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39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28.09. - 01.10.2023, Köln

Non-selektive laryngeale Reinnervierung bei einseitiger Stimmlippenlähmung – Erfahrungsbericht einer Fallserie von 16 Patient:innen

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Alexander Mainka - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Tadeus Nawka - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Dirk Mürbe - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Köln, 28.09.-01.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV12

doi: 10.3205/23dgpp20, urn:nbn:de:0183-23dgpp203

Veröffentlicht: 20. September 2023

© 2023 Mainka et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Eine einseitige Stimmlippenlähmung führt oft zu einer glottalen Schlussinsuffizienz mit Heiserkeit und Schluckbeschwerden. Bei erhaltener passiver Beweglichkeit stellt die non-selektive laryngeale Reinnervierung eine wirksame, dauerhafte Therapieoption dar. Als ursächlich für den Erfolg gelten: eine Zunahme von Volumen und Tonus der Muskulatur sowie eine Medialisierung der Stimmlippenposition.

Material und Methoden: Seit 2019 wurde bei 16 Patienten (Altersspanne 11 bis 60 Jahre) mit dauerhafter einseitiger Stimmlippenlähmung eine non-selektive laryngeale Reinnervierung mit mikrochirurgischer Anastomosierung eines Anteils der Ansa cervicalis profunda auf den Hauptstamm der Nervus laryngeus inferior (NLI) indiziert. Prä- und postoperativ erfolgte eine umfangreiche Diagnostik mittels Anamnese, Voice Handicap Index-9i, Stimmumfangsprofilmessung mit Bestimmung von Dysphonia severity Index und maximaler Phonationszeit.

Ergebnisse: In 13 von 16 Fällen konnten beide Nerven identifiziert und anastomosiert werden. Diese Patienten zeigten alle bis auf einen Fall gleichzeitiger Aryankylose eine weitreichende Verbesserung Stimmfunktion. In zwei Fällen waren der NLI, in einem Fall die Ansa nicht darstellbar.

Diskussion: Die non-selektive laryngeale Reinnervierung führt bei einseitiger Stimmlippenlähmung mit erhaltener Gelenkbeweglichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zur weitreichenden dauerhaften Rehabilitation der Stimmfunktion. Aufgrund der zeitlichen Perspektive des Reinnervationsprozesses ist der intendierte therapeutische Effekt erst im Intervall nach ca. einem halben Jahr zu beobachten. Die Stimmqualität ist auffallend natürlich. Die Zufriedenheit der Patienten ist sehr hoch. Ein Vorteil des Verfahrens ist, dass der Kehlkopf nicht mitoperiert wird und unverändert bleibt. Das Verfahren ist deshalb auch für Kinder ab 3 Jahren geeignet. Bei Voroperationen im Bereich der ipsilateralen Ansa stellt die Versorgung von der kontralateralen Seite ggf. mit Einsatz eines Nerveninterponats eine Therapieoption dar.

Fazit: Die non-selektive laryngeale Reinnervierung ist eine hoch-effiziente Therapieoption bei einseitiger Stimmlippenlähmung. Aufgrund der stabilen Langzeiteffekte und der hohen Stimmqualität dürfte das Verfahren v.a. für jüngere Patienten zukünftig an Bedeutung gewinnen.


Text

Hintergrund

Eine einseitige Stimmlippenlähmung führt oft zu einer glottalen Schlussinsuffizienz mit Heiserkeit und Schluckbeschwerden. Bei erhaltener passiver Beweglichkeit stellt die non-selektive laryngeale Reinnervierung eine wirksame und dauerhafte Therapieoption dar. Als Faktoren für den Erfolg gelten haupsächlich eine Zunahme von Volumen und Tonus der Muskulatur sowie eine Medialisierung der Stimmlippenposition.

Material und Methoden

Seit 2019 wurde bei 16 Patienten (Alterspanne 11 bis 60 Jahre; Altersmittel 41,3 J.) mit dauerhafter einseitiger Stimmlippenlähmung eine non-selektive laryngeale Reinnervierung mit mikrochirurgischer Anastomosierung eines Anteils der Ansa cervicalis profunda (ACP) auf den Hauptstamm des Nervus laryngeus inferior (NLI) indiziert. Prä- und postoperativ erfolgte eine umfangreiche Diagnostik mittels Anamnese, Voice Handicap Index-9i, Stimmumfangsprofilmessung, Dysphonia Severity Index (DSI), maximaler Phonationszeit (MPT) und Stimmumfangsmaß (SUM).

Ergebnisse

In 13 von 16 Fällen konnten beide Nerven identifiziert und anastomosiert werden. Diese Patienten zeigten alle bis auf einen Fall gleichzeitiger Aryankylose eine weitreichende Verbesserung der Stimmfunktion (9/12 Patienten konnten ambulant nachuntersucht werden, weitere drei Patienten berichteten per Videocall über eine erheblich verbesserte Stimmfunktion). Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 15 Monate.

Bei den nachuntersuchten Patienten zeigte sich im Median eine Absenkung des VHI-9i von 25 auf 11.5; eine Verlängerung der MPT von 5.7 s auf 12.4 s; eine Anhebung des DSI von -0.1 auf 2.5 und eine Erhöhung des SUM von 61 auf 83.1. In zwei Fällen waren der NLI sowie in einem Fall die ACP nicht darstellbar (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Von diesen Patienten ohne erfolgreiche Anastomosierung wurden 2 mittels Nerv-Muskel-Pedikel nach Tucker versorgt.

Diskussion

Die non-selektive laryngeale Reinnervierung führt bei einseitiger Stimmlippenlähmung mit erhaltener Gelenkbeweglichkeit zu einer weitreichenden dauerhaften Verbesserung der Stimmfunktion. Aufgrund der zeitlichen Perspektive des Reinnervationsprozesses ist der intendierte therapeutische Effekt erst im Intervall nach ca. einem halben Jahr zu beobachten. Der zweitälteste Patient zeigte sogar eine deutliche weitere Verbesserung im zweiten Jahr nach der OP. Existierende Studien mit Nachbeobachtungen bis max. 12 Monaten könnten deshalb die therapeutischen Effekte v.a. für ältere Patienten noch unterschätzen. Mitunter diskutierte Limitationen der Technik bei länger bestehenden Paresen ließen sich anhand unserer Patienten zumindest nicht unmittelbar nachvollziehen. So zeigt sich auch bei einer Patientin mit seit 20 Jahren bestehender Lähmung nach Schilddrüsen-Operation ein gutes Ergebnis.

Dabei ist die resultierende Stimmqualität nach Ansa-Reinnervierung auffallend natürlich. Weiterhin zeigte sich eine sehr hohe individuelle Zufriedenheit der Patient:innen.

Ein Vorteil des Verfahrens ist, dass der Kehlkopf nicht mitoperiert wird und damit unverändert bleibt. Das Verfahren ist deshalb auch für Kinder ab 3 Jahren geeignet. Bei Voroperationen im Bereich der ipsilateralen ACP stellt die Versorgung von der kontralateralen Seite ggf. mit Einsatz eines Nerveninterponats eine Therapieoption dar.

Fazit

Die non-selektive laryngeale Reinnervierung ist eine hoch-effiziente Therapieoption bei einseitiger Stimmlippenlähmung. Eine Fixierung des Stimmlippengelenkes sollte vorab ausgeschlossen werden. Aufgrund der stabilen Langzeiteffekte und der hohen Stimmqualität dürfte das Verfahren v.a. für jüngere Patienten zukünftig an Bedeutung gewinnen.


Literatur

1.
Crumley RL, Izdebski K. Voice quality following laryngeal reinnervation by ansa hypoglossi transfer. Laryngoscope. 1986;96:611-6.
2.
Wang W, Chen D, Chen S, Li D, Li M, et al. Laryngeal reinnervation using ansa cervicalis for thyroid surgery-related unilateral vocal fold paralysis: a long-term outcome analysis of 237 cases. PLoS One. 2011;6:e19128.