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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Auswirkungen der Zeitspanne zwischen bilateralen Cochlea Implantationen auf die Lokalisationsfähigkeit von Kindern gemessen mit dem ERKI

Vortrag

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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV19

doi: 10.3205/23dgpp32, urn:nbn:de:0183-23dgpp320

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Müller et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die bilaterale Versorgung mit Cochlea Implantaten kann neben einem verbesserten Sprachverstehen auch ein verbessertes Richtungshören im Vergleich zur unilateralen Versorgung ermöglichen. Einflussfaktoren für den Zugewinn durch bilaterale Versorgung sind neben dem Implantationsalter, die Dauer der Nutzung als auch die Zeitspanne, die zwischen beiden Implantationen liegt. Ziel dieser Studie ist, die Lokalisation bei bilateral versorgten Kindern in Abhängigkeit dieser Zeitspanne zu untersuchen.

Material und Methoden: Die Untersuchungen wurden mit dem Erweiterungsmodul am Mainzer-Kindertisch „ERKI“ (Erfassung des Richtungshörens bei Kindern) zur Bestimmung der Lokalisationsfähigkeit durchgeführt. Bis dato nahmen 18 Kinder (5 - 14 Jahre, Ø 9 Jahre), die bilateral mit CIs versorgt sind, an diesem Lokalisationstest teil. Die Nutzungsdauer beider CIs betrug mindestens 4 Jahre. In Abhängigkeit zum Versorgungszeitpunkt des erst- und des zweitimplantierten CIs wurden 4 unterschiedliche Gruppen betrachtet. (Gruppe 1 = simultane Aktivierung der CIs; Gruppe 2 = sequentielle Aktivierung innerhalb eines Jahres; Gruppe 3 = sequentielle Aktivierung 1 - 2 Jahre; Gruppe 4 = sequentielle Aktivierung 2 - 5 Jahre).

Das ERKI-Verfahren nutzt die Erzeugung virtueller Schallquellen, so dass die Lokalisationsfähigkeit im Abstand von 5° genau getestet werden kann. Der Eindruck des virtuellen Schallortes wurde mit Hilfe von Lautsprecherpegeldifferenzen erzeugt. Als Stimulus diente rosa Rauschen mit einer Länge von 300 ms, das den Patienten im Bereich von -90° bis +90° in der horizontalen Ebene in 1 m Abstand zufällig angeboten wurde. Der eingestellte Pegel belief sich auf 65 dB SPL.

Ergebnisse: Es zeigt sich, dass Kinder die innerhalb von 2 Jahren mit beiden CIs versorgt wurden ein signifikant besseres Lokalisationsvermögen aufwiesen, als Kinder, bei denen ein längeres Zeitintervall zwischen den beiden Implantationen vorlag. Insgesamt weisen die Lokalisationsergebnisse jedoch in allen Gruppen eine hohe Variabilität auf.

Diskussion: Es zeigen sich Vorteile einer möglichst frühzeitigen bilateralen CI-Versorgung, wenn die Implantationen beider Seiten eine geringe Zeitdifferenz aufweisen. Dies verbessert die binaurale Hörfähigkeit.

Fazit: Liegen die Zeitpunkte von Cochlea Implantationen der ersten und der zweiten Seite eng beieinander, entwickeln die Kinder eine gute Lokalisationsfähigkeit.


Text

Hintergrund

Bilateral mit Cochlea Implantaten (CIs) versorgte Kinder zeigen bessere Ergebnisse in der Hör- und Sprachentwicklung als unilateral mit CI versorgte Kinder [1]. Eine bilaterale Versorgung kann simultan erfolgen (in einer OP) oder sequentiell in einem Abstand von Wochen bis hin zu mehreren Jahren. Die Vorteile einer simultanen Versorgung bei Kindern zeigen sich in deren Hör- und Sprachentwicklung [2]. Nichtsdestotrotz gibt es eine nicht zu unterschätzende Anzahl von nicht-medizinischen Gründen für Eltern eine simultane Versorgung abzulehnen und eine sequentielle Versorgung vornehmen zu lassen [3].

Das Ziel dieser Studie ist den Einfluss des zeitlichen Abstands zwischen den bilateralen Implantationen im Hinblick auf die Fähigkeit der Lokalisationsfähigkeit zu evaluieren. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass eine simultane bilaterale CI-Versorgung zu einer besseren Lokalisationsfähigkeit führt als eine sequentielle Versorgung.

Methoden

18 Kinder (5 – 14 Jahre, Ø 9 Jahre), die bilateral mit CIs versorgt sind, nahmen an dem Test zum Richtungshören teil. Die Kinder waren mindestens 4 Jahre mit CIs versorgt und trugen Systeme des Herstellers MED-EL. In Abhängigkeit zum Versorgungszeitpunkt des erst- und des zweitimplantierten CIs wurden vier unterschiedliche Gruppen betrachtet. (Gruppe 1 = simultane Aktivierung der CIs; Gruppe 2 = sequentielle Aktivierung innerhalb eines Jahres; Gruppe 3 = sequentielle Aktivierung zwischen 1. und 2. Jahr; Gruppe 4 = sequentielle Aktivierung zwischen 2. und 5. Jahr).

Die Untersuchungen wurden mit dem Erweiterungsmodul am Mainzer-Kindertisch „Erfassung des Richtungshörens bei Kindern, ERKI“, durchgeführt [4]. Hier können zwischen den 5 realen Lautsprechern, virtuelle Schallquellen durch eine Lautsprecher-Pegel-Differenz generiert werden. So ist es möglich, im vorderen Halbkreis in einem Winkelbereich von +90 bis 90° Signale aus 37 Schallquellen mit einem Abstand von 5° darzubieten. Um durch die Sichtbarkeit der realen Lautsprecher das Ergebnis nicht zu verfälschen, werden diese mit einem schalldurchlässigen Sichtschutz abgedeckt. Mit Hilfe eines LED-Balkens und eines Drehreglers kann ein Leuchtpunkt in die Richtung gedreht werden, aus der die Kinder meinten das Signal wahrgenommen zu haben. Der in der aktuellen Studie verwendete Stimulus war ein rosa Rauschen mit einer Dauer von 300 ms. Die Messung mit einer vorausgehenden Trainingsmessung dauerte ca. 20 Minuten. Die Studie wurde in Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki durchgeführt und von der Ethikkommission der Universität zu Köln, Deutschland, genehmigt (Antragsnummer: 20-1236).

Ergebnisse

Abbildung 1a-d [Abb. 1] zeigt die Ergebnisse für die unterschiedlichen Gruppen aufgeteilt nach den jeweiligen zeitlichen Intervallen zwischen den Implantationen. Insgesamt weisen die Ergebnisse der Lokalisationsfähigkeit in allen Gruppen eine hohe Variabilität auf. Unterschiede zwischen den Gruppen zeigen sich jedoch in den lateralen Bereichen von +45°bis +90°und -45°bis -90°. Die Kruskal-Wallis Varianzanalyse zeigt einen signifikanten Unterschied der Gruppen (p = 0.019). Die anschließende Bonferroni-Korrektur zeigt, dass die Kinder der Gruppe 4 (Intervall 2-5 Jahre) eine signifikant schlechtere Lokalisationsfähigkeit aufzeigten im Vergleich zu den Kindern der Gruppen 1-3 (p < 0.05).

Diskussion

Kinder, die innerhalb von 2 Jahren bilateral mit CIs versorgt wurden, weisen eine signifikant bessere Lokalisationsfähigkeit auf als Kinder, bei denen ein längeres Zeitintervall zwischen den beiden Implantationen vorlag. Eine simultane Versorgung scheint im Vergleich zur zeitnahen sequentiellen Versorgung (< 2 Jahre) für das Lokalisationsvermögen jedoch keinen weiteren Zugewinn zu bringen.

Daten von normalhörenden Kindern zeigen eine altersabhängige Lokalisationsfähigkeit. Ab einem Alter von 4-5 Jahren ist das Richtungshören soweit ausgebildet, als dass Ergebnisse entlang der Winkelhalbierenden, der perfekten Lokalisationsleistung, sichtbar sind. Bis zu einem Alter von 8 Jahren liegt jedoch auch bei normalhörenden Kindern eine größere Streuung im lateralen Bereich vor [5]. Die Ergebnisse der unterschiedlichen CI-Gruppen mit den Daten normalhörender Kinder zu vergleichen, ist nur schwer möglich. In jeder Gruppe hatten die Kinder ein Höralter von mindestens 4 Jahren bis hin zu 13 Jahren. Aufgrund dieser großen Streuung wurde kein Vergleich aufgrund von Hör- oder Lebensalter durchgeführt. Dies könnte nur auf individueller Basis erfolgen.


Literatur

1.
Tait M, Nikolopoulos TP, de Raeve L, et al. Bilateral versus unilateral cochlear implantation in young children. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2010;74(2):206-211.
2.
Ramsden JD, Gordon K, Aschendorff A, et al. European bilateral pediatric cochlear implant forum consensus statement. Otol Neurotol. 2010;33:561-565.
3.
Santa Maria PL, Oghalai JS. When is the best timing for the second implant in pediatric bilateral cochlear implantation? Laryngoscope. 2014;124(7):1511-1512.
4.
Plotz K, Schmidt K. Lokalisation realer und virtueller Schallquellen mit einem automatisierten Erweiterungsmodul am Mainzer-Kindertisch – Entwicklung des ERKI-Verfahrens [Localization of real and virtual sound sources using an automated extension module of the „Mainzer Kindertisch“ – Development of the ERKI-method]. Z Audiol. 2017;56:6-18.
5.
Kühnle S, Ludwig AA, Meuret S, et al. Development of auditory localization accuracy and auditory spatial discrimination in children and adolescents. Audiol Neurootol. 2013;18(1):48-62.