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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 18.09.2021, digital

Videogestützte CI-Rehabilitation in der Covid-19-Pandemie

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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). sine loco [digital], 17.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocP18

doi: 10.3205/21dgpp33, urn:nbn:de:0183-21dgpp333

Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

© 2021 Völter et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Relevanz von digitalen Therapiemöglichkeiten hat auch im Bereich der Rehabilitation von CI-Patienten bedingt durch die Covid-19-Pandemie und damit verbundene Kontaktbeschränkungen stark zugenommen.

Material und Methoden: Über 5 Wochen erhielten 42 erwachsene CI-Träger mit einer Hörerfahrung von 11,3 Monaten (SD: 7,2) und einem Durchschnittsalter von 53,8 Jahren (SD: 15,6) einmal wöchentlich videogestützt Hörtraining über die Plattform sprechstunde.online (ips-zertifiziert). Fünf berufserfahrene Therapeuten beurteilten Therapieinhalte, technische Umsetzung und Interaktion nach jeder Therapieeinheit. Bei Studienabschluss wurden die Therapeuten-Patienten-Beziehung durch die Skala Therapeutische Allianz – Revised (STA-R), das Handling durch die System Usability Scale (SUS) und die Zufriedenheit anhand des Bochumer Videotherapie-Fragebogens von Patienten und Therapeuten erfasst. Auch eine Kosten-Nutzen-Analyse wurde durchgeführt.

Ergebnisse: Patienten (87,8) und Therapeuten (84,8) beurteilten die Videotherapie hinsichtlich der therapeutischen Allianz (STA-R) und der Usability (SUS) (Patienten: 87,9; Therapeuten: 93,0) als sehr positiv. Eine offene, angstfreie Kommunikation konnte trotz fehlendem, persönlichem Kontakt in 93,3% gewährleistet werden, unabhängig von Alter und Geschlecht (p=0,26). Weniger ängstlich waren Patienten mit mehr CI-Erfahrung (p=0,0025). Alle Therapeuten und 92,86% der Patienten empfanden die Videotherapie als eine positive Ergänzung zum konventionellen Hörtraining und mehr als 80% der befragten CI-Träger würden eine Videotherapie unabhängig von der Covid-19-Pandemie weiterhin nutzen. Die Zufriedenheit von Patienten (p=0,00064) und Therapeuten (p=0,0020) korrelierte stark mit der therapeutischen Allianz. Neben der Zeit- und Kostenersparnis für die Patienten wurde die verbesserte Trainingseffizienz bei Patienten mit einseitiger Taubheit (SSD) hervorgehoben. Verbesserungsbedarf bestand im Bereich der Technik (57,1%), wobei die anfänglich großen technischen Defizite (>75% aller Therapien) die Durchführung im Verlauf nicht beeinträchtigten. Das digitale Setting veränderte die Ansprüche an das Therapiematerial. Text-, Satz- und Wortmaterial konnte im Gegensatz zu Silben und Geräuschen gut integriert werden. Die Verwendung der Videotherapie führte zu einem Anstieg der Vorbereitungszeit um 3 Minuten (SD: 5,61).

Fazit: Nicht nur während der Covid-19-Pandemie scheint videogestütztes Hörtraining im Rahmen der Rehabilitation erwachsener CI-Träger eine gute Alternative zu einer face-to-face Therapie zu sein. Das Interesse der Patienten und Therapeuten ist groß. Ob eine stabile therapeutische Allianz langfristig aufrechterhalten werden kann und welchen Einfluss dieses Therapiekonzept mit seinen technischen Herausforderungen auf die Therapieeffizienz hat, muss durch weiterführende Studien ermittelt werden.

Schlüsselwörter: Telerehabilitation, Cochlea-Implantation, COVID-19, therapeutische Allianz


Text

Hintergrund

Die Relevanz von digitalen Therapiemöglichkeiten hat auch im Bereich der Rehabilitation von CI-Patienten bedingt durch die Covid-19-Pandemie und damit verbundene Kontaktbeschränkungen stark zugenommen [1], da die konventionelle Versorgung im face-to-face Setting nicht immer möglich war. Trainings-Apps können aufgrund von mangelnder Empathie, inhaltlichen Schwächen und einer geringer Adapitivität dieses derzeit noch nicht ersetzen [2]. Obwohl Sprachtherapeuten häufig Vorbehalte hinsichtlich der Stabilität der Therapeuten-Patienten-Beziehung äußern, werden Online-Angebote seit Jahren erfolgreich vor allem bei psychologischen Störgungsbildern eingesetzt [3].

Material und Methoden

Über 5 Wochen erhielten 42 erwachsene CI-Träger mit einer Hörerfahrung von 11,3 Monaten (SD: 7,2) und einem Durchschnittsalter von 53,8 Jahren (SD: 15,6) einmal wöchentlich videogestützt ein Hörtraining über eine ips-zertifizierte Plattform (sprechstunde.online). Übungen aller Schwierigkeitsgrade auf Geräusch-, Silben-, Wort-, Satz-, und Textebene konnten im live voice oder durch externe Trainingsprogramme durchgeführt werden. Fünf berufserfahrene Therapeuten beurteilten Therapieinhalte, technische Umsetzung und Interaktion nach jeder Therapieeinheit anhand eines Kurzfragebogens. Bei Studienabschluss wurden die Therapeuten-Patienten-Beziehung durch die Skala Therapeutische Allianz – Revised (STA-R), das Handling durch die System Usability Scale (SUS) und die Zufriedenheit anhand des Abschlussfragebogens Videotherapie von Patienten und Therapeuten erfasst. Auch eine Kosten-Nutzen-Analyse hinsichtlich der Fahrtkosten der Patienten und des Zeitaufwandes auf Seiten der Therapeuten wurde durchgeführt.

Ergebnisse

Patienten (87,8) und Therapeuten (84,8) beurteilten die Videotherapie hinsichtlich der therapeutischen Allianz (STA-R) und der Usability (SUS) (Patienten: 87,9; Therapeuten: 93,0) als sehr positiv. Eine offene, angstfreie Kommunikation konnte trotz fehlendem, persönlichem Kontakt in 93,3% gewährleistet werden, unabhängig von Alter und Geschlecht (p=0,26). Weniger ängstlich waren Patienten mit mehr CI-Erfahrung (p=0,0025). Alle Therapeuten und 92,86% der Patienten empfanden die Videotherapie als eine positive Ergänzung zum konventionellen Hörtraining und mehr als 80% der befragten CI-Träger würden eine Videotherapie unabhängig von der Covid-19-Pandemie weiterhin nutzen. Die Zufriedenheit von Patienten (p=0,00064) und Therapeuten (p=0,0020) korrelierte stark mit der therapeutischen Allianz. Patienten und Therapeuten fühlten sich während der Videotherapie gleichermaßen wohl (92,9% versus 97,6%). Trotzdem merkten die Therapeuten an, dass die face-to-face Therapie für sie bei knapp einem Drittel der Patienten erfüllender sei. Neben der Zeit- und Kostenersparnis für die Patienten (23,85 Euro an Fahrtkosten und 114,8 min an Fahrzeit pro Therapie) wurde die verbesserte Trainingseffizienz bei Patienten mit einseitiger Taubheit (SSD) hervorgehoben. Verbesserungsbedarf sahen die Teilnehmer in der Technik (57,1%), wobei die anfänglich in >75% auftretenden Probleme die Durchführung im Verlauf nicht mehr beeinträchtigten. Lediglich die Tonübertragung blieb über den Verlauf hinweg inkonstant. Das digitale Setting veränderte die Ansprüche an das Therapiematerial. Text-, Satz- und Wortmaterial konnte im Gegensatz zu Silben und Geräuschen gut integriert werden. Dabei benötigten die Therapeuten eine geringfügig längere Vorbereitungszeit (ca. 3 min (SD: 5,61)). Die Patienten waren mit den Therapieinhalten insgesamt sehr zufrieden. So gelang es nach Meinung von 41 der 42 Patienten gut, die Inhalte abwechslungsreich auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen.

Diskussion

Bedenken hinsichtlich der therapeutischen Allianz im digitalen Setting konnten in dieser Studie nicht bestätigt werden. Sowohl Patienten als auch Therapeuten bewerteten diese als positiv, auch wenn Therapeuten eine face-to-face Therapie bei manchen Patienten vorziehen. Dies könnte auf die eingeschränkte emotionale Unterstützung und das erschwerte Vermitteln von Empathie zurückzuführen sein. Die Vor- und Nachteile betreffen vor allem die Kostenersparnis für den Patienten und die technischen Herausforderungen auf beiden Seiten. Dabei sei eine Entfernung zum CI-Zentrum von mindestens 30 km relevant [4]. Das Alter hatte in der Patientengruppe, anders als in der Literatur beschrieben, keine Auswirkungen auf die Akzeptanz [5]. Grund dafür könnte die ausführliche Einführung der Patienten in das Handling sein.

Fazit

Nicht nur während der Covid-19-Pandemie scheint videogestütztes Hörtraining im Rahmen der Rehabilitation erwachsener CI-Träger eine gute Alternative zu einer face-to-face Therapie zu sein. Das Interesse der Patienten und Therapeuten ist groß. Ob eine stabile therapeutische Allianz langfristig aufrechterhalten werden kann und welchen Einfluss dieses Therapiekonzept mit seinen technischen Herausforderungen auf die Therapieeffizienz hat, muss durch weiterführende Studien ermittelt werden.


Literatur

1.
Aschendorff A, Arndt S, Kröger S, Wesarg T, Ketterer MC, Kirchem P, Pixner S, Hassepaß F, Beck R. Qualität der Cochleaimplantat-Rehabilitation unter COVID-19-Bedingungen [Quality of cochlear implant rehabilitation under COVID-19 conditions]. HNO. 2020;68(11):847-53. DOI: 10.1007/s00106-020-00922-0 Externer Link
2.
Völter C, Schirmer C, Stöckmann C, Dazert S. Computerbasiertes Hörtraining in der Hörrehabilitation Erwachsener nach Cochleaimplantation [Computer-based auditory training for hearing rehabilitation of adult cochlear implant users]. HNO. 2020;68(11):817-27. DOI: 10.1007/s00106-020-00898-x Externer Link
3.
Nelson EL, Patton S. Using Videoconferencing to Deliver Individual Therapy and Pediatric Psychology Interventions with Children and Adolescents. J Child Adolesc Psychopharmacol. 2016;26(3):212-20. DOI: 10.1089/cap.2015.0021 Externer Link
4.
Aponte-Tinao LA, Farfalli GL, Albergo JI, Plazzotta F, Sommer J, Luna D, de Quirós FGB. Face to Face Appointment vs. Telemedicine in First Time Appointment Orthopedic Oncology Patients: A Cost Analysis. Stud Health Technol Inform. 2019;264:512-5. DOI: 10.3233/SHTI190275 Externer Link
5.
Bujnowska-Fedak MM, Grata-Borkowska U. Use of telemedicine-based care for the aging and elderly: promises and pitfalls. SHTT. 2015;3:91-105. DOI: 10.2147/SHTT.S59498 Externer Link