gms | German Medical Science

37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 18.09.2021, digital

Visualisierung der Stimmlippenschwingung mittels Magnetresonanztomographie – erste stimmphysiogische Anwendungen

Vortrag

  • Johannes Fischer - Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Bernhard Richter - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Ali Caglar Özen - Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Matthias Echternach - Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Klinikums der Universität München (LMU), München, Deutschland
  • Michael Bock - Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • corresponding author presenting/speaker Louisa Traser - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland

37. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). sine loco [digital], 17.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocV30

doi: 10.3205/21dgpp01, urn:nbn:de:0183-21dgpp017

Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

© 2021 Fischer et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Da die Stimmlippenschwingung für den Menschen nicht ohne technisches Hilfsmittel sichtbar ist, haben sich im wissenschaftlichen und klinischen Kontext Verfahren etabliert, welche durch Stroboskopie eine virtuelle Verlangsamung der Schwingung ermöglichen. Dabei erfolgt die Visualisierung in transversaler Ebene, so dass die Schwingungen nur in den von oben sichtbaren Bereichen analysiert werden können. Die Magnetresonanztomographie (MRT) hingegen ermöglicht die dynamische Visualisierung in verschiedenen Ebenen, war jedoch bisher in ihrer zeitlichen Auflösung limitiert. In dieser Studie wurde eine auf elektroglottographischen (EGG) Signalen basierende MR-Stroboskopie entwickelt, welche die koronare Darstellung der Phonationsbewegung erlaubt.

Material und Methoden: Die entwickelte MR-Sequenz verwendete sehr schnelle Gradienten zur Kodierung der Bewegung der Stimmlippen in koronarer Ebene. Parallel erfolgte die synchronisierte Aufnahme eines EGG-Signals. Dieses ermöglichte es, dass die MR-Bilder der Stimmlippen der richtigen Schwingungsphase in einem Schwingungszyklus zugewiesen werden konnten. Analog zur Videolaryngostroboskopie erfolgte so eine virtuelle Verlangsamung der Stimmlippenschwingung. Dabei wurde das MR-Signal in 4 parallelen koronaren Ebenen mit einer Schichtdicke von 3 mm gemessen und in 12 zeitliche Segmente des Schwingungszyklus rekonstruiert. Dies ermöglichte eine dynamische Visualisierung der Schwingung in 4 verschiedenen Bereichen. In dieser Pilotstudie wurde ein Proband gebeten, mit einer Grundfrequenz von 100 Hz zu phonieren. Die Aufnahme erfolgte über ca. 3 Minuten, wobei Zwischenatmungen exkludiert wurden. Veränderungen der Larynxhöhe wurden ebenfalls bestimmt und korrigiert. Die Geschwindigkeit der Schwingungsbewegung wurde durch einen Vergleich der Einzelbilder in Anhängigkeit zur zurückgelegten Distanz bestimmt.

Ergebnisse: Die phonatorische Bewegung der Stimmlippen konnte in mehreren simultan aufgenommenen koronaren Ebenen dargestellt werden. Dabei zeigte sich jedoch kein vollständiger Stimmlippenschluss. In den 2 Ebenen mit der größten Schwingungsamplitude wurde eine Geschwindigkeit der Aufwärtsbewegung von 72.7±21.8 cm/s und 70.1±27.1 cm/s gemessen.

Diskussion: Die koronare Schichtbildgebung ermöglicht es, die Konfiguration der Stimmlippe erstmals im Querschnitt zu analysieren. Die fehlende Sichtbarkeit des Stimmlippenschlusses weist darauf hin, dass hier primär die Bewegungen von M. vocalis und Ligament abgebildet werden. Dazu passt, dass die gemessene Bewegung der hier abgebildeten Strukturen um ca. 50% langsamer war als die bisher in der Literatur angegebene Bewegungsgeschwindigkeit der Randkantenverschieblichkeit des Epithels.

Fazit: Die EGG-getriggerte MR-Stroboskopie der Stimmlippen visualisiert primär die Schwingung von M. vocalis und Ligament. Ihre Bewegung ist langsamer als die der Randkantenverschiebung über das Epithel, da diese Strukturen während eines Schwingungszyklus einen kürzeren Weg zurücklegen müssen.


Text

Hintergrund

Da die Stimmlippenschwingung für den Menschen nicht ohne technisches Hilfsmittel sichtbar ist, haben sich im wissenschaftlichen und klinischen Kontext Verfahren etabliert, welche durch Stroboskopie eine virtuelle Verlangsamung der Schwingung ermöglichen. Dabei erfolgt jedoch die Visualisierung lediglich in transversaler Ebene, so dass die Schwingungen nur in den von oben sichtbaren Bereichen analysiert werden können. Die Magnetresonanztomographie (MRT) hingegen ermöglicht die dynamische Visualisierung in beliebig orientierten Ebenen, war aber bisher in ihrer zeitlichen Auflösung limitiert. Neue Verfahren ermöglichten jedoch auch, oszillatorische Prozesse mit einer zeitlichen Auflösung im Bereich <1 ms aufzulösen [1]. In dieser Studie wurde eine auf elektroglottographischen (EGG) Signalen basierende MR-Stroboskopie entwickelt, welche die koronare Darstellung der Phonationsbewegung der Stimmlippen erlaubt.

Material und Methode

Die entwickelte MR-Sequenz verwendet sehr schnelle Gradienten zur Kodierung der Bewegung der Stimmlippen in koronarer Ebene [2]. Parallel erfolgte die synchronisierte Aufnahme des EGG mithilfe von adaptierten Elektroden für den sicheren Gebrauch im MRT [3]. Dieses ermöglicht es, dass die MR-Signale der Stimmlippen der richtigen Schwingungsphase in einem Schwingungszyklus zugewiesen werden. Ähnlich zur Videolaryngostroboskopie erfolgt so eine virtuelle Verlangsamung der Stimmlippenschwingung. Dabei wird das MR-Signal in 4 parallelen koronaren Ebenen mit einer Schichtdicke von 3 mm gemessen und in 12 zeitliche Segmente des Schwingungszyklus rekonstruiert. Die Auflösung in der Ebene beträgt 1 mm. Dies ermöglichte eine dynamische Visualisierung der Schwingung in 4 verschiedenen Bereichen. In dieser Pilotstudie wurde ein männlicher Proband gebeten, mit einer Grundfrequenz von 100 Hz zu phonieren. Die Aufnahme erfolgte über ca. 3 Minuten. Da es während Zwischenatmungen zu einem Abbruch des EGG-Signals kommt, können diese Bereiche automatisch exkludiert werden. Veränderungen der Larynxhöhe werden ebenfalls bestimmt und die daraus resultierenden Bewegungsartefakte in den MR-Daten korrigiert. Die Geschwindigkeit der Schwingungsbewegung wird durch einen Vergleich der Einzelbilder in Abhängigkeit zur zurückgelegten Distanz bestimmt.

Ergebnisse

Die phonatorische Bewegung der Stimmlippen konnte in mehreren simultan aufgenommenen koronaren Ebenen dargestellt werden und bei einer mittleren Oszillationsfrequenz von 92.7±3.5 Hz ergibt sich eine zeitliche Auflösung von 890 μs pro Bild. In Abbildung 1 [Abb. 1] ist dieser Schwingungsablauf exemplarisch in der Ebene mit der größten Schwingungsamplitude dargestellt. Dabei zeigte sich jedoch kein vollständiger Stimmlippenschluss. In den 2 Ebenen mit der größten Schwingungsamplitude wurde eine Geschwindigkeit der Aufwärtsbewegung von 72.7±21.8 cm/s und 70.1±27.1 cm/s gemessen.

Der obere Bildausschnitt zeigt die 12 rekonstruierten Bilder der Stimmlippenschwingung in einer Schicht. Unten links ist die Position der Ausschnitte dargestellt, unten rechts das mittlere EGG-Signal, welches während der Messung aufgenommen wurde. Der hellere Bereich um die Kurve herum zeigt die Standardabweichung. Die MR-Daten, die für die Rekonstruktion im Bild 1-12 verwendet wurden, wurden während des korrespondierenden Abschnitts des periodischen EGG-Signals phasenkodiert. Das vom EGG erhaltene Signal liefert ein Maß für die Kontaktfläche.

Diskussion

Die koronare Schichtbildgebung ermöglicht es, die Konfiguration der Stimmlippe erstmals während der Bewegung im Querschnitt zu analysieren. Die fehlende Sichtbarkeit des Stimmlippenschlusses weist darauf hin, dass hier primär die Bewegungen von M. vocalis und Ligament abgebildet werden. Möglicherweise ist die Signalintensität des Epithels zu gering, um hier dargestellt zu werden. Dazu passt, dass die gemessene Bewegung der hier abgebildeten Strukturen um ca. 50% langsamer war als die bisher in der Literatur angegebene Bewegungsgeschwindigkeit der Randkantenverschieblichkeit des Epithels, gemessen mittels Ultraschall [4]. Die in dieser Arbeit vorgestellte Methodik könnte im nächsten Schritt zur Differenzierung verschiedener Phonationsarten (gepresste vs. behauchte Phonation) angewendet werden. Durch die koronare Darstellung wäre es auch möglich, reguläre Schwingungen auf verschiedenen Ebenen des Larynx abzubilden, welche normalerweise durch die darüber liegenden Strukturen verdeckt sind (wie z.B. bei simultaner Phonation von Taschenfalten und Stimmlippen).

Fazit

Die EGG-getriggerte MR-Stroboskopie der Stimmlippen visualisiert primär die Schwingung von M. vocalis und Ligament. Ihre Bewegung ist langsamer als die der Randkantenverschiebung über das Epithel, da diese Strukturen während eines Schwingungszyklus einen kürzeren Weg zurücklegen müssen.


Literatur

1.
Fischer J, Abels T, Özen AC, Echternach M, Richter B, Bock M. Magnetic resonance imaging of the vocal fold oscillations with sub-millisecond temporal resolution. Magn Reson Med. 2020;83(2):403-11. DOI: 10.1002/mrm.27982 Externer Link
2.
Fischer J, Özen AC, Echternach M, Traser L, Richter B, Bock M. 2.5D MRI of the Vocal Fold Oscillation using Single Point Imaging with Rapid Encoding. 2021 ISMRM & SMRT Annual Meeting & Exhibition; 2021 May 15-20; Virtual Conference.
3.
Özen AC, Traser L, Echternach M, Dadakova T, Burdumy M, Richter B, Bock M. Ensuring safety and functionality of electroglottography measurements during dynamic pulmonary MRI. Magn Reson Med. 2016;76(5):1629-35. DOI: 10.1002/mrm.26037 Externer Link
4.
Krausert CR, Olszewski AE, Taylor LN, McMurray JS, Dailey SH, Jiang JJ. Mucosal wave measurement and visualization techniques. J Voice. 2011;25(4):395-405. DOI: 10.1016/j.jvoice.2010.02.001 Externer Link