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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Einfluss von Richtungsunterschieden auf die Auditory Stream Segregation

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Alexandra Ludwig - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Corina Küttner - Institut für Biologie, Universität Leipzig, Fakultät für Lebenswissenschaften, Leipzig, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV16

doi: 10.3205/23dgpp26, urn:nbn:de:0183-23dgpp267

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Ludwig et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die auditorische Analyse unserer Umwelt, bei der für jedes Schallereignis von unserem Hörsystem eine perzeptuelle Repräsentation generiert wird, wird als Auditory Scene Analysis beschrieben. Anhand der physikalischen Eigenschaften (Cues) werden die Schallereignisse in sog. Streams entweder segregiert oder gruppiert. Nicht klar ist bisher, in wieweit räumliche Bedingungen bei der Stream Segregation eine Rolle spielen.

Material und Methoden: Insgesamt haben 33 Personen im Alter von 20 bis 37 Jahren (11m/22w, mittleres Alter: 28 Jahre, ±5 Jahre) an den Untersuchungen teilgenommen. Eine Tonfolge X (targets) wurde aus verschiedenen horizontal angeordneten Referenzlautsprechern (X0°, X47° und X90°) präsentiert, während eine Tonfolge O aus einem anderen Lautsprecher mit einem sich stetig verringerndem Abstand von O34°, O17°, O9°, O4° präsentiert wurde. Es wurde untersucht, mit welcher Erkennungswahrscheinlichkeit (EW) die beiden Tonfolgen als zwei getrennte Tonfolgen (segregiert) wahrgenommen werden können.

Ergebnisse: Bei allen Referenzpositionen und dem geringsten X/O-Abstand lag die EW zwischen 15% und 40% und nahm mit größer werdenden Abständen zu. Bei X0°/O9° lag die EW bei 65%. In der X47°/O9°-Bedingung zeigte sich eine überdurchschnittlich große Streuung der EW von 3% bis 98%. In der X90°/9°-Bedingung lag die EW dagegen immer noch bei 15%. Nur für X0° und X47° und einem X/O-Abstand von 17° lag die EW zwischen 80% und 93% jedoch nicht in der X90°-Bedingung. Erst bei einem X/O-Abstand von 34° lag die EW zwischen 85% und 93% unabhängig von der Referenzrichtung.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Fähigkeit, die beiden Tonfolgen X und O voneinander zu trennen, bei allen Probanden mit zunehmender räumlicher Separation verbesserte. Bei einer Separation von 9° bzw. 17° war die Varianz der einzelnen Werte auffallend hoch. Daraus lässt sich ableiten, dass die Fähigkeit, die beiden Tonfolgen in Abhängigkeit von ihrer räumlichen Separation in zwei voneinander unabhängige Streams zu segregieren, individuell sehr verschieden war. Erst bei einem Abstand von 34° war es fast allen Probanden möglich, die zwei Tonfolgen zu segregieren.

Fazit: Auch wenn die genaue Bedeutung räumlicher Cues für die Auditory Stream Segregation in der Literatur umstritten ist, wurde in der aktuellen Studie gezeigt, dass eine räumliche Separation verschiedener Schallereignisse die Segregation derselben in unterschiedliche Streams ermöglicht und verbessert.


Text

Hintergrund

Nahezu ununterbrochen treffen akustische Stimuli verschiedenster Schallquellen auf unsere Ohren. Obwohl sich diese Schallwellen überlagern und das Trommelfell durch eine eindimensionale Wellenfront in Schwingung versetzen, ermöglicht uns unser Hörsystem, in diesem Gemisch komplexer Schallreize einzelne akustische Objekte voneinander zu trennen. Bregman [1] beschreibt die auditorische Analyse unserer Umwelt, bei der für jedes Schallereignis von unserem Hörsystem eine perzeptuelle Repräsentation generiert wird, als Auditory Scene Analysis. Sie basiert auf einer Vielzahl zentral auditorischer Analysen, bei der alle über die sensorischen Eingänge eintreffenden akustischen Informationen anhand ihrer physikalischen Eigenschaften in sogenannte Auditory Streams getrennt (Auditory Stream Segregation) oder gruppiert (Auditory Grouping) werden. Bisher wurde die Stream Segregation vor allem mit Frequenzunterschieden untersucht. Unklar ist jedoch, inwieweit räumliche Unterschiede bei der Stream Segregation eine Rolle spielen. Die nachfolgende Studie untersucht den Einfluss der räumlichen Trennung identischer akustischer Stimuli auf die Auditory Stream Segregation.

Methode

An der Studie nahmen 33 Personen im Alter von 20 bis 37 Jahren (11m/22w, mittleres Alter: 28 Jahre, ±5 Jahre) teil. Als Stimuli wurden Rauschsignale (Dauer: 50 ms inklusive Anstiegs- und Abfallflanken) mit Schalldruckpegeln von 60, 65, 70 und 75 dB verwendet. Dem Probanden wurden zwei Tonfolgen (X und O) aus zwei unterschiedlichen Lautsprechern präsentiert. Die Tonfolge X wurde aus einem der Referenzlautsprecher präsentiert, während Tonfolge O aus einem benachbarten Lautsprecher mit einem Abstand von 4°, 9°, 17° oder 34° präsentiert wurde. Die Stimuli der Tonfolge X wurden mit einer Lautstärke von 60 dB SPL (non-targets) bzw. 70 dB SPL (targets) präsentiert, während die Lautstärke der Stimuli der Tonfolge O randomisiert 60, 65, 70 und 75 dB SPL betrug. Die Aufgabe der Probanden war, die lauteren Töne der Tonfolge X mithilfe einer Antwortbox zu markieren und nicht auf die Töne der Tonfolge O zu achten. Bei jedem Durchgang wurde der räumliche Abstand der Tonfolgen verringert und die Erkennungswahrscheinlichkeit (EW) der targets gemessen, um zu bestimmen, bis zu welchem Lautsprecherabstand die Tonfolgen segregiert werden können.

Ergebnisse

Bei X0° und X47° (Abbildung 1A und B [Abb. 1]) lag die Erkennungswahrscheinlichkeit bei einem Abstand von 4° im Mittel bei 25% und nahm mit Vergrößerung des Abstandes signifikant zu (p < 0,00). In der X0°/O9° und in der X47°/O9°-Bedingung zeigte sich eine überdurchschnittlich große Streuung der EW von 20% bis 80%. Bei einem Lautsprecherabstand von 17° wurden in beiden Bedingungen über 90% der targets erkannt. Bei X90°/O4° sowie bei X90°/O9° (Abbildung 1C [Abb. 1]) lag die EW noch unter 20% und es wurde eine Verbesserung der EW erst ab einem Abstand von 17° und 34° (p < 0,00) erreicht.

Die Fähigkeit, die beiden Tonfolgen voneinander zu trennen, wurde nicht allein durch den räumlichen Abstand zwischen den beiden Tonfolgen beeinflusst, sondern auch durch die Referenzrichtung, aus der die targets präsentiert wurden. Bei einem X/O Abstand von 4° zeigten sich noch keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Referenzrichtungen. Wurden die targets mit einem X/O Abstand von 9° präsentiert, unterschieden sich die EW aller Referenzrichtungen mit höchster EW bei X0°. Bei Präsentation der targets mit einem X/O Abstand von 17° gab es keine signifikanten Unterschiede der EW zwischen der Präsentation von X0° und X47°, aber die EW war bei X90° deutlich geringer (p < 0,00). Erst bei einem X/O Abstand von 34° gab es keine signifikanten Unterschiede der EW zwischen den Referenzrichtungen.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Fähigkeit, die beiden Tonfolgen X und O zu segregieren, bei allen Probanden mit zunehmender räumlicher Separation verbesserte. Bei einer Separation von 9° bzw. 17° war die Varianz der einzelnen Werte auffallend hoch. Daraus lässt sich ableiten, dass die Fähigkeit, die beiden Tonfolgen in zwei voneinander unabhängige Streams zu segregieren, individuell sehr verschieden aber durch eine räumliche Separation möglich ist. Die Daten zeigen auch, dass nicht nur die räumliche Separation zur Stream Segregation beiträgt, sondern auch, dass sich die Stream Segregation mit zunehmender Lateralität verschlechtert.

Schlussfolgerung

Auch wenn die genaue Bedeutung räumlicher Cues für die Auditory Stream Segregation in der Literatur umstritten ist, wurde in der aktuellen Studie gezeigt, dass eine räumliche Separation der Stimuli die Segregation derselben in unterschiedliche Streams ermöglicht und verbessert.


Literatur

1.
Bregman AS. Auditory Scene Analysis. MIT Press; 1990.