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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 18.09.2021, digital

Aerosolpartikelemissionen beim Spielen verschiedener Blasinstrumente im Vergleich zum Atmen, Sprechen und Singen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Dorothea von Zadow - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Lukas Schumann - Hermann-Rietschel-Institut, Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland
  • Liliana Ifrim - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Martin Kriegel - Hermann-Rietschel-Institut, Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland
  • Mario Fleischer - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Alexander Schmidt - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Dirk Mürbe - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). sine loco [digital], 17.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocV17

doi: 10.3205/21dgpp40, urn:nbn:de:0183-21dgpp401

Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

© 2021 von Zadow et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Sorge vor einer möglichen Übertragung von SARS-CoV-2-Viren durch das Spielen von Blasinstrumenten über Aerosolpartikel bedingt seit Pandemiebeginn starke Einschränkungen im Kulturbetrieb.

Bisherige Empfehlungen zu Hygienekonzepten für musikalische Tätigkeiten, beispielsweise im Orchester, beruhen überwiegend auf der Visualisierung von Luftströmungen an Blasinstrumenten.

Die hier erfolgte Quantifizierung von Partikelemissionen soll zur Verbesserung der Risikobewertung in musikalischen Ensemblesituationen während gesundheitlich kritischer Perioden, auch über die aktuelle Pandemie hinaus, beitragen.

Material und Methoden: Es wurden Aerosolemissionsraten exemplarisch an 23 Blasinstrumentalisten eines Berufsorchesters aus den Gruppen der Flöten, Oboen, Klarinetten und Trompeten mit einem Laserpartikelzähler unter Reinraumbedingungen für die Testbedingungen Ruheatmung, Sprechen und Spielen gemessen.

Die Werte der jeweiligen Bläsergruppen wurden untereinander und mit im Vorfeld an erwachsenen Sängern erhobenen Daten verglichen.

Ergebnisse: Es besteht eine deutliche interindividuelle Variabilität der Partikelemissionsraten innerhalb der einzelnen Instrumentengruppen. Die Klarinetten zeigten insgesamt etwa gleichbleibende Emissionsraten unabhängig von der gespielten Lautstärke, während die Partikelproduktion der übrigen Instrumente mit zunehmendem Schalldruckpegel erkennbar zunahm.

Beim Atmen und Sprechen ergaben sich trotz strukturell bedingter Variationen im Versuchsaufbau keine Unterschiede zwischen Bläsern und Sängern. Somit kann von einer hinreichenden Vergleichbarkeit für das Singen im Vergleich zum Instrumentenspiel ausgegangen werden. In Abhängigkeit vom gesungenen bzw. gespielten Stück zeigte sich, dass bei Flöte und Oboe geringere Emissionsraten als Klarinette, Trompete und Gesang auftraten.

Diskussion: Die Untersuchungen zeigen, dass das Spielen von Trompete und Klarinette in etwa zu vergleichbaren Emissionsraten führt wie das Singen. Aufgrund der unterschiedlichen Spiel- und Singdauer müssen die absoluten Zahlen an emittierten Partikeln jedoch verschieden gewichtet werden, was zu unterschiedlichen Infektionsrisiken führt.

Fazit: Die unter experimentellen Bedingungen an Berufsmusikern erhobenen Aerosolemissionsraten sollten anhand von in situ-Messungen in Verbindung mit einer Quantifizierung von zu Infektionen führenden Viruslasten im Aerosol im Sinne des Risikoassessments weiter spezifiziert werden.


Text

Hintergrund

Durch die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie kommt es auch im Musikbetrieb global zu weitreichenden Einschränkungen. Grundlage ist die Annahme, dass es beim Singen und beim Spielen von Blasinstrumenten zu einer erhöhten Aerosolpartikelemission gegenüber dem Atmen und Sprechen und damit zu einem erhöhten Übertragungsrisiko des Virus kommt [1], [2]. Verschiedene bisherige Studien zur Ermittlung des zu erwartenden Aerosolpartikelausstoßes beim Musizieren beruhen vorrangig auf der Visualisierung von Partikeln im Luftstrom [3], [4]. Mehrere Arbeiten kommen zu dem Schluss, dass die Zahl der emittierten Aerosolpartikel wesentlich durch die Lautstärke beim Musizieren beeinflusst wird [3], [5], [6].

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Aerosolpartikelemissionsraten beim Spielen ausgewählter Blasinstrumente anhand von Probandengruppen zu ermitteln, um weitere belastbare Daten zur Risikobewertung von Konzertsituationen zu gewinnen.

Material und Methoden

Zur Ermittlung der Aerosolpartikelemissionsrate PM an 23 MusikerInnen eines Berliner Berufsorchesters aus den Gruppen der Flöten, Oboen, Klarinetten und Trompeten wurde ein Laserpartikelzähler (LPC) unter Reinraumbedingungen verwendet. Der Versuchsaufbau erfolgte analog zu vorhergehenden Untersuchungen an SängerInnen [6], [7]. Ziel war es, jede potenzielle Emissionsquelle im gesamten Instrumentenverlauf zu erfassen.

Ergebnisse

Interindividuell zeigte sich eine große Streubreite der Aerosolpartikelemissionsraten. Die für die Testkonditionen Atmen und Sprechen ermittelten Raten lagen in der Größenordnung der bei Sängerinnen und Sänger ermittelten Werte [7].

Im Vergleich der Aerosolpartikelemissionsraten zum Sprechen unterschieden sich die verschiedenen Instrumentengruppen. Für die Flöten betrug der Unterschied zwischen Instrumentenspiel und Sprechen Faktor 3.7, für die Oboen Faktor 10.4, für die Klarinetten Faktor 20.9 und die Trompeten Faktor 15.4 im Median (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Diskussion

Da pro Instrument mehrere Probanden untersucht wurden, können im Vergleich zu entsprechenden vorhergehenden Aerosolpartikelmessungen an Bläsern erste Aussagen über instrumentenspezifisches Emissionsverhalten getroffen werden [5].

Es ist anzunehmen, dass mit steigender Aufenthaltsdauer in unzureichend belüfteten Räumlichkeiten die Akkumulation von Aerosolpartikeln und deren Ausbreitung im Raum in Abhängigkeit vom Strömungsfeld als Infektionsweg auch über den Mindestabstand von 1,5m hinaus an Bedeutung gewinnen.

Im Vergleich zum Singen finden sich für Flöte und Oboe deutlich geringere, für Trompete und Klarinette vergleichbare Aerosolpartikelemissionsraten [7]. Die Zahl der emittierten Aerosole wird wesentlich durch die Lautstärke beim Musizieren beeinflusst [3], [5], [6]. Auf Grund der unterschiedlichen Spiel- und Singdauer müssen die absoluten ermittelten Zahlen verschieden gewichtet werden, was zu unterschiedlichen Infektionsrisiken führt. Es ist zu beachten, dass es sich um die reine Quantifizierung von Emissionsraten bei Bläsern handelt, welche ohne weitere Kenngrößen keinen unmittelbaren Rückschluss auf Infektionsraten zulassen.

Schlussfolgerung

Die unter experimentellen Bedingungen an Berufsmusikern erhobenen Aerosolemissionsraten sollten anhand von In-situ-Messungen in Verbindung mit einer Quantifizierung von zu Infektionen führenden Viruslasten im Aerosol im Sinne des Risikoassessments weiter spezifiziert werden.


Literatur

1.
Abraham A, He R, Shao S, Kumar SS, Wang C, Guo B, Trifonov M, Placucci RG, Willis M, Hong J. Risk Assessment and Mitigation of Airborne Disease Transmission in Orchestral Wind Instrument Performance. Journal of Aerosol Science. 2021;157:105797. DOI: 10.1016/j.jaerosci.2021.105797 Externer Link
2.
Becher L, Gena AW, Alsaad H, Richter B, Spahn C, Voelker C. The spread of breathing air from wind instruments and singers using schlieren techniques. Indoor Air. 2021. DOI: 10.1111/ina.12869 Externer Link
3.
Alsved M, Matamis A, Bohlin R, Richter M, Bengtsson PE, Fraenkel CJ, Medstrand P, Löndahl J. Exhaled respiratory particles during singing and talking. Aerosol Science and Technology. 2020;54(11):1245-8. DOI: 10.1080/02786826.2020.1812502 Externer Link
4.
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5.
McCarthy LP, Orton C, Watson NA, Gregson F, Haddrell AE, Browne WJ, Calder JD, Costello D, Reid JP, Shah PL, Bzdek BR. Aerosol and droplet generation from performing with woodwind and brass instruments. Aerosol Science and Technology. 2021; DOI: 10.1080/02786826.2021.1947470 Externer Link
6.
Mürbe D, Kriegel M, Lange J, Schumann L, Hartmann A, Fleischer M. Aerosol emission of adolescents voices during speaking, singing and shouting. PLoS One. 2021;16(2):e0246819. DOI: 10.1371/journal.pone.0246819 Externer Link
7.
Mürbe D, Kriegel M, Lange J, Rotheudt H, Fleischer M. Aerosol emission in professional singing of classical music. Sci Rep. 2021;11(1):14861. DOI: 10.1038/s41598-021-93281-x Externer Link
8.
Spahn C, Hipp A, Schubert B, Axt MR, Statmann M, Schmölder C, Richter B. Airflow and air velocity measurements while playing wind instruments, with respect to risk assessment of a SARS-CoV-2 infection. medRxiv. 2020. DOI: 10.1101/2020.12.17.20248234 Externer Link