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38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

29.09. - 02.10.2022, Leipzig

Kognition und kognitive Reserve nach Cochlea Implantation

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Christiane Völter - Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Lisa Götze - Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • Imme Haubitz - Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland

38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 29.09.-02.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocV30

doi: 10.3205/22dgpp41, urn:nbn:de:0183-22dgpp410

Veröffentlicht: 26. September 2022

© 2022 Völter et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Der Einfluss einer Hörrehabilitation auf die kognitiven Funktionen im Alter ist derzeit Gegenstand zahlreicher Studien. Allerdings variiert das Studiendesign erheblich und Langzeitdaten an größeren Kollektiven stehen noch aus.

Material und Methoden: 71 beidseitig postlingual hochgradig hörgeschädigte Patienten ≥50 (im Alter von 66,03 Jahren SD 9,15) wurden vor sowie 6, 12 und 24 Monate nach einer Cochlea Implantation audiometrisch (Freiburger Einsilber bei 65 und 80 dB) und kognitiv untersucht. Die hierfür eingesetzte nicht-auditiv basierte Testbatterie ALAcog erfasst verschiedene neurokognitive Bereiche, wie die Aufmerksamkeit (M3), die Inhibition (Flanker), das Arbeitsgedächtnis (OSPAN), die mentale Flexibilität (Trail Making Test) und das (verzögerte) Erinnern. Zusätzlich wurde die kognitive Reserve (CR) mit dem CRIq (Cognitive Reserve Index questionnaire) abgefragt.

Ergebnisse: Analog zur Zunahme der Sprachverständlichkeit nach 6 und nach 12 Monaten (jeweils p<0,0001) verbesserten sich auch die kognitiven Funktionen 6 Monate nach der Implantation im Bereich der Aufmerksamkeit (p=0,00004), dem Arbeitsgedächtnis (p=0,002) und der Inhibition (p=0,0002) sowie nach 12 Monaten im Erinnern (p=0,003) und der Wortflüssigkeit (p=0,0048). Interessanterweise konnten wir keine Änderung der kognitiven Fähigkeiten zwischen 12 und 24 Monaten nachweisen (jeweils p≥0,06). Dabei korrelierte die kognitive Reserve mit der prä- und der postoperativen kognitiven Leistung, insbesondere mit dem Arbeitsgedächtnis (p=0,00008). Auch war ein niedriger CRIq-Arbeitsscore prädiktiv für eine Verbesserung der postoperativen Aufmerksamkeit (p=0,003). Hingegen fand sich keine Korrelation zwischen dem Sprachverstehen und der Kognition oder deren Verbesserung (p>0.05).

Diskussion: Möglicherweise führt eine Hörrehabilitation über eine Stimulation der Plastizität des Gehirns zu einer verbesserten Kognition, vor allem bei Patienten mit einer geringeren kognitiven Reserve. Auch wenn die vorgestellten Ergebnisse ermutigend sind, bleibt das Ergebnis großer prospektiver Studien abzuwarten.


Text

Hintergrund

Der Einfluss einer Hörrehabilitation auf die kognitiven Funktionen im Alter ist derzeit Gegenstand zahlreicher Studien [1], [2], [3], [4], [5]. Allerdings variiert das Studiendesign erheblich und Langzeitdaten an größeren Kollektiven stehen noch aus [6], [7].

Material und Methoden

71 beidseitig postlingual hochgradig hörgeschädigte Patienten ≥50 (im Alter von 66,03 Jahren SD 9,15) wurden vor sowie 6, 12 und 24 Monate nach einer Cochlea Implantation audiometrisch (Freiburger Einsilber bei 65 und 80 dB) und kognitiv untersucht. Die hierfür eingesetzte nicht-auditiv basierte Testbatterie ALAcog erfasst verschiedene neurokognitive Bereiche, wie die Aufmerksamkeit (M3), die Inhibition (Flanker), das Arbeitsgedächtnis (OSPAN), die mentale Flexibilität (Trail Making Test) und das (verzögerte) Erinnern [8]. Zusätzlich wurde die kognitive Reserve (CR) im Bereich der Arbeit, Freizeit und der Bildung mit dem CRIq (Cognitive Reserve Index questionnaire) abgefragt [9].

Ergebnisse

Analog zur Zunahme der Sprachverständlichkeit nach 6 und nach 12 Monaten (jeweils p<0,0001) verbesserten sich auch die kognitiven Funktionen 6 Monate nach der Implantation im Bereich der Aufmerksamkeit (p=0,00004), dem Arbeitsgedächtnis (p=0,002) und der Inhibition (p=0,0002) sowie nach 12 Monaten im Erinnern (p=0,003) und der Wortflüssigkeit (p=0,0048) (Abbildung 1 [Abb. 1]). Interessanterweise konnten wir keine Änderung der kognitiven Fähigkeiten zwischen 12 und 24 Monaten nachweisen (jeweils p≥0,06) (Abbildung 2 [Abb. 2]). Dabei korrelierte die kognitive Reserve mit der prä- und der postoperativen kognitiven Leistung, insbesondere mit dem Arbeitsgedächtnis (p=0,00008). Auch war ein niedriger CRIq-Arbeitsscore prädiktiv für eine Verbesserung der postoperativen Aufmerksamkeit (p=0,003). Hingegen fand sich keine Korrelation zwischen dem Sprachverstehen und der Kognition oder deren Verbesserung (p>0.05).

Diskussion

Möglicherweise führt eine Hörrehabilitation über eine Stimulation der Plastizität des Gehirns zu einer verbesserten Kognition, vor allem bei Patienten mit einer geringeren kognitiven Reserve [10]. Auch wenn die vorgestellten Ergebnisse ermutigend sind, bleibt das Ergebnis großer prospektiver Studien abzuwarten.


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