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38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

29.09. - 02.10.2022, Leipzig

Der Einfluss von Alter, Geschlecht, gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen und anderen Faktoren auf beruflich relevante Gesundheitsbeschwerden von Sänger*innen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Philipp Mathmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Uwe Konerding - Trimberg Research Academy, Universität Bamberg, Bamberg, Deutschland; Department für Psychologie und Psychotherapie, Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland
  • author Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Katrin Neumann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 29.09.-02.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocV9

doi: 10.3205/22dgpp13, urn:nbn:de:0183-22dgpp131

Veröffentlicht: 26. September 2022

© 2022 Mathmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die berufliche Laufbahn von Sängern*innen ist in der Regel mit gesundheitsrelevanten Faktoren verbunden, die sie zum Teil beeinflussen können und zum Teil nicht beeinflussen können. Wir haben untersucht, wie sich beeinflussbare gesundheitsbezogene Verhaltensweisen (z.B. Rauchen, Alkoholkonsum oder Sport) und nicht beeinflussbare Faktoren (z.B. Alter oder Geschlecht) auf die berufliche Gesundheit von Sängern auswirken.

Material und Methoden: In einer Fragebogenstudie wurden von 349 Sänger*innen und Gesangslehrer*innen (116 Männer, 233 Frauen; Alter 18–73 Jahre) berufsrelevante Gesundheitsbeschwerden und Verhaltensweisen sowie sängerspezifische Merkmale erhoben und der Einfluss von Alter, Geschlecht, Dauer des täglichen Singens und den Jahren der Berufserfahrung als Sänger*in, Stimmkategorie und gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen (Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität) auf berufsrelevante Gesundheitsbeschwerden bi-und multivariat analysiert.

Ergebnisse: Sänger*innen gaben weniger riskanten Alkoholkonsum (5,4%vs.≈15%) und Rauchen (15,5% vs. 29,7%) an als die Allgemeinbevölkerung und zu wenig körperliche Aktivität wurde bei zwei Dritteln beider Populationen beschrieben. Nach der Korrektur für multiple Vergleiche nach Bonferroni wurde kein Einfluss dieser Verhaltensweisen, der täglich mit Singen verbrachten Zeit, des Geschlechts oder der Stimmkategorien auf die Beschwerden der Sänger festgestellt. Es zeigte sich jedoch, dass Beschwerden bei Männern (p<.001) und älteren Frauen signifikant seltener auftraten und bei Tenören häufiger als bei Bässen angegeben wurden, ein Trend, der bei Frauen so nicht festgestellt wurde.

Diskussion: Rauchen, riskanter Alkoholkonsum und körperliche Aktivität haben kaum Auswirkungen auf die beruflichen Gesundheitsbeschwerden von Sänger*innen. Geringe körperliche Aktivität wird in der Stichprobe wie auch in der Allgemeinbevölkerung angegeben. Ähnlich wie in der Allgemeinbevölkerung, wo gesundheitliche Beschwerden eher von Frauen als von Männern wahrgenommen werden, berichten Sängerinnen über mehr Gesundheitsbeschwerden als Sänger.

Fazit: Subjektive Beschwerden sollten ernst genommen werden. Männliche Sänger könnten ermutigt werden, ein höheres Bewusstsein für Beschwerden und Präventionsstrategien zu entwickeln. Die Optimierung der Gesundheitsfürsorge für Sänger*innen erfordert ein Verständnis für die erheblichen psychischen und physischen Anforderungen des Berufs sowie eine Sensibilität des Gesundheitspersonals sowohl für die objektivierbaren als auch die subjektiven Beschwerden von Sänger*innen.


Text

Hintergrund

Für Sänger*innen sind verschiedene gesundheitliche Beschwerden berufsrelevant. Insb. vor Auftritten können psychologischen Beschwerden wie Music Performance Anxiety (MPA), die einer Übersichtsarbeit zufolge eine Prävalenz zwischen 16.5% und 60.0% hat [1], auftreten. Stimmprobleme nach dem Singen können hingegen auf stimmliche Überlastung, organische oder gesangstechnische Defizite hindeuten [2]. Neben diesen mit dem Stimmgebrauch zeitlich assoziierten Beschwerden können auch beispielsweise wiederkehrende Beschweren (z.B. Infekte der oberen Atemwege) das Berufsleben von Sänger*innen akut bzw. durch Folgeschäden gefährden [3]. Stimmliche und nicht-stimmliche berufsrelevante Beschwerden von Sänger*innen können darüber hinaus durch modifizierbare gesundheitsbezogene Verhaltensweisen (z.B. Rauchen, Alkoholkonsum o. Sport) und nicht modifizierbare Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht o. Stimmkategorie) beeinflusst werden. Die hier vorgestellte Studie untersuchte die Verteilungen möglicher Determinanten berufsrelevanter Gesundheitsbeschwerden in einer Stichprobe von prof. Sänger*innen und Gesangslehrer*innen (im Weiteren Sänger*innen genannt) sowie die Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und den Beschwerden.

Material und Methoden

Fragebogenbasiert wurden von 349 Sänger*innen (116 Männer, 233 Frauen; Alter 18–73 Jahre) die berufsrelevanten Gesundheitsbeschwerden, Verhaltensweisen sowie allgemeine und sängerspez. Merkmale erhoben und der Einfluss von Alter, Geschlecht, Dauer des tägl. Singens und den Jahren der Berufserfahrung als Sänger*in, Stimmkategorie und gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen (Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität) auf berufsrelevante Gesundheitsbeschwerden bi- und multivariat analysiert. Die Anzahl der Beschwerden wurde durch einen Score erfasst, der auf vier Arten von Beschwerden basiert: (a) MPA und andere Beschwerden vor dem Auftritt, (b) stimmrelevante Gesundheitsbeschwerden unmittelbar nach dem Singen, (c) wiederkehrende Infektionen der oberen Atemwege und (d) andere wiederkehrende berufsbegrenzende Gesundheitsbeschwerden.

Ergebnisse

Die Mehrheit der Teilnehmer*innen waren Frauen mit hoher Stimmlage. Das Durchschnittsalter betrug 39.0 Jahre, ihre Gesangskarriere dauerte bis dato durchschnittlich 13.8 Jahre und sie sangen im Schnitt 3.4 Stunden pro Tag. Nur 15.5% der Studienteilnehmerinnen rauchten. Die Werte für keinen, mäßigen und riskanten Alkoholkonsum lagen bei 4.6%, 90.0% bzw. 5.4%; die Werte für gesundheitsschädlichen Bewegungsmangel, mäßige Aktivität und gesundheitsfördernde körperliche Aktivität lagen bei 31.2%, 35.0% bzw. 33.8%. Das Geschlecht oder die Stimmlage hatten keinen Einfluss auf diese drei Verhaltensweisen. Die durchschnittliche Anzahl der Gesundheitsbeschwerden betrug 1.60, wobei Frauen deutlich mehr Beschwerden angaben als Männer. Innerhalb der Geschlechter zeigte sich kein Zusammenhang zwischen Stimmlage und dem Beschwerdescore für Frauen. Männer mit tiefen Stimmen beklagen hingegen weniger berufsrelevante Beschwerden als Männer mit hohen Stimmen. Ein weiterer geschlechtsspezifischer Unterschied ist der Zusammenhang zwischen Alter und Beschwerdescore. Hier wurde ein hochsignifikanter Effekt wurde für Frauen gefunden, bei denen die Beschwerden mit dem Alter abnahmen. Bei Männern zeigte sich eine Tendenz in die gleiche Richtung ohne Signifikanz. Der Effekt für Frauen blieb auch nach Bonferroni-Korrektur auf dem Niveau von p<.001 signifikant. Darüber hinaus gaben Frauen mit riskantem Alkoholkonsum signifikant weniger Beschwerden an als abstinente Frauen. Für Männer gab es hier keinen signifikanten Effekt und die Tendenz deutete in die entgegengesetzte Richtung. Der Alkoholeffekt für Frauen verschwand nach der Bonferroni-Korrektur. Die Signifikanz für diese Korrelation könnte daher auf einen Alpha-Fehler zurückzuführen sein.

Diskussion

Insb. der Stichprobenumfang und die Geschlechterverteilung zwischen Männern und Frauen (1:2, was die tatsächliche Geschlechterverteilung in den untersuchten Berufsverbänden widerspiegelt [4]) deuten auf eine Repräsentativität der Stichprobe für die Population berufserfahrenen Sänger*innen hin. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung gaben Sänger*innen weniger riskanten Alkoholkonsum (5,4% vs.≈15%) und Rauchen (15,5% vs. 29,7%) an. Die Verteilung der körperlichen Aktivität der Studienpopulation und der Allgemeinbevölkerung waren vergleichbar. Ein Grund für die fehlenden Auswirkungen von Rauchen, riskantem Alkoholkonsum und körperlicher Aktivität auf berufsrelevante Gesundheitsbeschwerden von Sänger*innen könnte sein, dass Personen, die so viel trinken und rauchen, dass sich ihre Beschwerden erhöhen würden, in der untersuchten Stichprobe wahrscheinlich unterrepräsentiert waren. Ähnlich wie in der Allgemeinbevölkerung, berichten Sängerinnen über mehr berufsbedingte Gesundheitsbeschwerden als Sänger (p<.001). Der positive Effekt des Alters von Sängerinnen auf stimmbezogene gesundheitliche Probleme könnte auf einen Selektionseffekt („Nur Sänger*innen mit einer robusten beruflichen Gesundheit bleiben im Beruf.“) oder auf einen echten positiven Effekt erlernter Strategien der Stimmhygiene zurückzuführen sein.

Fazit

Subjektive Beschwerden von Sänger*innen sollten ernst genommen werden und männliche Sänger könnten ermutigt werden, ein stärkeres Bewusstsein für ihre Beschwerden zu entwickeln und aktiv nach Strategien zur Prävention zu suchen. Die Optimierung der Gesundheitsfürsorge für prof. Sänger erfordert ein gemeinsames Verständnis für die beträchtlichen psychischen und physischen Anforderungen des Berufs und eine Sensibilität des Gesundheitspersonals sowohl für die objektivierbaren als auch für die subjektiven Beschwerden von Sängern. (Der vollständige Originalartikel ist publiziert im Journal of Voice in 2021 [5].).


Literatur

1.
Fernholz I, Mumm JLM, Plag J, Noeres K, Rotter G, Willich SN, Strhle A, Berghfer A, Schmidt A. Performance anxiety in professional musicians: a systematic review on prevalence, risk factors and clinical treatment effects. Psychol Med. 2019 Oct;49(14):2287-306. DOI: 10.1017/S0033291719001910 Externer Link
2.
Tepe ES, Deutsch ES, Sampson Q, Lawless S, Reilly JS, Sataloff RT. A pilot survey of vocal health in young singers. J Voice. 2002 Jun;16(2):244-50. DOI: 10.1016/s0892-1997(02)00093-0 Externer Link
3.
Lin PT, Stern JC, Gould WJ. Risk factors and management of vocal cord hemorrhages: an experience with 44 cases. J Voice. 1991;5:7477. DOI: 10.1016/S0892-1997(05)80166-3 Externer Link
4.
Liersch A, Asef D, Bildung, et al. Spartenbericht Musik 2016. Statistisches Bundesamt (Destatis). 2017 [Accessed June 4, 2021]. Available from: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Kultur/Publikationen/Downloads-Kultur/spartenbericht-musik-5216203169004.pdf?__blob=publicationFile Externer Link
5.
Mathmann P, Konerding U, Deuster D, Neumann K. The Influence of Age, Gender, Health-Related Behaviors, and Other Factors on Occupationally Relevant Health Complaints of Singers. J Voice. 2021 Sep 25:S0892-1997(21)00251-4. DOI: 10.1016/j.jvoice.2021.08.001 Externer Link