gms | German Medical Science

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Gründe für eine Nichtteilnahme („Drop-out“) von Menschen mit geistiger Behinderung (gB) an einem wiederholten Hörscreeningangebot in deren Lebensumgebung

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Susanne Wasmuth - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Corinna Gietmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Lukas Prein - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Philipp Mathmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Awa Naghipour - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Susanna Marie Zielonkowski - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Oliver Kanaan - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Anna Sophie Schwalen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Anna Schotenröhr - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Katharina Schwarze - Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
  • author Karolin Schäfer - Lehrstuhl für Pädagogik und Rehabilitation lautsprachlich kommunizierender Menschen mit Hörschädigung (Audiopädagogik), Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
  • author Werner Brannath - Kompetenzzentrum für Klinische Studien Bremen, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
  • author Phillip-Hendrik Höhne - AOK Rheinland/Hamburg, Stabsbereich Politik/Gesundheitsökonomie, Düsseldorf, Deutschland
  • author Sibel Altin - AOK Rheinland/Hamburg, Stabsbereich Politik/Gesundheitsökonomie, Düsseldorf, Deutschland
  • author Martin Scharpenberg - Kompetenzzentrum für Klinische Studien Bremen, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
  • author Sarah Schlierenkamp - Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement (EsFoMed) GmbH, Essen, Deutschland
  • author Nicole Stuhrmann - Praxis für HNO Heilkunde, Pädaudiologie und Phoniatrie, Düsseldorf-Meerbusch, Deutschland
  • author Ruth Lang-Roth - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Köln, Köln, Deutschland
  • author Muhittin Demir - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Universitätsklinikum Essen, Essen, Deutschland
  • author Sandra Diekmann - Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement (EsFoMed) GmbH, Essen, Deutschland
  • author Anja Neumann - Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
  • author Katrin Neumann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocP20

doi: 10.3205/23dgpp40, urn:nbn:de:0183-23dgpp401

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Wasmuth et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Im GB-A-geförderten Projekt HörGeist (Förderkennzeichen 01NVF18038) wird unter anderem erforscht, inwieweit durch Hörtests in der jeweiligen Lebensumgebung von Menschen mit geistiger Behinderung (gB) bislang unbekannte oder unterversorgte Hörstörungen (HS) entdeckt und suffizient versorgt werden können. Die vorliegende Arbeit untersucht Gründe bisheriger Drop-outs bei einer wiederholten Screeningteilnahme.

Material und Methoden: 1.050 Personen mit gB aus 3 Altersstufen (je 350 K = Kinder, J = Jugendliche und E = Erwachsene) erhalten im Abstand von einem Jahr zwei Hörscreenings in ihrer jeweiligen Lebensumgebung. Die bisher 31 bekannten Abbrechenden wurden 4 Gruppen zugeordnet: 0 = verstorben, 1 = ins Ausland verzogen, 2 = Gesundheitszustand stark verschlechtert und 3 = persönliche Gründe.

Ergebnisse: Zum Zeitpunkt der Auswertung waren alle 1.050 Erst- und 392 Zweitscreenings durchgeführt; letztere verteilten sich auf 12 K, 183 J und 197 E. Die bisherige Drop-out-Quote von 31 Personen betrug insgesamt 7,9 % und in den Gruppen 16,7 % (n = 2 K), 2,7 % (n = 5 J) und 12,2 % (n = 24 E). Es waren 11, 2, 4 und 14 Menschen aus den Gründen 0, 1, 2 und 3 ausgeschieden. Damit waren 80,7 % der Drop-outs auf das Versterben von Teilnehmenden (mittleres Sterbealter der 10 E: 69;4 ± 12;0 Jahre) oder auf persönliche Gründe (mittleres Alter der E: 49;2 ± 14;3 Jahre) zurückzuführen. Bei 11 der 14 Abbrechenden aus Grund 3 ergaben Gespräche, dass die bei ihnen allen festgestellte Hörstörung negiert wurde und die empfohlene Versorgung mit einer Hörhilfe stärkere Ängste und Verunsicherungen hervorrief.

Diskussion: Ängste und Verunsicherungen bei einer HS deuten auf mangelnde Information von Betreuenden und Betroffenen hin. Die 10 von 11 durch Versterben erzeugten Drop-outs bei E weisen auf das generell mit dem Alter erhöhte Sterberisiko. Die geringe Drop-out-Rate bei J könnte deren engmaschige Betreuung reflektieren. Die noch geringe Zahl wiederholt angebotener Hörscreenings bei K lässt deren Auswertung noch nicht sinnvoll erscheinen.

Fazit: Die individuelle und zielgruppenorientierte Aufklärung über die Vorteile und die Handhabung von Hörhilfen und eine Hörrehabilitation könnte entscheidend für eine erfolgreiche Regel-Hörversorgung von Menschen mit gB sein. Ein höheres Alter beim ersten Hörscreening ist mit einem erhöhten Risiko für einen Drop-out durch Versterben beim wiederholten Hörscreening korreliert. Für die Abbruchgründe bei J und vor allem K werden valide Ergebnisse nach Abschluss aller Zweitscreenings erwartet.


Text

Hintergrund

Im vom Innovationsfonds Neue Versorgungsformen des Gemeinsamem Bundesausschusses geförderten und von Januar 2020 bis Juli 2024 laufenden Projekt HörGeist (Förderkennzeichen 01NVF18038) wird erforscht, inwieweit durch Hörtests in der jeweiligen Lebensumgebung von Menschen mit geistiger Behinderung (gB) un- oder unterversorgte Hörstörungen entdeckt, ausdiagnostiziert und suffizient versorgt werden können [1]. Dazu werden die Teilnehmenden im Jahresabstand zu zwei Hörscreenings eingeladen. Die vorliegende Arbeit untersucht die Gründe der bisherigen Drop-outs bei der zweiten Screeningteilnahme, um die Akzeptanz einer wiederholten Teilnahme bei einer Überführung der Hörscreenings in eine künftige Regelversorgung zu prüfen.

Material und Methoden

Insgesamt durchlaufen 1.050 Personen mit gB zweimal ein Hörscreening-, -diagnostik- und -therapieprogramm. Jeweils 350 Kinder im Alter von 0-6 Jahren, Schulkinder bzw. Jugendliche im Alter von ≥6 bis <18 Jahren und Erwachsene (≥18 Jahre) werden dazu in heilpädagogisch und integrativ arbeitenden Kindertagesstätten, Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Inklusionsschulen, Wohnheimen, Anlagen für betreutes oder ambulantes Wohnen, anerkannten Werkstätten oder an betriebsintegrierten Arbeitsplätzen aufgesucht.

Die bisher 31 bekannten Abbrechenden wurden vier Gruppen zugeordnet: 1 = verstorben; 2 = ins Ausland oder nach unbekannt verzogen; 3 = Gesundheitszustand so stark verschlechtert, dass ein Hörscreening unmöglich oder nicht sinnhaft erschien und 4 = persönliche Gründe wie z.B. kategorische Ablehnung oder Angst vor einer Diagnosestellung.

Ergebnisse

Zum Zeitpunkt der Auswertung waren alle 1.050 Erst- und 392 Zweitscreenings bei 12 Kindern, 183 Jugendlichen und 197 Erwachsenen durchgeführt (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Die bisherige Drop-out-Quote betrug insgesamt 7,3 % (31 Personen von intendierten 423 Zweitscreenings). In den jeweiligen Altersgruppen betrug die Drop-out-Quote 14,3 % (2 von 14 jungen Kindern), 2,7 % (5 von 188 Schulkindern und Jugendlichen) und 10,9 % (24 von 221 Erwachsenen).

Die 31 bisherigen Drop-outs verteilten sich auf 11, 2, 4 und 14 Menschen aus den vier verschiedenen Abbruchgründen (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Der Großteil der Drop-outs, nämlich 80,7 % (25 von 31), war auf das Versterben von Teilnehmenden (n = 11; 35,5 %) oder auf persönliche Gründe (n = 14; 45,2 %) zurückzuführen. Unter den elf verstorbenen Personen befand sich neben zehn Erwachsenen auch ein Kind. Das mittlere Sterbealter der Erwachsenen betrug 69;4 ± 12;0 Jahre und lag damit unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. Das mittlere Alter der Erwachsenen aus anderen Drop-out-Gründen betrug dagegen 49;2 ± 14;3 Jahre. Bei elf der 14 aus persönlichen Gründen Abbrechenden ergaben Gespräche, dass eine bei ihnen festgestellte Hörstörung von ihnen negiert wurde. Die empfohlene Versorgung mit einer Hörhilfe rief bei ihnen stärkere Ängste und Verunsicherungen hervor. Bei der Verordnung einer Hörhilfe wurde öfter von den betreuenden Personen die Notwendigkeit der Hörhilfe in Frage gestellt. Zudem wurden von einem Großteil der Betreuenden generelle Bedenken geäußert, ob die zu versorgende Person zur sicheren Handhabung einer Hörhilfe in der Lage wäre.

Diskussion

Ängste und Verunsicherungen bei einer Hörstörung deuten auf mangelnde Information von Betroffenen und Betreuenden hin. Fehlendes Verständnis für die Notwendigkeit einer Hörhilfe kann in einer die Versorgung ablehnenden Haltung münden. Die elf durch Versterben erzeugten Drop-outs weisen auf das altersabhängige und generell bei Menschen mit gB erhöhte Sterberisiko hin. Die geringe Drop-out-Rate bei Jugendlichen könnte deren im Vergleich zu Erwachsenen engmaschigere Betreuung reflektieren. Die noch geringe Zahl wiederholt angebotener Hörscreenings bei Kindern lässt deren Auswertung noch nicht sinnvoll erscheinen.

Fazit/Schlussfolgerung

Die individuelle und zielgruppenorientierte Aufklärung über die Vorteile und die Handhabung von Hörhilfen und eine Hörrehabilitation könnte entscheidend für eine erfolgreiche Regel-Hörversorgung von Menschen mit gB sein. Ein höheres Alter beim ersten Hörscreening ist mit einem erhöhten Risiko für ein Drop-out durch Versterben beim wiederholten Hörscreening korreliert. Für die Abbruchgründe bei Jugendlichen und vor allem Kindern werden valide Ergebnisse nach Abschluss aller Zweitscreenings erwartet.


Literatur

1.
Schwarze K, Mathmann P, Schäfer K, Brannath W, Höhne PH, Altin S, Prein L, Naghipour A, Zielonkowski SM, Wasmuth S, Kanaan O, Am Zehnhoff-Dinnesen A, Schwalen AS, Schotenröhr A, Scharpenberg M, Schlierenkamp S, Stuhrmann N, Lang-Roth R, Demir M, Diekmann S, Neumann A, Gietmann C, Neumann K. Effectiveness and costs of a low-threshold hearing screening programme (HörGeist) for individuals with intellectual disabilities: protocol for a screening study. BMJ Open. 2023 May 18;13(5):e070259. DOI: 10.1136/bmjopen-2022-070259 Externer Link