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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Auswirkungen von berufsbedingter Stimmbelastung auf die psychische Gesundheit von Erzieherinnen in Kindertagesstätten

Poster

  • author Sabine Darius - Bereich Arbeitsmedizin, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg, Deutschland
  • corresponding author presenting/speaker Susanne Voigt-Zimmermann - Abt. Sprechwissenschaft und Phonetik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland
  • author Irina Böckelmann - Bereich Arbeitsmedizin, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg, Deutschland

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocP25

doi: 10.3205/23dgpp52, urn:nbn:de:0183-23dgpp526

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Darius et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Erzieher:innen (Syn.: Kindergärtner:innen, frühpädagogische Fachkräfte) sind zahlreichen stimmbelastenden Faktoren im Beruf ausgesetzt, wie etwa Lärm und einer großen Anzahl an Kindern in den zu betreuenden Gruppen.

Ziel der vorliegenden Studie war es zu untersuchen, ob und inwieweit die berufsspezifisch hohe stimmliche Beanspruchung mit der psychischen Gesundheit der Erzieher:innen zusammenhängt.

Material und Methoden: An der Querschnittsstudie nahmen 192 Erzieherinnen aus Magdeburg und Umgebung im Alter von 43,4 ± 12,8 Jahren freiwillig teil. Mit Fragebögen (Selbstcheck zur Stimmbelastung [Sportelli 2022], Prüfliste zur Erfassung vorwiegend psychischer Belastungen bei Erzieher:innen [Rudow 2001], General-Health-Questionnaire [Goldberg et al. 1997] und Maslach-Burnout-Inventar [Maslach et Jackson 1981]) wurden die Stimmbelastung und -beanspruchung, allgemeine Belastungsfaktoren im Beruf und die selbst eingeschätzte psychische Gesundheit erfasst sowie mittels SPPS statistisch ausgewertet.

Ergebnisse: Die Befragten fühlen sich durch viele Arbeitsaufgaben, wie lautes Arbeitsumfeld, große Gruppenstärken und permanent lautes Sprechen beruflich beansprucht. 28% berichten aktuell von Heiserkeit und Brennen im Hals. Weiterhin klagen 66% über Kopf- und Nackenschmerzen. 42 Erzieherinnen fühlen sich in ihrer psychischen Gesundheit eingeschränkt, bei neun besteht ein erhöhtes Burnout-Risiko. Die selbstberichtete Stimmbelastung korreliert dabei mit der psychischen Gesundheit (r = 0,287; p < 0,001) und dem Burnout-Risiko (r = 0,306; p < 0,001).

Diskussion: Die stimmlichen Anforderungen an Erzieher:innen in Kindertagesstätten sind sehr hoch, was ein Einfluss auf die Entstehung des Burnout-Syndroms haben kann. Maßnahmen der Stimmbildung und Stimmstörungsprävention sollten verpflichtender Bestandteil in der Ausbildung von Erzieher:innen sein und auch berufsbegleitend angeboten werden. Für eine ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge sollten diese berufsspezifischen Gefährdungen und Arbeitsbedingungen von Betriebsärzten berücksichtigt werden.

Fazit: Erzieher:innen berichten von spezifischen berufsbedingten Stimm- und psychomentalen Belastungen. Wie bei anderen stimmintensiven Berufsgruppen sollten auch für Erzieher:innen eine berufsvorbereitende und berufsbegleitende Stimmstörungsprophylaxe betrieben werden. Zudem sollten auch die Arbeitsbedingungen unter dem Aspekt der Gesundheitserhaltung gestaltet werden.


Text

Hintergrund

Erzieher*innen in Kindertagesstätten sind zahlreichen stimmbelastenden Faktoren im Beruf ausgesetzt, wie etwa Lärm und große Gruppenstärken an Kindern. In einer aktuellen Querschnittsstudie konnte erneut die hohe Prävalenz von Stimmstörungen bei pädagogischen Fachkräften festgestellt werden: 54 % der Erzieher*innen und 65,5 % der Lehrer*innen wiesen eine Stimmstörung auf [1]. Deshalb werden Stimmtrainings für diese Berufsgruppen seit langem dringend empfohlen [1], [2]. In der Literatur fehlen jedoch valide Belege, inwieweit die erhöhte Stimmbelastung bei der Ausübung der Tätigkeit als Erzieher*in auch Auswirkungen auf deren psychische Gesundheit hat. Ziel der vorliegenden Studie war es deshalb zu untersuchen, ob und inwieweit die berufsspezifische hohe stimmliche Beanspruchung mit der psychischen Gesundheit der Erzieher*innen zusammenhängt.

Material und Methoden

An der Querschnittsstudie nahmen 192 Erzieherinnen aus Magdeburg und Umgebung im Alter von 43,4 ± 12,8 Jahren freiwillig teil. Mittels Fragebögen (Selbstcheck zur Stimmbelastung [3], Prüfliste nach Rudow [4], General-Health-Questionnaire (GHQ) [5] und Maslach-Burnout-Inventar (MBI) [6]) wurden die Stimmbelastung und -beanspruchung sowie allgemeine Belastungsfaktoren im Beruf und die selbst eingeschätzte psychische Gesundheit erhoben. Die statistischen Auswertungen erfolgten mittels SPSS.

Ergebnisse

Die Befragten fühlen sich durch viele Arbeitsaufgaben, wie das laute Arbeitsumfeld, große Gruppenstärken und permanent lautes Sprechen beruflich beansprucht. 28 % berichten von aktueller Heiserkeit und Brennen im Hals. 66 % klagen über Kopf- und Nackenschmerzen. 42 Erzieher*innen fühlen sich in ihrer psychischen Gesundheit eingeschränkt (21,1 ± 4,4 Pkt. im GHQ-Gesamtscore; dichotomer Score ≥ 5 Pkt.). Nach Auswertung des Maslach-Burnout-Inventars war bei 57,8 % der Erzieherinnen eine geringe emotionale Erschöpfung, bei 22,9 % eine überdurchschnittliche Erschöpfung nachweisbar (Tabelle 1 [Tab. 1]). 12,0 % der Erzieherinnen waren zynischer als der Durchschnitt. Die Leistungsfähigkeit war bei 68,2 % der Probandinnen hoch. 14,1 % fühlten sich nicht leistungsfähig. Insgesamt war bei neun Erzieherinnen (4,5 %) ein Burnout-Risiko festzustellen, 68 (34,0 %) zeigten Symptome für Burnout.

Die selbstberichtete Stimmbelastung korreliert dabei mit der psychischen Gesundheit (r = .287; p < 0,001) und dem Burnout-Risiko (r = .306; p < 0,001).

Diskussion

Die stimmlichen Anforderungen an Erzieher*innen in Kindertagesstätten sind sehr hoch, was die Entstehung des Burnout-Syndroms begünstigen kann. Die Erzieherinnen klagen über eine erhöhte Stimmbelastung lauter sprechen und empfinden das Sprechen als anstrengend. Eine stark empfundene Stimmermüdung nach der Arbeit kann Stimmstörungen zur Folge haben. Ähnliche Ergebnisse lieferte auch die Studie von Kankare et al. [7], die bei mehr als der Hälfte der Erziehrinnen bereits Heiserkeit feststellten, bei knapp 11 % sogar organische Befunde laryngoskopisch sichern konnten.

Maßnahmen der Stimmbildung und zur Prävention berufsbedingter Stimmstörungen sollten verpflichtender Bestandteil in der Ausbildung von Erzieher*innen sein und als berufsbegleitende Fortbildung angeboten werden.

Im Rahmen der ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge sollen die Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingte Gefährdungen vom Betriebsarzt berücksichtigt werden.

Fazit

Erzieher*innen berichten von spezifischen berufsbedingten Stimm- und psychomentalen Belastungen. Wie bei anderen stimmintensiven Berufsgruppen sollten auch für Erzieher*innen eine berufsvorbereitende und -begleitende Stimmstörungsprophylaxe betrieben werden. Zudem sollten auch die Arbeitsbedingungen unter dem Aspekt der stimmlichen und psychischen Gesundheitserhaltung gestaltet werden.

Anmerkung

Die vollständigen Ergebnisse sind nachzulesen unter [8].


Literatur

1.
Tao Y, Lee CTC, Hu YJ, et al. Relevant Work Factors Associated with Voice Disorders in Early Childhood Teachers: A Comparison between Kindergarten and Elementary School Teachers in Yancheng, China. Int J Environ Res Public Health. 2020;17. DOI: 10.3390/ijerph17093081 Externer Link
2.
Voigt-Zimmermann S. Stimmbildung für Lehramtsstudierende – Die Situation an deutschen Hochschulen. L.O.G.O.S. interdisziplinär. 2010;18:42–49
3.
Sportelli A. Selbstcheck Stimmbelastung. [Zugriff am 18.02.2022]. Verfügbar unter: https://www.ergo-online.de/arbeitsorganisation/arbeitsformen/callcenter/arbeitsinstrument-stimme-arbeiten-im-call-center/praxishilfe-selbstcheck-stimmbelastung/ Externer Link
4.
Rudow B. Die Entwicklung einer Prüfliste zur Erfassung vorwiegend psychischer Belastungen bei ErzieherInnen (PBE) – Beitrag zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Forschungsbericht im Auftrag der GEW Baden-Württemberg und der Johannes Löchner Stiftung. Stuttgart/Heddesheim; 2001.
5.
Goldberg DP, Gater R, Sartorius N, et al. The validity of two versions of the GHQ in the WHO study of mental illness in general health care. Psychological Medicine. 1997;27:191–197
6.
Maslach C, Jackson SE. The measurement of experienced burnout. J Occup Behav. 1981:99–113
7.
Kankare E, Geneid A, Laukkanen A-M, et al. Subjective evaluation of voice and working conditions and phoniatric examination in kindergarten teachers. Folia phoniatr logop. 2012;64:12–19. DOI: 10.1159/000328643 Externer Link
8.
Darius S, Voigt-Zimmermann S, Böckelmann I. Effects of occupation-specific vocal stress on the mental health of day care teachers. Folia Phoniatr Logop. 2023 Mar 22. DOI: 10.1159/000530283 Externer Link