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37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 18.09.2021, digital

Der Einfluss von subjektiver Lautstärke, Tonhöhe, Messintervall und Vokal auf den Jitter bei gesunden Gesangsstudent*innen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Philipp Mathmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Maria Matteschk - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité, Berlin, Deutschland
  • author Liliana Araújo - Centre for Performance Science, Royal College of Music, London, Großbritannien
  • author Louise Atkins - Centre for Performance Science, Royal College of Music, London, Großbritannien
  • author Terry Clark - Centre for Performance Science, Royal College of Music, London, Großbritannien
  • author Harald Euler - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Tadeus Nawka - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité, Berlin, Deutschland
  • author Lennart H. Pieper - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Leipzig, Deutschland
  • author Saskia Rohrbach-Volland - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité, Berlin, Deutschland
  • author Ruth Lang-Roth - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Köln, Deutschland
  • author Katrin Neumann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Aaron Williamon - Centre for Performance Science, Royal College of Music, London, Großbritannien

37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). sine loco [digital], 17.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocV35

doi: 10.3205/21dgpp04, urn:nbn:de:0183-21dgpp041

Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

© 2021 Mathmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Der Jitter (%) wird als Einflussgröße zur Berechnung des Dysphonie-Schweregrad-Index der Stimme (DSI) herangezogen. Der DSI soll hierbei ein möglichst objektiver klinischer Parameter sein. Der Jitter unterliegt jedoch, nach Art seiner Erhebung, starken Schwankungen. Ziel dieser Studie war es, zu untersuchen, wie man bei gesunden jungen Sänger*innen einen möglichst reliablen Jitter generieren kann. Es wurden die Auswirkungen von Schalldruckpegel (SPL), Tonhöhe, Messintervall und Vokal auf den Jitter bewertet und Empfehlungen für klinische Messungen abgeleitet.

Material und Methoden: 90 gesunde Gesangsstudent*innen (66 Frauen, 14 Männer) im Alter von 18–47 Jahren wurden am Royal College of Music in London im Rahmen einer Forschungskooperation unter dem Arbeitstitel „Musical Impact – Fit to Perform“ untersucht. Die fünf Vokale /a:/, /e:/, /i:/, /o:/ und /u:/ wurden in leise und laut sowie in tiefer, mittlerer und hoher Tonlage (Referenztöne bezogen auf das Stimmfach) gesungen. Die resultierenden Aufnahmen wurden in unterschiedlichen Messintervallen (70, 250 und 1000 ms) geschnitten. Die n=7953 Audiodateien wurden mit PRAAT analysiert. Untersucht wurden die Auswirkungen von SPL, Tonhöhe, Messintervall und Vokal auf den Jitter mittels deskriptiver und inferenzstatistischer Verfahren (lineare gemischte Modelle und Cronbachsches Alpha (α)). Die Vergleiche der Alpha-Koeffizienten für abhängige Gruppen erfolgten nach dem von Diedenhofen und Musch (2016) vorgeschlagenen Verfahren.

Ergebnisse: Der α-Koeffizienten für die „laute“ Phonation war mit α=.961 signifikant (ρ<0,001) höher als für die „leise“ Phonation.

Der α-Koeffizient für die „hohe“ Phonation war mit α=.946 signifikant (ρ≤0,001) höher als für die „tiefe“ Phonation. „Mittlere“ und „hohe“ Phonation unterschieden sich jedoch nicht signifikant (ρ=.268), wobei der α-Koeffizient =.946 für „hohe“ Phonation über dem für „mittlere“ Phonation (α=.935) lag.

Der Vokal „o“ (α=.810) verfehlte zu dem Vokal „i“ (α=.735), verfehlt mit ρ=.055, die Signifikanz knapp. Der Unterschied von „i“ zu „e“ (α=.611) zeigte jedoch einen signifikanten Unterschied der internen Konsistenz (ρ=.033), ebenso wie der Unterschied von „o“ zu „e“ (ρ<.001). Die Reliabilität der anderen Vokale („a“ und „u“) war niedriger.

Für die Betrachtung unterschiedlicher Messintervalle ergab der Vergleich der α-Koeffizienten einen nicht signifikanten (ρ=.067) Unterschied zwischen den α-Koeffizienten von 1000 ms (α=.881) und 250 ms (α=.859). Die α-Koeffizienten bei 1000 ms und 250 ms waren jedoch signifikant höher (jeweils ρ≤.001) als der α-Koeffizient für 70 ms (α=.569).

Diskussion: Phonationen bei einem vordefinierten erhöhten SPL, bei hoher Tonhöhe relativ zur Stimmgruppe, a.e. auf dem Vokal /o:/ und mit einem Messintervall von mindestens 1000 ms würde die Messzuverlässigkeit des Jitters bei Sänger*innen, vermutlich aber auch im Allgemeinen, erhöhen.

Fazit: Die Berücksichtigung dieser Methodologie würde in der klinischen Diagnostik zu einem reliableren Jitter und damit DSI führen.


Text

Hintergrund

Der Jitter, ein Maß für die Frequenzstörung eines periodischen Signals, wird als Parameter zur Charakterisierung der Stimmqualität verwendet und ist seit mehreren Jahrzehnten Gegenstand der Forschung. Allerdings wurde dieser Parameter bei professionellen Sänger:innen bisher noch nicht umfassend untersucht. Viele Studien bewerteten hingegen den Jitter bei Nicht-Sängern. Der Jitter (%) wird ferner als Einflussgröße zur Berechnung des Dysphonie-Schweregrad-Index (DSI) herangezogen. Der DSI soll hierbei ein möglichst objektiver klinischer Parameter sein und wird als reliabel beschrieben [1], [2], [3]. Der Jitter unterliegt jedoch, nach Art seiner Erhebung, starken Schwankungen. Ziel dieser Studie war es, zu untersuchen, wie man bei gesunden jungen Sänger:innen einen möglichst reliablen Jitter generieren kann. Es wurden die Auswirkungen von Schalldruckpegel (SPL), Tonhöhe, Messintervall und Vokal auf den Jitter bewertet und Empfehlungen für klinische Messungen abgeleitet.

Material und Methoden

90 gesunde Gesangsstudent:innen (66 Frauen, 14 Männer) im Alter von 18–47 Jahren wurden am Royal College of Music in London im Rahmen einer Forschungskooperation unter dem Arbeitstitel „Musical Impact – Fit to Perform“ untersucht. Die fünf Vokale /a:/, /e:/, /i:/, /o:/ und /u:/ wurden in leise und laut sowie in tiefer, mittlerer und hoher Tonlage (Referenztöne bezogen auf das Stimmfach nach Seidner et al. [4], S. 337) gesungen. Die resultierenden Aufnahmen wurden in unterschiedlichen Messintervallen (70, 250 und 1000 ms) geschnitten. Die n=7953 Audiodateien wurden mit PRAAT analysiert. Untersucht wurden die Auswirkungen von SPL, Tonhöhe, Messintervall und Vokal auf den Jitter mittels deskriptiver und inferenzstatistischer Verfahren (lineare gemischte Modelle und Cronbachsches Alpha (α)). Die Vergleiche der Alpha-Koeffizienten für abhängige Gruppen erfolgten nach dem von Diedenhofen und Musch (2016) vorgeschlagenen Verfahren [5].

Ergebnisse

Der α-Koeffizient für die „laute“ Phonation war mit α=.961 signifikant (ρ<0,001) höher als für die „leise“ Phonation. Der α-Koeffizient für die „hohe“ Phonation war mit α=.946 signifikant (ρ<0,001) höher als für die „tiefe“ Phonation. „Mittlere“ und hohe Phonation unterschieden sich jedoch nicht signifikant (ρ=.268), wobei der α-Koeffizient =.946 für „hohe“ Phonation über dem für „mittlere“ Phonation (α=.935) lag.

Der Unterschied der Reliabilität des Vokals „o“ (α=.810) verfehlte gegenüber der Reliabilität des Vokals „i“ (α=.735) die Signifikanz knapp (ρ=.055). Der Unterschied der Reliabilitäten von „i“ zu „e“ (α=.611) zeigte jedoch einen signifikanten Unterschied der internen Konsistenz (ρ=.033), ebenso wie der Unterschied von „o“ zu „e“ (p≤.001). Die Reliabilität der anderen Vokale („a“ und „u“) war niedriger.

Für die Betrachtung unterschiedlicher Messintervalle ergab der Vergleich der α-Koeffizienten einen nicht signifikanten (ρ=.067) Unterschied zwischen den α-Koeffizienten von 1000 ms (α=.881) und 250 ms (α=.859). Die α-Koeffizienten bei 1000 ms und 250 ms waren jedoch signifikant höher (jeweils ρ≤.001) als der α-Koeffizient für 70 ms (α=.569).

Diskussion und Fazit

Unsere Ergebnisse bestätigen den Einfluss von Schalldruckpegel und Tonhöhe auf den Jitter auch bei Sänger:innen. Damit ist auch von einem Einfluss auf den DSI auszugehen. Um den DSI zuverlässiger zu bestimmen, sollte sich daher um eine reliable Erhebung des Jitters bemüht werden. Es ergaben sich aus unseren Untersuchungen klare Empfehlungen für die Wahl des Messintervalls und des Vokals bei der Erhebung des Jitters. Phonationen bei einem vordefinierten erhöhten SPL, bei hoher Tonhöhe relativ zur Stimmgruppe, a.e. auf dem Vokal /o:/ und mit einem Messintervall von mindestens 1000 ms würde die Messzuverlässigkeit des Jitters bei Sänger:innen, vermutlich aber auch im Allgemeinen, erhöhen. Die Berücksichtigung dieser Methodologie würde in der klinischen Diagnostik zu einem reliableren Jitter und damit DSI führen.

Gefördert durch den Forschungsrat für Kunst und Geisteswissenschaften (Arts and Humanities Research Council), Swinton, United Kingdom


Literatur

1.
Awan SN, Ensslen AJ. A comparison of trained and untrained vocalists on the Dysphonia Severity Index. J Voice. 2010;24(6):661-6. DOI: 10.1016/j.jvoice.2009.04.001
2.
Wuyts FL, De Bodt MS, Molenberghs G, Remacle M, Heylen L, Millet B, Van Lierde K, Raes J, Van de Heyning PH. The dysphonia severity index: an objective measure of vocal quality based on a multiparameter approach. J Speech Lang Hear Res. 2000 Jun;43(3):796-809. DOI: 10.1044/jslhr.4303.796 Externer Link
3.
Awan SN, Miesemer SA, Nicolia TA. An examination of intrasubject variability on the Dysphonia Severity Index. J Voice. 2012 Nov;26(6):814.e21-5. DOI: 10.1016/j.jvoice.2012.04.004 Externer Link
4.
Schneider-Stickler B, Bigenzahn W. Stimmdiagnostik - Ein Leitfaden für die Praxis. 2nd ed. Wien: Springer; 2013.
5.
Diedenhofen B, Musch J. Cocron: A Web Interface and R Package for the Statistical Comparison of Cronbach‘s Alpha Coefficients. Int J Internet Sci. 2016;11(1):51-60.