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Ein Systematisches Review zu Selbstmanagement-Interventionen für Menschen mit Hörbehinderungen. Welche Schlussfolgerungen können wir für die Versorgung von Cochlea-Implantat PatientInnen ableiten?
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Veröffentlicht: | 26. September 2022 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Menschen mit Hörbehinderungen wenden zahlreiche Strategien an, um Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der eigenen Höreinschränkung bewältigen zu können – dieser Prozess wird als Selbstmanagement bzw. Selbsthilfe bezeichnet. Das Ziel dieses systematischen Reviews bestand darin, einen Überblick bestehender Selbstmanagement-Interventionen für Menschen mit Hörbehinderungen zu geben und Schlussfolgerungen für den Einsatz innerhalb des Rehabilitationsprozesses nach Cochlea-Implantation zu ziehen.
Material und Methoden: Eine systematische Literaturrecherche wurde auf PubMed durchgeführt, um Studien mit entsprechenden Interventionsansätzen zu identifizieren. Wenn die vordefinierten Einschlusskriterien erfüllt werden konnten, wurden Informationen zur Publikation, Intervention und Evaluation aus den einzelnen Studien extrahiert. Die methodische Qualität der Studien wurde mithilfe eines speziell für Interventionsstudien validierten Instruments bewertet.
Ergebnisse: Insgesamt konnten 23 Artikel eingeschlossen werden. Die einzelnen Interventionen verfolgten verschiedenste Ziele, thematisierten ein breites Spektrum von Inhalten (Informationsvermittlung, Aspekte zur Kommunikationsverbesserung, psychosoziale, technische oder spezifische Aspekte) und wurden entweder gruppenbasiert, individuumsbasiert oder selbstangeleitet implementiert. Im Rahmen der Evaluationen konnten, mit Ausnahme weniger Studien, positive Interventionseffekte bezüglich des wahrgenommenen Hörhandicaps, des psychosozialen Wohlbefindens und der Kommunikation der InterventionsteilnehmerInnen festgestellt werden.
Diskussion: Die eingeschlossenen Studien wiesen eine starke Heterogenität bezüglich der methodischen Qualität, der durchgeführten Intervention und des Evaluationsdesigns auf. Eine Zusammenfassung der Befunde war deshalb nur qualitativ möglich. Es ist davon auszugehen, dass Interventionen bei einer Abstimmung auf die individuellen Bedürfnisse der PatientInnen am erfolgversprechendsten sind. Ebenso sollten Interventionsansätze für CI-TrägerInnen entsprechend adaptiert werden.
Fazit: Interventionen zur Unterstützung des Selbstmanagement scheinen hilfreich für Menschen mit Hörbehinderungen zu sein und könnten bei entsprechenden Anpassungen auch im Rahmen des CI-Rehabilitationsprozesses gewinnbringend eingesetzt werden.
Text
Hintergrund
Cochlea-Implantate stellen für Menschen mit hochgradigen Hörbehinderungen eine wichtige Unterstützung dar. Dennoch erleben Betroffene auch nach optimaler Hörsystemanpassung Einschränkungen in Aktivitäten des täglichen Lebens sowie der sozialen Teilhabe und müssen stetige Bewältigungsleistungen erbringen, um diesen Einschränkungen entgegenzutreten [1]. Dieser Prozess, in dem verschiedene Strategien zur Bewältigung der Konsequenzen einer Erkrankung eingesetzt werden, wird als Selbstmanagement bzw. Selbsthilfe bezeichnet [2]. Im fremdsprachigen Raum existieren mehrere Interventionen, die ebendiese Bewältigungskompetenzen bei Menschen mit Hörbehinderungen schulen [3], [4]. Die Wirksamkeit derartiger Interventionen konnte in Überblicksarbeiten hinsichtlich verschiedener Outcomes (z.B. Anwendung von Kommunikationsstrategien, gesundheitsbezogene Lebensqualität) nachgewiesen werden. Bisher fehlen jedoch Informationen zu den Inhalten und der Durchführung der angewendeten Interventionen, sodass unklar ist, wie Selbstmanagement im Rahmen audiologischer Rehabilitation konkret unterstützt werden könnte. Folglich liegt das Ziel des vorliegenden Literaturüberblicks in einer Erweiterung der bisherigen Arbeiten um die genannten Aspekte.
Material und Methoden
Zunächst wurden Einschlusskriterien für die systematische Literatursuche definiert. Die Literatursuche erfolgte mithilfe der Datenbank PubMed im August 2021. Zur Identifikation von relevanten Arbeiten wurden verschiedene Suchbegriffe verwendet. Neben der datenbankgestützten Suche wurden Artikel in der Literaturliste relevanter Übersichtsarbeiten identifiziert. Wenn die vordefinierten Einschlusskriterien erfüllt werden konnten, wurden Informationen zur Publikation, Intervention und Evaluation aus den einzelnen Studien extrahiert. Die methodische Qualität der Studien wurde mithilfe eines speziell für Interventionsstudien validierten Instruments bewertet. Insgesamt erfüllten 23 Artikel die vordefinierten Einschlusskriterien und wurden somit in das Review eingeschlossen.
Ergebnisse
Die in den einzelnen Studien untersuchten Interventionen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ziele, Inhalte und Durchführung. Allgemeine und vielfach genannte Ziele der Interventionen fokussieren entweder auf den Prozess der Intervention (Training von Fähigkeiten, Wissensvermittlung, Auseinandersetzung mit dem Hörverlust) oder betonen die angestrebten Ergebnisse (Kommunikationsverbesserung, Reduktion von Aktivitäts- und Partizipationseinschränkungen, Steigerung von psychosozialem Wohlbefinden). Die in den Interventionen thematisierten Inhalte können fünf Kategorien zugeordnet werden: Informationsvermittlung, Aspekte zur Kommunikationsverbesserung, psychosoziale Aspekte, technische Aspekte, spezifische Aspekte. Hinsichtlich der Art ihrer Durchführung können die evaluierten Interventionen wiederum in drei Kategorien eingeteilt werden: Einzel-, Gruppen- oder selbstangeleitete Interventionen. Einige Studien berichten, Angehörige der schwerhörigen Teilnehmer in die Intervention integriert zu haben. Bezüglich der Interventionseinbettung lässt sich zusammenfassen, dass einige Interventionen als Zusatz zu einer Hörsystemversorgung durchgeführt wurden und andere wiederum für sich standen. In Hinblick auf die Evaluationsergebnisse ist die qualitative Zusammenführung von Befunden aufgrund der Heterogenität der untersuchten Outcomes auf die Outcomes Hörhandicap, psychisches Wohlbefinden bzw. Lebensqualität und Kommunikation beschränkt. Für diese primären Outcomes können in zahlreichen Studien positive Interventionseffekte nachgewiesen werden. Dennoch zeigen sich in kontrollierten Studiendesigns mit aktiven Kontrollgruppen mitunter keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen. Ebenso gibt es Studien, bei denen keinerlei Interventionseffekte hervortreten.
Diskussion
Insgesamt liegt bei den Studien sowohl hinsichtlich der Interventions- und Evaluationscharakteristika als auch der Berichtqualität eine hohe Heterogenität vor. Es zeigt sich, dass die einzelnen Interventionen verschiedene Ziele verfolgen, eine Vielzahl von Themen beinhalten und unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Implementierung dieser Themen wählen. Positive Interventionseffekte können hinsichtlich verschiedener Outcomes nachgewiesen werden, was anzeigt, dass Menschen mit Hörbehinderungen von Selbstmanagement-Interventionen profitieren. Wenngleich die untersuchten Interventionen in erster Linie auf die TrägerInnen von konventionellen Hörgeräten zugeschnitten sind, ist auch eine Implementierung innerhalb des Rehabilitationsprozesses nach Cochlea-Implantation denkbar. Schließlich erleben beide PatientInnengruppen aufgrund der zugrundeliegenden Hörbehinderung ähnliche Schwierigkeiten im täglichen Leben und könnten daher auch von ähnlichen Rehabilitationsansätzen profitieren. Dennoch gibt es wichtige differenzielle Aspekte, die auch im Rahmen einer Selbstmanagement-Intervention durch entsprechende Anpassungen adressiert werden sollten. In erster Linie sollte beachtet werden, dass es sich bei CI-TrägerInnen um eine stark heterogene Gruppe handelt. So kann eine Hörbehinderung unilateral oder bilateral bestehen, prä- oder postlingual erworben sein, plötzlich oder progressiv verlaufen. Es ist davon auszugehen, dass die Wirksamkeit einer Selbstmanagement-Intervention von den individuellen Bedürfnissen der PatientInnen abhängig ist und dass diese bei der Interventionsplanung entsprechend berücksichtigt werden sollten.
Fazit/Schlussfolgerung
Interventionen zur Unterstützung der Selbstmanagement-Kompetenzen scheinen hilfreich für Menschen mit Hörbehinderungen zu sein und könnten damit eine wichtige Ergänzung zur Versorgung mit Hörsystemen darstellen. Bei entsprechenden Anpassungen ist auch eine Einbettung in den Rehabilitationsprozess nach Cochlea-Implantation erfolgsversprechend.
Literatur
- 1.
- Convery E, Meyer C, Keidser G, Hickson L. Assessing hearing loss self-management in older adults. Int J Audiol. 2018 Apr;57(4):313-20. DOI: 10.1080/14992027.2017.1390268
- 2.
- Allegrante JP, Wells MT, Peterson JC. Interventions to Support Behavioral Self-Management of Chronic Diseases. Annu Rev Public Health. 2019 Apr 1;40:127-46. DOI: 10.1146/annurev-publhealth-040218-044008
- 3.
- Hawkins DB. Effectiveness of counseling-based adult group aural rehabilitation programs: a systematic review of the evidence. J Am Acad Audiol. 2005 Jul-Aug;16(7):485-93. DOI: 10.3766/jaaa.16.7.8
- 4.
- Michaud HN, Duchesne L. Aural Rehabilitation for Older Adults with Hearing Loss: Impacts on Quality of Life-A Systematic Review of Randomized Controlled Trials. J Am Acad Audiol. 2017 Jul/Aug;28(7):596-609. DOI: 10.3766/jaaa.15090