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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 18.09.2021, digital

Langzeitverlauf nach stationärer Sprachtherapie: schulische und sprachliche Entwicklung von Kindern mit schwerer umschriebener Sprachentwicklungsstörung (USES)

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Sebastian Dippold - Praxis für Phoniatrie, Pädaudiologie und HNO, Bad Kreuznach, Deutschland
  • author Jana Wolf-Mühlbauer - Hals-, Nasen-, Ohrenklinik und Poliklinik, Abteilung Kommunikationsstörungen, Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz, Deutschland
  • author Anne Läßig - Hals-, Nasen-, Ohrenklinik und Poliklinik, Abteilung Kommunikationsstörungen, Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz, Deutschland
  • author Annerose Keilmann - Stimmheilzentrum, Bad Rappenau, Deutschland

37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). sine loco [digital], 17.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocP9

doi: 10.3205/21dgpp18, urn:nbn:de:0183-21dgpp181

Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

© 2021 Dippold et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Vornehmlich im anglikanischen Sprachraum durchgeführte Studien [1], [2], [3] zeigen, dass Sprachentwicklungsstörungen (SES) zu Benachteiligungen in schulischer und beruflicher Entwicklung führen. Wie sich die Situation in Deutschland darstellt, ist nicht publiziert. Wir haben Heranwachsende und junge Erwachsene, die aufgrund einer SES stationär behandelt worden waren, bezüglich ihrer schulischen und sprachlichen Entwicklung befragt.

Material und Methoden: Auf Grundlage eines hierfür entwickelten Fragebogens wurden insgesamt 193 junge Erwachsene, die in den Jahren 1998–2005 stationär in der Abteilung Kommunikationsstörungen der HNO Universitätsmedizin Mainz behandelt worden waren, kontaktiert und bezüglich ihrer schulischen Entwicklung und der noch aktuell bestehenden sprachlichen Defizite befragt. 70 Probandinnen/Probanden konnten in die Studie eingeschlossen werden.

Ergebnisse: Knapp die Hälfte der Probandinnen/Probanden (48,6%, n=34) besuchte in den ersten vier Jahren durchgehend die normale Regelgrundschule, die andere Hälfte (50%, n=35) eine Sprachheilschule bzw. Förderschule mit Schwerpunkt Sprache/Kommunikation (andere: 1,4%, n=1).

31,5% (n=22) beendeten die Schullaufbahn mit dem Abitur/Fachabitur, 33% (n=23) mit dem Realschulabschluss und 30% (n=21) mit dem Hauptschulabschluss, drei Personen mit einem sonderpädagogischen Abschluss, eine ohne Abschluss.

71% (n=50) der Probandinnen/Probanden verneinten heute noch bestehende sprachliche Einschränkungen.

Diskussion: In der von uns durchgeführten Befragung ca. 10 Jahre nach Abschluss der letzten sprachlichen Therapieeinheiten zeigten sich, im Gegensatz zu vorherigen Studien, insgesamt positive Ergebnisse sowohl in schulischer als auch sprachlicher Hinsicht. Ob dieses positive Outcome auch bei SES-Kindern „nur“ mit ambulanter logopädischer Therapie erreichbar ist, bleibt unklar. Hier böte sich eine prospektive Studie von Kindern mit SES an, welche nicht die Option haben, eine stationäre Sprachtherapie durchzuführen.

Auf eine Betrachtung von weiteren Zusammenhängen, beispielsweise zwischen besuchter Schulform und späterer Ausbildung/beruflicher Tätigkeit, wurde aufgrund der insgesamt geringen Probandenzahl verzichtet.

Fazit: Die schulische und sprachliche Entwicklung nach einer stationären Therapie einer schweren SES scheint günstig zu verlaufen. Die schulische Laufbahn wurde in über 90% mit einem Regelschulabschluss beendet und sprachliche Schwierigkeiten wurden von den befragten Probandinnen/Probanden als untergeordnet eingeschätzt.


Text

Hintergrund

Vornehmlich im angloamerikanischen Sprachraum durchgeführte Studien [1], [2], [3] zeigen, dass Sprachentwicklungsstörungen (SES) zu Benachteiligungen in schulischer und beruflicher Entwicklung führen. Wie sich die Situation in Deutschland darstellt, ist nicht publiziert. Wir haben Heranwachsende und junge Erwachsene, die aufgrund einer SES stationär behandelt worden waren, bezüglich ihrer schulischen und sprachlichen Entwicklung befragt.

Material und Methoden

Auf Grundlage eines hierfür entwickelten Fragebogens wurden insgesamt 193 junge Erwachsene, die in den Jahren 1998–2005 stationär in der Abteilung Kommunikationsstörungen der HNO-Universitätsmedizin Mainz behandelt worden waren, kontaktiert und bezüglich ihrer schulischen Entwicklung und der noch aktuell bestehenden sprachlichen Defizite befragt. 70 Probandinnen/Probanden konnten in die Studie eingeschlossen werden.

Ergebnisse

Knapp die Hälfte der Probandinnen/Probanden (48,6%, n=34) besuchte in den ersten vier Jahren durchgehend die normale Regelgrundschule, die andere Hälfte (50%, n=35) eine Sprachheilschule bzw. Förderschule mit Schwerpunkt Sprache/Kommunikation (andere: 1,4%, n=1). 31,5% (n=22) beendeten die Schullaufbahn mit dem Abitur/Fachabitur, 33% (n=23) mit dem Realschulabschluss und 30% (n=21) mit dem Hauptschulabschluss, drei Personen mit einem sonderpädagogischen Abschluss, eine ohne Abschluss. Die Frage nach der weiterführenden Ausbildung beantworteten nur 60% (n=42) der Probandinnen/Probanden. 66,7% (n=28) der Probandinnen/Probanden, welche die Frage beantworteten, waren noch in einer Ausbildung, 11,9% (n=5) hatten diese abgeschlossen. Im Studium befanden sich 9,5% (n=4) der Probandinnen/Probanden. Die Frage nach noch aktuell bestehenden sprachlichen Problemen beantworteten 71% (n=50) mit „nein“ („ja“: 29%, n=20). 89% (n=62) empfanden keine Benachteiligung aufgrund sprachlicher Probleme. 36 Probandinnen/Probanden (51%) beantworteten die Frage, ob sie einen Beruf bewusst nicht ausgewählt haben, weil sie sich diesen aufgrund ihrer Sprachprobleme nicht zutrauten mit „nein“ („ja“: n=6, 9%; keine Antwort: n=28, 40%). 36 Probandinnen/Probanden (51%) gaben an, dass Sprachprobleme kein Hindernis für eine berufliche Anstellung gewesen seien („ja“: n=5, 7%; keine Antwort: n=29, 42%).

Diskussion

In der von uns durchgeführten Befragung ca. 10 Jahre nach Abschluss der letzten sprachlichen Therapieeinheiten zeigten sich, im Gegensatz zu vorherigen Studien, insgesamt positive Ergebnisse sowohl in schulischer als auch sprachlicher Hinsicht. Ob dieses positive Outcome auch bei SES-Kindern „nur“ mit ambulanter logopädischer Therapie erreichbar ist, bleibt unklar. Hier böte sich eine prospektive Studie von Kindern mit SES an, welche nicht die Option haben, eine stationäre Sprachtherapie durchzuführen.

Auf eine Betrachtung von weiteren Zusammenhängen, beispielsweise zwischen besuchter Schulform und späterer Ausbildung/beruflichen Tätigkeit, wurde aufgrund der insgesamt geringen Probandenzahl verzichtet.

Fazit

Die schulische und sprachliche Entwicklung nach einer stationären Therapie einer schweren SES scheint günstig zu verlaufen. Die schulische Laufbahn wurde in über 90% mit einem Regelschulabschluss beendet und sprachliche Schwierigkeiten wurden von den befragten Probandinnen/Probanden als untergeordnet eingeschätzt.


Literatur

1.
Snowling MJ, Adams JW, Bishop DV, Stothard SE. Educational attainments of school leavers with a preschool history of speech-language impairments. Int J Lang Commun Disord. 2001;36(2):173-83. DOI: 10.1080/13682820010019892 Externer Link
2.
Beitchman JH, Wilson B, Brownlie EB, Walters H, Lancee W. Long-term consistency in speech/language profiles: I. Developmental and academic outcomes. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 1996;35(6):804-14. DOI: 10.1097/00004583-199606000-00021 Externer Link
3.
Conti-Ramsden G, Durkin K, Simkin Z, Knox E. Specific language impairment and school outcomes. I: Identifying and explaining variability at the end of compulsory education. Int J Lang Commun Disord. 2009;44(1):15-35. DOI: 10.1080/13682820801921601 Externer Link