Artikel
Selbstevaluierung des Hörstatus nach CI-Versorgung – Entwicklung einer App unter Einbindung der Usergruppe
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 28. Oktober 2021 |
---|
Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Ressourcen- und Personalknappheit erschweren bei steigenden Fallzahlen in der Cochlea-Implantat-Versorgung die Gewährleistung der jährlichen medizinischen und technischen Kontrolle, welche in den AWMF-Leitlinien verankert ist. Zeitgleich wächst das Bedürfnis der Patienten nach mehr Flexibilität, Mobilität und Effektivität, welches durch digitale Angebote erfüllt werden kann. Ziel dieser Studie war es, CI-Träger frühzeitig in die Entwicklung einer App zur Selbstevaluierung des Hörstatus einzubinden, um langfristig eine gute Usability und Alltagseinbindung zu gewährleisten.
Material und Methoden: 21 erwachsene CI-Patienten im Alter von 51,6 Jahren (SD: 17,54) mit einer Hörerfahrung von 9,28 Jahren (SD: 5,35) testeten einen von MED-EL entwickelten Prototypen der RemoteCheck-App, welche der eigenständigen Beurteilung des Hörstatus dienen soll. Das sechsstufige Programm, welches das subjektive Sprachverstehen, die Funktionsfähigkeit des Audioprozessors, 3 Hörtests und eine visuelle Erfassung des Implantatlagers beinhaltet, wurde von den Probanden nach einer Einweisung selbstständig durchgeführt. Anschließend bewerteten sie anhand der System Usability Scale (SUS) das Handling und die subjektive Nutzerfreundlichkeit mit Hilfe eines eigens erstellten Fragebogens. Daneben wurde die intrinsische Motivation mit der Kurzskala für intrinsische Motivation (KIM) erfasst und eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt.
Ergebnisse: Die Usability wurde überwiegend als positiv bewertet (SUS-Score: 78,1 (SD: 11,62)). Die Erwartungen an das Programm erfüllten sich in 86%. Eine komplett eigenständige Durchführung wurde durch ausgewählte Aufgaben erschwert (Ling-Laute Tests, Ohr-Selfie). 52% gaben an, Unterstützung benötigt zu haben. Dies korrelierte stark mit dem Alter (p=0.0090). Trotzdem empfanden die Probanden die Erprobung als sehr positiv (p=0.044). Die Beurteilung des Programms korrelierte stark mit der Medienkompetenz: je erfahrener die Probanden in der Mediennutzung, desto besser bewerteten sie Konzept (p=0.0081) und Nutzerfreundlichkeit (p=0.044). Auch hatten die Patienten Spaß bei der Durchführung (5,28/7), waren mit ihren Leistungen zufrieden (4,78/7) und hatten den Eindruck, eigenverantwortlich zu arbeiten (4,81/7). Als Vorteile wurden besonders die Zeitersparnis (29%) und die Möglichkeit zur Selbstkontrolle (18%) wahrgenommen. 62% (13 Probanden) können sich eine zukünftige Nutzung vorstellen, während 8 Teilnehmer den persönlichen Kontakt zum Techniker aufgrund des Austausches und bestehender Unsicherheiten im Umgang mit der Technik bevorzugen. Die durchschnittliche Kostenersparnis seitens der Patienten lag bei 39,42 Euro (SD: 17,23).
Fazit: Die Möglichkeit einer digitalen eigenständigen zeit- und ortsunabhängigen Langzeitkontrolle des Implantates wird vom Großteil der Patienten als positiv wahrgenommen. Eine frühe Einbindung in den Entwicklungsprozess ermöglicht notwendige Überarbeitungen in der Userführung vor der Markeinführung.
Text
Hintergrund
Ressourcen- und Personalknappheit erschweren bei steigenden Fallzahlen in der Cochlea-Implantat-Versorgung die Gewährleistung der jährlichen medizinischen und technischen Kontrolle, welche in den AWMF-Leitlinien verankert ist [1]. Dabei wünschen sich die Patienten besonders in der Langzeitnachsorge mehr Flexibilität, Mobilität und Effektivität. Auch soll die Verwendung digitaler Tools und die dadurch aktivere Einbindung in den Gesundheitsprozess zu signifikanten Verbesserungen im Output führen [2]. Dabei ist die frühe Einbindung der Zielgruppe in den Entwicklungsprozess von großer Bedeutung, da sie langfristig eine gute Usability und Alltagseinbindung gewährleisten kann [3].
Material und Methode
21 erwachsene CI-Patienten im Alter von 51,6 Jahren (SD: 17,54) mit einer Hörerfahrung von 9,28 Jahren (SD: 5,35) testeten im Rahmen ihrer Langzeitnachsorge einen von MED-EL entwickelten Prototypen der RemoteCheck-App, welcher der eigenständigen Beurteilung des Hörstatus dienen soll. Das Frontend des Prototyps teilt sich in sechs Bereiche auf: subjektives Sprachverstehen, Funktionsfähigkeit des Audioprozessors, Ling-Laut Test, Triple Digit Test, Sound Test und eine Fotodokumentation zu einer visuellen Erfassung des Implantatlagers. Nach einer Einweisung in die Funktionen und Abläufe des Prototyps führten die Patienten die Analyse ihrer Hörstatus eigenständig an einem Tablet durch. Sie bewerteten anschließend das Handling anhand der System-Usability-Scale (SUS) und die subjektive Nutzerfreundlichkeit mit Hilfe eines eigens erstellten Fragebogens. Daneben wurde die intrinsische Motivation mit der Kurzskala für intrinsische Motivation (KIM) erfasst und eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt, welche sich auf die Fahrtkosten der Patienten und die Personalkosten seitens der Rehabilitationseinrichtung bezog.
Ergebnisse
Die Usability wurde überwiegend als positiv bewertet (SUS-Score: 78,1 (SD: 11,62)). Die Erwartungen an das Programm erfüllten sich in 86%. Eine eigenständige Durchführung war nicht immer möglich (Ling-Laute Test, Ohr-Selfie). Insgesamt gaben 52% an, Unterstützung benötigt zu haben. Je älter die Probanden waren, desto mehr waren sie auf Hilfe angewiesen (p=0.009).Trotzdem empfanden die Probanden die Erprobung als sehr positiv und 76% würden die RemoteCheck App weiterempfehlen. Die Beurteilung des Prototyps korrelierte stark mit der Medienkompetenz: je erfahrener die Probanden in der Mediennutzung waren, desto besser bewerteten sie das Konzept (p=0.0081) und die Nutzerfreundlichkeit (p=0.044). Aus dem Fragebogen ergab sich, dass die Patienten Spaß bei der Durchführung hatten, mit ihren Leistungen zufrieden waren und den Eindruck hatten, eigenverantwortlich zu arbeiten. Als Vorteile wurden besonders die Zeitersparnis (29%) und die Möglichkeit zur Selbstkontrolle (18%) wahrgenommen. 62% der Teilnehmer können sich eine zukünftige Nutzung vorstellen, während 8 Teilnehmer den persönlichen Kontakt zum Techniker aufgrund des Austausches und bestehender Unsicherheiten im Umgang mit der Technik bevorzugen. Die durchschnittliche Kostenersparnis seitens der Patienten lag bei 39,42 Euro (SD: 17,23).
Diskussion
In dieser Studie zeigte sich, ähnlich wie in anderen Arbeiten [4], dass das Alter und die Technikerfahrungen einen großen Einfluss auf die Umsetzbarkeit digitaler Rehabilitationselemente hat. Trotz einer Einweisung benötigten ältere Patienten mehr Unterstützung. Im Gegensatz dazu stehen Ergebnisse aus einer Studie zum Einsatz von Videotherapien in der postoperativen Rehabilitation nach Cochlea-Implantation, in der das Alter und die Medienkompetenz keinen Einfluss auf die Usability zeigten (Völter, unpublished data).
Fazit
Die Möglichkeit einer digitalen zeit- und ortsunabhängigen Langzeitkontrolle des Cochlea-Implantates wird vom Großteil der Patienten als positiv wahrgenommen. Eine frühe Einbindung in den Entwicklungsprozess ermöglicht notwendige Überarbeitungen in der Userführung vor der Markteinführung. Offen bleibt jedoch, ob eine digitale Langzeitnachsorge ebenso effektiv sein kann wie eine face-to-face Betreuung oder vielmehr als Triage-Tool dienen sollte.
Literatur
- 1.
- Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. S2k-Leitlinie – Cochlea-Implantat Versorgung. AWMF-Register-Nr. 017/071. 2020 [last accessed 2021 Apr 16]. Available from: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-071l_S2k_Cochlea-Implantat-Versorgung-zentral-auditorische-Implantate_2020-12.pdf
- 2.
- Hibbard JH, Greene J, Shi Y, Mittler J, Scanlon D. Taking the long view: how well do patient activation scores predict outcomes four years later? Med Care Res Rev. 2015;72(3):324-37. DOI: 10.1177/1077558715573871
- 3.
- Lauer N, Giodano K, Kreiter D, Leusch V, Corsten S. „Mach mal ’ne App“: Qualitätssicherung digitaler Entwicklungen am Beispiel der App BaSeTaLK. Forum Logopädie. 2021;35(3):20-7. DOI: 10.2443/skv-s-2021-53020210304
- 4.
- Bujnowska-Fedak M, Grata-Borkowska U. Use of telemedicine-based care for the aging and elderly: promises and pitfalls. SHTT. 2015;3:91-105. DOI: 10.2147/SHTT.S59498