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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 18.09.2021, digital

Videotherapie in der Logopädie – nationale und internationale Erkenntnisse

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Silke Schwinn - Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Hildesheim, Deutschland
  • Maria Barthel - Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Göttingen, Deutschland
  • Juliane Leinweber - Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Göttingen, Deutschland
  • Bernhard Borgetto - Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Hildesheim, Deutschland

37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). sine loco [digital], 17.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocV20

doi: 10.3205/21dgpp44, urn:nbn:de:0183-21dgpp442

Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

© 2021 Schwinn et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Videotherapie (VT) als synchrone teletherapeutische Versorgungsform ist international seit mehreren Jahren etabliert. In Deutschland wurde VT erst im Zuge der Corona-Pandemie zugelassen. Es stellt sich die Frage, ob die internationale Forschung und die ersten nationalen Studien aus der Pandemiezeit eine Weiterführung der VT nach dem Ende der Corona-Krise wissenschaftlich begründen können.

Material und Methoden: In der Studie „Videotherapie in der ambulanten logopädischen/sprachtherapeutischen Versorgung“ (ViTaL) wurden eine fokussierte Videoanalyse ambulanter Therapiesitzungen (n: 5), sowie eine Online-Befragung von Logopäd*innen/Sprachtherapeut*innen (n: 816) durchgeführt und anhand von Häufigkeiten statistisch ausgewertet. Zudem wurde eine systematische Literaturrecherche und -analyse von systematischen Reviews (n: 8) durchgeführt.

Ergebnisse: 87% der Therapeut*innen nutzten VT im ersten Genehmigungszeitraum der Corona-Pandemie. In der Durchführung von VT sehen 85% Vorteile für ihre Patient*innen, für Therapeut*innen 78%. Die Literaturanalyse zeigt u.a., dass Personen mit einer Empfehlung für Stimmtherapie statistisch signifikante Verbesserungen in Stimmparametern und der Patient*innenzufriedenheit durch VT erreichten. Bei Grundschulkindern mit Sprach- und Sprechstörungen bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den Ergebnissen der VT und der Face-to-Face-Therapie.

Diskussion: Die Ergebnisse der Online-Befragung zeigen Übereinstimmungen mit den Ergebnissen aus der internationalen Literatur zur VT. Potenziale einer synchronen logopädischen Versorgung via VT sind deutlich geworden, die in Deutschland bisher weder untersucht wurden, noch in der Regelversorgung zum Einsatz kamen.

Fazit: VT sollte für die Regelversorgung zugelassen werden, um den logopädischen Patient*innen die Vorteile der VT auch über die Corona-Krise hinaus nicht vorzuenthalten. Die Umsetzung erfordert allerdings u.a. die Berücksichtigung patient*innenspezifischer, methodischer, ethischer und technischer Bedingungen.


Text

Hintergrund

Videotherapie (VT) als synchrone teletherapeutische Versorgungsform ist international seit mehreren Jahren etabliert. In Deutschland wurde VT erst im Zuge der Corona-Pandemie aufgrund einer Sondergenehmigung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zugelassen. Befristet bis zum 30.09.2021 kann Sprach-, Sprech-, Stimm- und eingeschränkt Schlucktherapie als VT angeboten werden [1]. Der G-BA hat in seiner Sitzung vom 15.10.2020 einstimmig die Einleitung eines Beratungsverfahrens für die VT als Regelleistung im Heilmittelbereich beschlossen [2]. Es stellt sich die Frage, ob die internationale Forschung und die ersten nationalen Studien aus der Pandemiezeit eine Weiterführung der VT nach dem Ende der Corona-Krise wissenschaftlich begründen können. Das Ziel der Studie „Videotherapie in der ambulanten logopädischen/sprachtherapeutischen Versorgung“ (ViTaL) war die Durchführung einer Bestandsaufnahme der VT in der ambulanten logopädischen/sprachtherapeutischen Versorgung während der Corona-Pandemie im Frühjahr/Sommer 2020.

Material und Methoden

In der Studie wurden drei methodische Zugänge verfolgt:

1.
eine systematische Literaturrecherche und -analyse von systematischen Reviews zur VT (n=8),
2.
eine Online-Befragung von Logopäd*innen/Sprachtherapeut*innen aus der ambulanten Versorgung (n=816) und
3.
eine fokussierte Videoanalyse ambulanter Therapiesitzungen (n=5).

Im vorliegenden Beitrag wird über die Ergebnisse der Literaturanalyse und der Online-Befragung berichtet. Die systematische Literaturrecherche wurde in der logopädischen Datenbank „SpeechBITE“ sowie anhand der Evidence Map zu „Telepractice“ aus der Datenbank der American Speech-Language-Hearing Association (ASHA) durchgeführt [3]. Zur Analyse der acht ermittelten systematischen Reviews wurden die Inhalte tabellarisch gegenübergestellt und anhand verschiedener Fragestellungen in einem Diskussionspapier zusammengefasst. Der Fragebogen zur Online-Befragung wurde unter Einbezug von Literatur u.a. zu den Themen Technikfunktionalität, Nutzung von Technologien und Technikakzeptanz [4] entwickelt und umfasste 53 Fragen. Die Online-Befragung wurde mit dem Programm SoSciSurvey (SoSciSurvey München) durchgeführt und fand im Zeitraum vom 03.06.–01.07.2020 statt. Zur Datenauswertung wurde das Statistikprogramm SPSS (SPSS Statistics 26) genutzt. Die Häufigkeiten aller Parameter wurden statistisch ausgewertet.

Ergebnisse

87% der Therapeut*innen nutzten VT im ersten Genehmigungszeitraum der Corona-Pandemie. In der Durchführung von VT sahen 85% Vorteile für ihre Patient*innen, für Therapeut*innen 78%. Die Online-Befragung zeigte, dass VT mit verschiedenen Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen durchgeführt werden kann. Am häufigsten wurden Therapien mit den Indikationsschlüsseln SP1 (80%), SP3 (68%) und SP5 (42%) durchgeführt.

Die Literaturanalyse zeigt u.a., dass Personen mit einer Empfehlung für Stimmtherapie statistisch signifikante Verbesserungen in Stimmparametern und der Patient*innenzufriedenheit durch VT erreichten [5]. Bei Grundschulkindern mit Sprach- und Sprechstörungen bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den Ergebnissen der VT und Face-to-Face-Therapie [6].

Diskussion

Die Ergebnisse der Online-Befragung zeigen Übereinstimmungen mit den Ergebnissen aus der internationalen Literatur zur VT. Die von den befragten Therapeut*innen genannten Vor- und Nachteile der VT für sich und ihre Patient*innen zeigen Übereinstimmungen mit den in der Literatur genannten Vor- und Nachteilen [6], [7]. Die Einschätzung der befragten Therapeut*innen, dass VT für verschiedene Indikationen anwendbar ist, deckt sich mit der Literatur [6].

Potenziale einer synchronen logopädischen Versorgung via VT sind deutlich geworden, die in Deutschland bisher weder untersucht wurden noch in der Regelversorgung zum Einsatz kamen.

Fazit

VT sollte für die Regelversorgung zugelassen werden, um den logopädischen Patient*innen die Vorteile der VT auch über die Corona-Krise hinaus nicht vorzuenthalten. Die Umsetzung erfordert allerdings u.a. die Berücksichtigung patient*innenspezifischer, methodischer, ethischer und technischer Bedingungen.


Literatur

1.
GKV Spitzenverband. Regelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der COVID-19-Pandemie, gültig ab 01.01.2021, Stand: 06.07.2021 [cited 2021 Aug 09]. Available from: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/ambulante_leistungen/heilmittel/20210706_Corona-Regelungen_Heilmittelbereich_ab_01-01-2021.pdf Externer Link
2.
Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss: Einleitung eines Beratungsverfahrens: Maßnahmen der Heilmitteltherapie als telemedizinische Leistung (Videotherapie) [cited 2020 Oct 22]. Available from: https://www.g-ba.de/beschluesse/4521/ Externer Link
3.
American Speech-Language-Hearing Association (AHSA). Evidence Map “Telepractice”. [cited 2020 Nov 24]. Available from: https://www2.asha.org/EvidenceMapLanding.aspx?id=8589944872 Externer Link
4.
Hastall M, Dockweiler C, Mühlhaus J. Achieving end user acceptance: Building blocks for an evidence-based user-centered framework for health technology development and assessment. In: Antona M, Stephanidis C, editors. Universal access in human-computer interaction: Human and technological environments. New York: Springer; 2017. p. 13-25.
5.
Rangarathnam B, Gilroy H, McCullough GH. Do patients treated for voice therapy with telepractice show similar changes in voice outcome measures as patients treated face-to-face? EBP Briefs. 2015;11(5):1-6.
6.
Wales D, Skinner L, Hayman M. The Efficacy of Telehealth-Delivered Speech and Language Intervention for Primary School-Age Children: A Systematic Review. Int J Telerehabil. 2017;9(1):55-70. DOI: 10.5195/ijt.2017.6219 Externer Link
7.
Mashima PA, Doarn CR. Overview of telehealth activities in speech-language pathology. Telemed J E Health. 2008;14(10):1101-17. DOI: 10.1089/tmj.2008.0080 Externer Link
8.
Hall N, Boisvert M, Steele R. Telepractice in the assessment and treatment of individuals with aphasia: a systematic review. Int J Telerehabil. 2013;5(1):27-38. DOI: 10.5195/ijt.2013.6119 Externer Link