
Papsin BC, Evans JN. Isolated laryngeal lymphangioma: a rare cause of airway obstruction in infants. J Laryngol Otol. 1996;110(10):969-972. DOI: 10.1017/s0022215100135479 Externer Link
7.
Hartl DM, Roger G, Denoyelle F, Nicollas R, Triglia JM, Garabedian EN. Extensive lymphangioma presenting with upper airway obstruction. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2000;126(11):1378-1382. DOI: 10.1001/archotol.126.11.1378 Externer Link
8.
Zhou Q, Zheng JW, Mai HM, et al. Treatment guidelines of lymphatic malformations of the head and neck. Oral Oncol. 2011;47(12):1105-1109. DOI: 10.1016/j.oraloncology.2011.08.001 Externer Link