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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 18.09.2021, digital

Hörst du, wer ich bin? Identifizierung von Sprechermerkmalen durch Zuhörergruppen unterschiedlicher Altersstufen und Expertise

Vortrag

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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). sine loco [digital], 17.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocV7

doi: 10.3205/21dgpp24, urn:nbn:de:0183-21dgpp246

Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

© 2021 Thiele et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Es wurde untersucht, inwieweit Zuhörer unterschiedlicher Altersstufen und Expertise bestimmte Merkmale ihnen unbekannter Sprecher anhand des alleinigen Hörens ihrer Stimmaufnahmen identifizieren können (physische Merkmale, Akzent/Dialekt, Rauchverhalten, Bildungsstand, Persönlichkeit, Erscheinungsbild).

U.a. wurde in bisherigen Studien kein umfassender Vergleich phonetisch geschulter Hörer und Laienhörer hinsichtlich ihrer Wahrnehmung von Stimmmerkmalen durchgeführt, da nur wenige Untersuchungen geschulte Hörer einbezogen.

Es ergaben sich zwei Fragestellungen: (i) Unterscheidet sich die Stimmerkennung von Kindern von derjenigen von Jugendlichen oder Erwachsenen? (ii) Erzielen phonetisch geschulte Zuhörer bessere Ergebnisse als Laienhörer?

Material und Methoden: In einer Querschnittsstudie wurden 197 Probanden, gegliedert in 4 Gruppen (Grundschüler, Gymnasiasten, Studierende, Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie), Stimmaufnahmen von 23 Sprechern vorgespielt. Sie sollten einen Fragebogen über die genannten Sprechermerkmale ausfüllen.

Ergebnisse: Im Hinblick auf die einzelnen Merkmale identifizierten die Probanden Geschlecht, Alter, ausländische Akzente und teilweise Bildungsstand der Sprecher mit höherer Genauigkeit, während ihnen richtige Einschätzungen der anderen Kategorien wie Körpergröße, Body-Mass-Index, Dialekte und Rauchverhalten weniger häufig gelangen.

Die Grundschüler erreichten zwar in insgesamt 7 von 9 bewerteten Kategorien (außer BMI, Geschlecht) signifikant weniger korrekte Antworten als die Gymnasiasten, Studierenden und Phoniater, jedoch gelangen auch ihnen oft richtige Zuordnungen über dem Zufallsniveau. Die Gymnasiasten erzielten häufig ähnlich gute Ergebnisse wie die erwachsenen Zuhörer. Die von Phoniatern und Studierenden als erwachsenen Laienhörern erreichten Ergebnisse unterschieden sich in keiner Kategorie signifikant.

Diskussion: Der Ergebnisunterschied zwischen den Grundschülern und den anderen Gruppen legt nahe, dass die Fähigkeit zur Identifizierung von Stimmmerkmalen (z.B. Altersdifferenzierung), wie es bereits in früheren Studien postuliert wurde, von Erfahrung und damit u.a. auch vom Lebensalter abhängt. Dennoch ist zu konstatieren, dass die kindlichen Zuhörer teilweise bereits ähnliche Informationen aus den Sprecherstimmen gewinnen können wie Erwachsene, etwa im Hinblick auf physische Merkmale, was für die Forensik, z.B. bei Zeugenaussagen, von Relevanz sein könnte.

Die Phoniater und Pädaudiologen hatten offenbar, mit Ausnahme der Zuordnung der Dialekte, keinen eindeutigen Vorteil durch ihre Expertise oder Erfahrung. Zu ihrem Ergebnis könnte beitragen, dass ihre Befragung nicht in einer so kontrollierten Umgebung stattfinden konnte wie bei Studierenden und Schülern (Durchführung z.T. in Eigeninitiative nach Zusendung der Unterlagen).

Fazit: (i) Eine Altersabhängigkeit der Stimmerkennung bzw. der benötigen Fähigkeiten konnte bestätigt werden. (ii) Die phonetisch geschulten Zuhörer hatten keinen signifikanten Vorteil gegenüber den erwachsenen Laienhörern.


Text

Hintergrund

In dieser Arbeit wurde untersucht, inwieweit Zuhörer unterschiedlicher Altersstufen und Expertise bestimmte Merkmale ihnen unbekannter Sprecher anhand des alleinigen Hörens ihrer Stimmaufnahmen identifizieren können (physische Merkmale, Akzent/Dialekt, Rauchverhalten, Bildungsstand, Persönlichkeit, Erscheinungsbild).

U.a. wurde in bisherigen Studien kein umfassender Vergleich phonetisch geschulter Hörer und Laienhörer hinsichtlich ihrer Wahrnehmung von Stimmmerkmalen durchgeführt, da nur wenige Untersuchungen geschulte Hörer einbezogen [1].

Es ergaben sich zwei Fragestellungen: (i) Unterscheidet sich die Stimmerkennung von Kindern von derjenigen von Jugendlichen oder Erwachsenen? (ii) Erzielen phonetisch geschulte Zuhörer bessere Ergebnisse als Laienhörer?

Material und Methoden

In einer Querschnittsstudie wurden 197 Probanden, gegliedert in 4 Gruppen (Grundschüler, Gymnasiasten, Studierende, Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie), Stimmaufnahmen von 23 Sprechern vorgespielt. Anhand dessen sollten sie einen Fragebogen, der die genannten Merkmale der Sprecher abfragte, ausfüllen.

Ergebnisse

Im Hinblick auf die einzelnen Merkmale identifizierten die Probanden Geschlecht, Alter, ausländische Akzente und teilweise Bildungsstand der Sprecher mit höherer Genauigkeit, während ihnen richtige Einschätzungen der anderen Kategorien wie Körpergröße, Body-Mass-Index (BMI), Dialekte und Rauchverhalten weniger häufig gelangen.

Die Zuhörer im Grundschulalter erreichten zwar in insgesamt 7 von 9 bewerteten Kategorien (außer BMI, Geschlecht) signifikant weniger korrekte Antworten als die Gymnasiasten, Studierenden und Phoniater, jedoch gelangen auch ihnen oft richtige Zuordnungen über dem Zufallsniveau. Die Gymnasiasten erzielten häufig ähnlich gute Ergebnisse wie die erwachsenen Zuhörer. Die von Phoniatern und Studierenden als erwachsenen Laienhörern erreichten Ergebnisse unterschieden sich in keiner Kategorie signifikant (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Diskussion

Der Ergebnisunterschied zwischen den Grundschülern und den anderen Gruppen legt nahe, dass die Fähigkeit zur Identifizierung von Stimmmerkmalen (z.B. Altersdifferenzierung), wie es bereits in früheren Studien postuliert wurde, von Erfahrung und damit u.a. auch vom Lebensalter abhängt [2], [3], [4]. Dennoch ist zu konstatieren, dass die kindlichen Zuhörer teilweise bereits ähnliche Informationen aus den Sprecherstimmen gewinnen können wie Erwachsene, etwa im Hinblick auf physische Merkmale, was für die Forensik, z.B. bei Zeugenaussagen [5], von Relevanz sein könnte.

Die Phoniater und Pädaudiologen hatten offenbar, mit Ausnahme der Zuordnung der Dialekte, keinen eindeutigen Vorteil durch ihre Expertise oder Erfahrung. Zu ihrem Ergebnis könnte beitragen, dass ihre Befragung nicht in einer so kontrollierten Umgebung stattfinden konnte wie bei Studierenden und Schülern (Durchführung z.T. in Eigeniniatiative nach Zusendung der Unterlagen).

Fazit

(i) Eine Altersabhängigkeit der Stimmerkennung bzw. der dafür benötigen Fähigkeiten konnte bestätigt werden.
(ii) Die phonetisch geschulten Zuhörer hatten keinen signifikanten Vorteil gegenüber den erwachsenen Laienhörern.


Literatur

1.
Braun A, Rietveld T. The influence of smoking habits on perceived age. In: Elenius K, Branderud P, Hrsg. Proceedings of the XIIIth International Congress of Phonetic Sciences. Stockholm: KTH; 1995. p. 294-7.
2.
Huntley R, Hollien H, Shipp T. Influences of listener characteristics on perceived age estimations. J Voice. 1987; 1:49-52.
3.
Hundt M, Palliwoda N, Schröder S. Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien. Ergebnisse des Kieler DFG-Projektes. Berlin, Boston: De Gruyter; 2017.
4.
Baker W, Eddington D, Nay L. Dialect identification: The effects of region of origin and amount of experience. Am Speech. 2009; 84:48-71.
5.
Jessen M. Forensic Phonetics. Lang Linguist Compass. 2008;2:671-711.