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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Hat sich die Qualität des Neugeborenen-Hörscreenings (NHS) in Deutschland verbessert? Ergebnisse der Folge-Evaluation der Jahre 2017/2018

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Inken Brockow - Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Screeningzentrum, München-Oberschleißheim, Deutschland
  • author Kristina Söhl - Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Screeningzentrum, München-Oberschleißheim, Deutschland
  • author Marianne Hanauer - Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Screeningzentrum, München-Oberschleißheim, Deutschland
  • author Annette Heißenhuber - Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Screeningzentrum, München-Oberschleißheim, Deutschland
  • author Carola Marzi - Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Screeningzentrum, München-Oberschleißheim, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (UKM), Münster, Deutschland
  • author Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (UKM), Münster, Deutschland
  • author Ulrich Mansmann - Institut für Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München, Deutschland
  • author Uta Nennstiel - Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Screeningzentrum, München-Oberschleißheim, Deutschland

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV22

doi: 10.3205/23dgpp41, urn:nbn:de:0183-23dgpp415

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Brockow et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Das Neugeborenen-Hörscreening (NHS) wurde 2009 bundesweit eingeführt. Um die Qualität des NHS zu überprüfen, wurde eine erste Evaluation 2011/2012 im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss (G BA) durchgeführt. Diese zeigte, dass das NHS bundesweit gut umgesetzt wurde, aber noch nicht alle Qualitätsziele erreicht wurden. Die Ergebnisse der daraufhin vom G-BA vergebenen Folge-Evaluation 2017/2018 werden dargestellt

Material und Methoden: Grundlage der Evaluationen waren Sammelstatistiken, die von allen geburtshilflichen und neonatologischen Abteilungen erstellt werden müssen. Die Dokumentation des NHS kann auch von Hörscreening-Zentralen (HSZ) übernommen werden. Weitere Daten wurden mit Fragebögen in den Abteilungen und HSZ erhoben und zusätzlich zehn Interviews geführt. Ergänzend wurden Routinedaten, wie z.B. die Bevölkerungsstatistik, für die Evaluation verwendet.

Ergebnisse: Für die Folge-Evaluation wurden die Daten von 1.047 geburtshilflichen und neonatologischen Abteilungen verwendet, über 100 Abteilungen waren seit der ersten Evaluation geschlossen worden. Deutschlandweit hatte sich die dokumentierte Screeningrate des NHS von 82,4 % (2012) auf 86,1 % (2018) verbessert, wobei nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern bestanden und eine Screeningrate von über 95 % nur von knapp der Hälfte der geburtshilflichen Abteilungen erreicht wurde. In 13 Bundesländern sind insgesamt 15 HSZ in den Screeningprozess eingebunden. Diese übernehmen die Dokumentation des NHS und erinnern die Eltern an notwendige Kontrolluntersuchungen sowie fehlende Hörscreenings (Tracking). Jedoch wird in den HSZ nicht immer bis zur endgültigen Diagnose getrackt, so dass bei über der Hälfte der Neugeborenen mit einem auffälligen NHS kein abschließender Befund bekannt war. Ein Kontrollscreening wurde in 54,2 % mit der Messung von transitorisch evozierten akustischen Potentialen (TEOAE) und nicht wie vorgegeben mit einer Hirnstammaudiometrie (AABR) durchgeführt. Insgesamt hatte sich in der Folge-Evaluation die Strukturqualität, nicht jedoch die Prozessqualität verbessert, was insbesondere durch einen Anstieg der Refer-Rate (Kinder, die mit einem auffälligen Befund entlassen wurden) von 5,3 auf 6,0 % deutlich wurde.

Fazit: Das NHS wurde in Deutschland gut umgesetzt. Zur Verbesserung der Qualität des NHS sollten flächendeckend HSZ mit einem Tracking bis zur endgültigen Diagnose etabliert und der in der Richtlinie vorgesehene zweistufige Screeningalgorithmus konsequenter durchgeführt werden.


Text

Hintergrund

Das Neugeborenen-Hörscreening (NHS) wurde 2009 bundesweit in die Regelversorgung eingeführt. Die Umsetzung des NHS inklusive der angestrebten Qualitätsziele ist in der Kinder-Richtlinie geregelt [1]. Diese beinhalten eine Screeningrate von über 95 % der Neugeborenen, ein Kontrollscreening vor Entlassung bei mehr als 95 % der Kinder, bei denen der erste Screeningbefund auffällig war, mit einer Hirnstammaudiometrie (AABR) sowie ein auffälliger Screeningbefund bei weniger als 4 % der entlassenen Kinder (Refer-Rate). Um die Qualität des NHS zu überprüfen, wurde eine erste Evaluation 2011/2012 im Auftrag des gemeinsamen Bundesausschuss (G BA) durchgeführt [2]. Diese zeigte, dass das NHS bundesweit gut umgesetzt wurde, aber noch nicht alle Qualitätsziele erreicht wurden. Die Ergebnisse der daraufhin vom G-BA vergebenen Folge-Evaluation 2017/2018 werden dargestellt [3].

Methode

Grundlage der Evaluation waren Sammelstatistiken, die von allen geburtshilflichen und neonatologischen Abteilungen als Leistungserbringer des NHS mit Daten über geborene und gescreente Kinder, Screening-Methoden und Ergebnisse erstellt werden müssen. Die Dokumentation des NHS kann auch von einer Hörscreening-Zentrale (HSZ) übernommen werden. Weitere Daten wurden mit Fragebögen in den Abteilungen und HSZ erhoben, zusätzlich wurden in den Abteilungen zehn Interviews zur Durchführung des NHS geführt. Ergänzend wurden Sekundärdaten, wie z.B. die Bevölkerungsstatistik und Daten zu ambulanten Geburten, für die Folge-Evaluation verwendet.

Ergebnisse

Für die Folge-Evaluation waren 1.047 geburtshilfliche und neonatologische Abteilungen relevant, von denen 86 % Angaben in dem angeforderten Fragebogen machten. Über 100 Abteilungen waren seit der ersten Evaluation geschlossen worden. 70,3 % der Abteilungen arbeiteten mit einer der 15 Hörscreening-Zentralen zusammen. HSZ übernehmen die Dokumentation des NHS und erinnern die Eltern an notwendige Kontrolluntersuchungen und fehlende Hörscreenings (Tracking). Alle HSZ sind im Verband der Deutschen Hörscreening-Zentralen (VDHZ) organisiert. In elf Bundesländern kooperieren nahezu alle Krankenhäuser mit einer HSZ, in zwei Bundesländern ein Teil der Krankenhäuser. In drei Bundesländern existiert weiterhin keine HSZ. In Hamburg beendete die HSZ zum 01.01.2019 die Arbeit, zum selben Zeitpunkt nahm eine Zentrale für Baden-Württemberg ihre Tätigkeit auf.

Deutschlandweit hatte sich die dokumentierte Screeningrate des NHS von 82,4 % (2012) auf 86,06 % (2018) verbessert, wobei nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern bestanden. War die Mehrzahl der Krankenhäuser in einem Bundesland an eine HSZ angeschlossen, so war die Dokumentation des Screenings in der Regel besser als in den Bundesländern ohne flächendeckende Anbindung. Jedoch wird in den HSZ nicht immer bis zur endgültigen Diagnose getrackt, so dass bei über der Hälfte der Neugeborenen mit einem auffälligen NHS kein abschließender Befund bekannt war. Eine Screeningrate von über 95 % (wie in der Kinder-Richtlinie gefordert) erreichte nur knapp die Hälfte der geburtshilflichen Abteilungen. Ein Kontrollscreening vor Entlassung wurde nur bei knapp der Hälfte der Kinder mit einem auffälligen Befund durchgeführt, in 54,2 % erfolgte dabei die Untersuchung mit der Messung transitorisch evozierter otoakustischer Potentiale (TEOAE) und nicht wie vorgegeben mit einer AABR.

Beim Vergleich der Folge-Evaluation mit den Daten der ersten Evaluation konnte gezeigt werden, dass sich die Strukturqualität des NHS verbessert hatte, während die Prozessqualität eher gleichblieb oder schlechter geworden war. Dies zeigte sich insbesondere durch einen Anstieg der Refer-Rate von 5,3% (2012) auf 6,0 % (2018).

Diskussion

Die in der Kinder-Richtlinie vorgesehenen Sammelstatistiken der Leistungserbringer dokumentieren nicht immer vollständig und plausibel die relevanten Screeningparameter. Auch werden die Daten damit kumulativ erfasst, so dass nur in den von den HSZ bereitgestellten anonymisierten Einzeldatensätzen der Screeningprozess vollständig evaluiert werden kann. Allerdings unterscheiden sich die Daten hinsichtlich Anzahl und Definition der erhobenen Parameter zwischen den HSZ noch immer beträchtlich, obwohl durch den VDHZ eine Vereinheitlichung der Daten initiiert worden war. Eine flächendeckende Anbindung aller Krankenhäuser an eine HSZ sollte angestrebt werden.

Ein entscheidender Faktor für die Qualität und Akzeptanz eines Screening-Programmes ist eine niedrige Rate an auffälligen Befunden, die weiter abgeklärt werden müssen (Refer-Rate). Dies kann beim NHS vor allem durch eine gute Messqualität und einen mehrstufigen Screeningalgorithmus erreicht werden. Dafür sollte das screenende Personal, ggf. auch online, regelmäßig geschult werden und das in der Richtlinie vorgesehene Kontrollscreening vor Entlassung nach einem ersten auffälligen Screeningbefund konsequent durchgeführt werden. Zu überlegen wäre bei Kindern ohne Risikofaktoren für perinatale Hörstörungen nach einem auffälligen Erstscreening mit TEOAE auch ein Kontrollscreening mit TEOAE zu akzeptieren, da so wahrscheinlich die Anzahl der durchgeführten Kontrollscreenings erhöht werden könnte.

Schlussfolgerung

Das NHS wurde in Deutschland gut umgesetzt. Zur Verbesserung der Qualität des NHS sollten flächendeckend HSZ mit einem Tracking bis zur endgültigen Diagnose etabliert und der in der Richtlinie vorgesehene zweistufige Screeningalgorithmus konsequenter durchgeführt werden.


Literatur

1.
Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früh-erkennung von Krankheiten bei Kindern (Kinder-Richtlinie). [Zugriff am 14.04.2023]. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-3038/Kinder-RL_2022-12-15_iK-2022-12-15.pdf Externer Link
2.
Nennstiel-Ratzel U, Brockow I, Söhl K, Zirngibl A, am Zehnhoff-Dinnesen A, Matulat P, Rieger A, Mansmann U. Endbericht zur Evaluation des Neugeborenen-Hörscreenings 2011/2012. [Zugriff am 25.10.2021]. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4329/d6bf33f5b947fe0d46fc167b84c2d3f7/2017-05-18_Kinder-RL_Annahme_Endbericht_NHS-Bericht.pdf Externer Link
3.
Nennstiel U, Brockow I, Hanauer M et al. Endbericht zur Folge-Evaluation des Neugeborenen-Hörscreenings 2017/2018. [Zugriff am 18.04.2023]. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-9045/2022-11-17_Kinder-RL_Abnahme-Endbericht-Folge-Evaluation-NHS_Bericht.pdf Externer Link