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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Wirksamkeit stationärer Stimmrehabilitation

Vortrag

  • Vera Beschorner - Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Regensburg, Regensburg, Deutschland
  • Nóra Damásdi - Eötvös Loránd University – Bárczi Gusztáv Faculty, Budapest, Ungarn
  • Angéla Imre - Eötvös Loránd University – Bárczi Gusztáv Faculty, Budapest, Ungarn
  • Philipp Stangl - Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Regensburg, Regensburg, Deutschland; Abteilung HNO – Phoniatrie, PASSAUER WOLF Reha-Zentrum, Bad Gögging, Deutschland
  • Tamas Hacki - Semmelweis Universität Budapest, Budapest, Ungarn
  • presenting/speaker Hansjörg Kramer - Abteilung HNO – Phoniatrie, PASSAUER WOLF Reha-Zentrum, Bad Gögging, Deutschland
  • corresponding author Peter Kummer - Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Regensburg, Regensburg, Deutschland; Abteilung HNO – Phoniatrie, PASSAUER WOLF Reha-Zentrum, Bad Gögging, Deutschland

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV15

doi: 10.3205/23dgpp25, urn:nbn:de:0183-23dgpp258

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Beschorner et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Zusammenfassung

Hintergrund: Eine stationäre Stimmrehabilitation ist bei bestehender oder drohender Minderung der Teilhabe eine Therapiemöglichkeit für Patienten mit Stimmstörungen nach erfolgloser ambulanter logopädischer Behandlung. Die prospektiv zwischen 2015 und 2017 durchgeführte Studie dient der Evaluation dieses stationären Therapieangebots am PASSAUER WOLF Reha-Zentrum Bad Gögging.

Material und Methoden: Bei 256 Patienten wurden nach dem ELS Protokoll im Rahmen einer stationären Stimmrehabilitation als Eingangs- und Abschlussdiagnostik neben dem stroboskopischen Befund objektive funktionsdiagnostische Daten der Stimmgebung, sozialmedizinische und Daten zur Grunderkrankung sowie das subjektive Erleben mittels des VHI-12 erhoben, letzteres auch nach 3 und 12 Monaten nach Entlassung.

Ergebnisse: Die mittlere Abnahme im VHI-12 betrug 5,2 Punkte. Der Therapieerfolg war langanhaltend und nach 12 Monaten nicht wesentlich gemindert.

Der subjektive Therapieerfolg korrelierte mit Messgrößen objektiver Stimmdiagnostik (perzeptive Stimmklangbewertung, objektive Stimmschallanalyse und Stimmleistung in Untersuchungen des Sprech- und Singstimmfeldes).

Der Therapieerfolg war von Geschlecht, Alter, Diagnosegruppe, beruflichem Stimmanspruch, Umfang der ambulanten Vortherapie und Chronizität der Stimmstörung unabhängig.

Diskussion: Die Daten beschreiben erstmals den kurz-, mittel- und langfristigen Erfolg einer stationären Stimmrehabilitation.

Die Verbesserung des stimmlichen Handicaps entspricht mit durchschnittlich 5 Punkten fast einer ganzen Stufe der VHI-12 Skala. Die subjektive Einschätzung korreliert mit den objektiven Messparametern und macht Erfolg und Qualitätsbeurteilung der Maßnahme transparent.

Für die Indikationsstellung ist relevant, dass der Erfolg der Maßnahme unabhängig von den untersuchten Einflussgrößen ist; für alle Patientengruppen ist ein vergleichbarer Erfolg zu erwarten, lediglich sinkt die Schwelle, ab der eine stationäre Rehabilitation in Anspruch genommen wird, mit dem Maß der beruflichen Stimmanforderung.

Fazit: Der Erfolg einer stationären Stimmrehabilitation ist mit einer signifikanten Abnahme des VHI-12 um nahezu eine Stufe sowohl kurz-, mittel- als auch langfristig nachweisbar, unabhängig von den untersuchten Einflussfaktoren, insbesondere der Diagnosegruppe und dem beruflichem Stimmanspruch. Die Korrelation mit objektiven Stimmleistungsparametern macht den Erfolg transparent und zeichnet die stationäre Stimmrehabilitation als Verfahren der medizinischen und beruflichen Rehabilitation aus.


Text

Hintergrund

Eine stationäre Stimmrehabilitation, wie sie in Deutschland in wenigen Rehabilitationszentren angeboten wird, ist bei bestehender oder drohender Minderung der Teilhabe für Patienten mit Stimmstörungen nach erfolgloser ambulanter logopädischer Behandlung oft die letzte Therapieoption. Die prospektiv durchgeführte Studie dient der Evaluation dieses stationären Therapieangebots am PASSAUER WOLF Rehabilitationszentrum Bad Gögging.

Material und Methoden

In Kooperation mit der Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Regensburg wurden zwischen 1/2014 und 2/2017 insgesamt 226 stationär behandelte Patienten nach dem ELS Protokoll untersucht. Eingeschlossen wurden Patienten mit funktionellen/malregulativen und organischen Stimmstörungen sowie Störungen der Stimmlippenbeweglichkeit, die über mindestens drei Wochen stationär therapiert wurden. Im Rahmen der phoniatrischen Rehabilitationsmaßnahme wurde eine intensive interdisziplinäre, schwerpunktmäßig logopädische Einzel- und Gruppentherapie durchgeführt. Das Therapieregime wurde ergänzt durch psychologische, physiotherapeutische und sporttherapeutische Maßnahmen sowie durch eine intensive Schleimhautpflege. Edukative Elemente lagen in Vorträgen zu Themen wie Kommunikation/Stimmhygiene, Ernährung sowie Stressbewältigung.

Unmittelbar vor und nach der Rehabilitation wurden neben der Videolaryngostroboskopie und perzeptiven Stimmbeurteilung instrumentelle akustische Analysen der Stimme vorgenommen, Stimmumfangsprofile der Sprech- und Singstimme sowie instrumentelle akustische Parameter ermittelt. Die Selbsteinschätzung des stimmlichen Handicaps (VHI-12) als primäres Outcome wurde darüber hinaus auch 3 und 12 Monate nach Abschluss der Rehabilitation erhoben, bei 81 bis maximal 153 Patienten, deren Angaben im Follow-up erhoben werden konnten.

Neben Veränderungen der genannten Parameter, insbesondere des auch im mittel- und langfristigen Verlauf mittels des VHI-12 bewerteten Therapieerfolges (t-Test für verbundene Stichproben), wurde die Korrelation der Parameter der perzeptiven und instrumentellen Stimmdiagnostik mit der stimmlichen Selbsteinschätzung im VHI-12 untersucht; darüber hinaus wurden Faktoren untersucht, die Einfluss auf den Erfolg der stationären Rehabilitation nehmen könnten, wie Geschlecht, Alter, Chronizität der Stimmstörung, Umfang der ambulanten Vortherapie und beruflicher Stimmbedarf (Korrelation n. Spearman und Pearson).

Ergebnisse

Im Mittel aller Patienten zeigte sich bei Abschluss der stationären Therapie eine Abnahme des mit dem VHI-12 ermittelten Voice-Handicaps von -5,2 Punkten (p < 0,000). Dieser Erfolg war bei Hochleistungssprechern (-4,20 Punkte, p < 0,024), Berufssprechern (-5,86 Punkte, p < 0,001), Nicht-Berufssprechern (-4,48 Punkte, p < 0,001), sowie Patienten ohne beruflichen Stimmbedarf (-4,77 Punkte, p < 0,001) gleichermaßen nachweisbar und zeigte sich darüber hinaus im Follow-up nach 3 und 12 Monaten langanhaltend (Abbildung 1 [Abb. 1]). Hinsichtlich Geschlecht, Alter, Diagnosegruppe, beruflichem Stimmanspruch, Umfang der ambulanten Vortherapie oder Chronizität der Stimmstörung zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Therapieerfolg.

Auch in den Ergebnissen der perzeptiven und instrumentell akustischen Stimmdiagnostik zeigten sich in den Mittelwerten signifikante und klinisch relevante Verbesserungen in Folge der Therapie (Tabelle 1 [Tab. 1], Spalte 1 bis 4). Vor dem Hintergrund der teilhabeorientierten Indikation der stationären Stimmtherapie erschienen dabei die Steigerung der maximalen Lautstärke der Sprechstimme (+3,65 dB, p < 0,000), der Tonhaltedauer (+1,92 sek, p < 0,000), der perzeptiven Stimmbeurteilung (R -0,54, B -0,65, H -0,53, p < 0,000) sowie Zunahmen im Tonhöhenumfang der Singstimme (+1,83 Halbtöne, p < 0,001) besonders relevant. Signifikante Korrelationen der subjektiven Selbsteinschätzung am Ende der stationären Therapie zu Parametern der objektiven Stimmdiagnostik, wie z. B. der perzeptiven Stimmklangbeurteilung oder der maximalen Lautstärke der Sprechstimme machen den Behandlungserfolg transparent und zeigen den Erfolg hinsichtlich der Verbesserung der Teilhabe (Tabelle 1 [Tab. 1], Spalte 5 und 6).

Diskussion

Die Daten bestätigen den subjektiven wie objektiv messbaren Erfolg einer stationären phoniatrisch-logopädischen Stimmrehabilitation.

Jenseits der subjektiven Erfolgsbewertung durch den Patienten am Ende der Rehabilitationsmaßnahme leistet die Untersuchung aufgrund des langen Nacherhebungszeitraumes von 12 Monaten einen wichtigen Beitrag zur Bewertung der langfristigen Wirksamkeit stationärer Stimmtherapie. Signifikante Korrelationen der perzeptiven und instrumentell akustischen Stimmdiagnostikdaten zur subjektiven Selbsteinschätzung am Ende der stationären Therapie belegen und objektivieren diesen Behandlungserfolg und tragen so zur Transparenz der Qualitätsbeurteilung bei.

Für Patienten, die zur stationären Stimmrehabilitation zugewiesen werden, ist entscheidend, dass sich keine Faktoren zeigten, die den Erfolg der Maßnahmen einschränken: weder Geschlecht, Alter, Diagnosegruppe (funktionelle/malregulative, organische Stimmstörungen, Störungen der Stimmlippenbeweglichkeit), Chronizität der Stimmstörung, Umfang der ambulanten Vortherapie noch beruflicher Stimmanspruch zeigten einen Einfluss. Mit zunehmender beruflicher Stimmanforderung sinkt lediglich die Schwelle, ab der eine stationäre Rehabilitation in Anspruch genommen wird.

Fazit

Das Erreichen der Therapieziele, d.h. insbesondere die Stabilisierung der Stimmfunktion im Hinblick auf die berufliche wie private Teilhabe, ist in Folge einer stationären Stimmrehabilitation zu erwarten. Ihr Erfolg ist mit einer signifikanten Abnahme des VHI-12 um nahezu eine Stufe sowohl kurz-, mittel- als auch langfristig belegt. Er zeigt sich unabhängig von wichtigen Einflussfaktoren, insbesondere der Diagnosegruppe und dem beruflichen Stimmanspruch. Diesen Erfolg macht die vorliegende Untersuchung durch Korrelation von subjektiver Einschätzung mit objektiven Stimmleistungsparametern transparent. Sie stellt somit eine geeignete Basis und einen wichtigen Beitrag für die Bewertung des Nutzens einer stationären Stimmtherapie im Rahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation dar.