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Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2020

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

26.09.2020, digital

Schwerer Verlauf eines Ramsay-Hunt-Syndroms bei einem professionellen Sänger

Meeting Abstract

  • author presenting/speaker Dahlia Cordier - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Alena Gergoe - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Berit Hackenberg - Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • corresponding author Anne Läßig - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland

Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2020. sine loco [digital], 26.-26.09.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc10

doi: 10.3205/20dgpp10, urn:nbn:de:0183-20dgpp104

Veröffentlicht: 2. November 2020

© 2020 Cordier et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Als Ramsay-Hunt-Syndrom (RHS) wird ein Zoster oticus in Verbindung mit akuter Fazialisparese sowie einer möglichen Assoziation weiterer Hirnnerven bezeichnet.

Material und Methoden: Case Report über einen 54-jährigen hauptberuflichen Sänger, der sich in der HNO-Ambulanz der HNO-Klinik der Universitätsmedizin Mainz mit Odynodysphagie, Hörminderung links, aurikulärer geröteter Schwellung links, Schwindel und einer Gesichtsasymmetrie vorstellte. Bei Zoster oticus mit Perichondritis links mit Fazialisparese und Vestibularisausfall links wurde die stationäre Therapie eingeleitet, in deren Verlauf eine ausgeprägte Heiserkeit und Dysphagie hinzukamen. Der Zoster oticus wurde serologisch bestätigt und eine Raumforderung mittels MRT des Kleinhirnbrückenwinkels ausgeschlossen. Phoniatrisch zeigte sich eine Recurrensparese links mit ausgeprägter Dysphagie und Rhinophonia aperta. Tonaudiometrisch zeigte sich eine Normakusis rechts und ein annähernd normales Hörvermögen links (nach Röser 1973) mit Hochtonabfall bei 4–6 kHz bis 35 dB. Unter medikamentöser Therapie, täglicher logopädischer Behandlung und Physiotherapie kam es zu einer Verbesserung der Symptome und Entlassung nach 11 Tagen.

Ergebnisse: 5 Monate später zeigte sich in der phoniatrischen Kontrolle inklusive Stimmfeldmessung mit einer nahezu kompletten Remission der Beschwerden inklusive Verbesserung des Hörvermögens, sodass ein hauptberufliches Singen und Konzerte wieder möglich waren.

Fazit: Beim RHS sollte bei Auftreten einer Dysphonie frühzeitig eine phoniatrische Diagnostik und Mitbehandlung erfolgen. Eine konsequente ambulante logopädische Behandlung und tägliches Üben sowie ggf. eine Anschlussheilbehandlung in einer Stimmrehaklinik können zu einer vollständigen Remission der Symptome führen.


Text

Hintergrund

Als Ramsay-Hunt-Syndrom (RHS) wird ein Zoster oticus in Verbindung mit akuter Fazialisparese sowie einer Assoziation mit vestibulocochleärer Dysfunktion bezeichnet, auch weitere Hirnnerven III–XII können betroffen sein. Das RHS umfasst die Symptome Otalgie, aurikuläre/retroaurikuläre Rötung mit Bläschen, einer Fazialisparese und ggfls. Hörminderung und Schwindel. Selten können auch weitere Hirnnerven (III–XII) [1], Halsnerven, Meningitis und eine Sekretion des antidiuretischen Hormons auftreten [2].

Fallbericht

Ein 54-jähriger hauptberuflicher Sänger, der sich im März 2019 in der HNO-Poliklinik der HNO-Klinik der Universitätsmedizin Mainz vorstellte, klagte über seit 3 Tagen bestehende schmerzhafte Schluckbeschwerden (Odynosdysphagie), Hörminderung links, Schwellung und Rötung des linken Ohres. Zusätzlich seien am Tag der Erstvorstellung ein Schwindel und eine Gesichtsasymmetrie aufgetreten. Es zeigte sich ein geröteter Gehörgang links mit gefäßinjiziertem Trommelfell und geröteter geschwollener Helix (Ohrläppchen ausgespart) mit retroaurikulären Effloreszenzen. In der Laryngoskopie zeigten sich die Stimmlippen bds. gerötet und es bestand eine Fazialisparese links °IV nach House Brackmann mit inkomplettem Augenschluss und Spontannystagmen nach rechts. Der Patient wurde mit den Diagnosen Zoster Oticus links mit Fazialisparese links, Vestibularisausfall links und Perichondritis links zur stationären Therapie mit rheologischer Infusionstherapie mit Prednisolon, Pentoxyfillin und Ringer-Lösung, i.v. Gabe von Aciclovir und Cefuroxim, Lokaltherapie für Auge und Ohr links und physiotherapeutischem Schwindeltraining aufgenommen. Im Verlauf kam eine Heiserkeit dazu. Es zeigte sich eine Recurrensparese links mit stark eingeschränktem Sing- und Sprechstimmfeld, Rhinophonia aperta und ausgeprägter Dysphagie und starker emotionaler Betroffenheit des Patienten mit Existenzängsten und depressiver Stimmung. Der Patient erhielt eine logopädische Behandlung. Darunter zeigte sich eine Verbesserung der Dysphonie, Dysphagie und der Fazialisparese. Auch die Hörminderung und die Schwindelsymptomatik zeigten sich deutlich rückläufig, so dass nach 11 Tagen die Entlassung erfolgte. 5 Monate nach Entlassung erfolgte eine phoniatrische Nachsorge mit Video-Laryngo-Stroboskopie und Stimmfeldmessung. Mittlerweile kann der Patient wieder hauptberuflich als Sänger arbeiten und gibt regelmäßige Konzerte.

Ergebnisse

Im stationären Verlauf zeigte sich im MRT des Kleinhirnbrückenwinkels eine Kontrastmittel-Aufnahme des Nervus facialis links im inneren Gehörgang bis in das Facialisknie reichend, welches mit einer entzündlichen Veränderung vereinbar ist. Die Virusserologie zeigte einen negativen Varizella Zoster IgM CLIA und einen positiven Varizella Zoster IgG CLIA (>4000.0 mIE/ml).

In der Tonaudiometrie zeigte sich bei Aufnahme eine Normakusis rechts und ein annähernd normales Hörvermögen links (nach Röser 1973) mit Hochtonabfall bei 4–6 kHz bis 35 dB. 5 Monate später zeigte sich eine Normakusis bds. mit Hochtonabfall bds. links bei 4–6 kHz bis 25 dB.

In der phoniatrischen Video-Laryngo-Stroboskopie zeigte sich am 5. stationären Tag eine excavierte linke Stimmlippe mit Stimmlippenstillstand in intermediärer Stellung, ein Speichelsee im Recessus piriformis bds. mit Speichelpenetration in den Larynx bei erhaltenem Hustenreiz aber ineffektivem Hustenstoß. Die Stimmlippe rechts zeigte sich regelrecht mit erhaltener Beweglichkeit. Die Amplituden waren nahezu aufgehoben mit fehlenden Randkantenverschiebungen und Glottisschluss (Abbildung 1 [Abb. 1]). Die auditiv-perzeptive Beurteilung des Stimmklangs ergab ein R2-3B3H3 mit teilweiser Aphonie und gehauchtem Stimmeinsatz/-absatz, dünnem Volumen, reduzierter Prosodie und einer mittleren Tonhaltedauer von 5 Sekunden auf /a/, 18 Sekunden auf /s/ und 11 Sekunden auf /f/. In der Stimmfeldmessung zeigte sich ein stark eingeschränktes Stimmfeld sowohl im Umfang als auch in der Dynamikbreite (Abbildung 2 [Abb. 2]). In der Czermak’schen Spiegelprobe zeigte sich eine Rhinophonia aperta.

In der Kontroll-Video-Laryngo-Stroboskobie 5 Monate später zeigte sich nach einer 4-wöchigen stationären Stimmrehabilitation sowie zusätzlicher ambulanter 2x wöchentlicher logopädischer Stimmtherapie, 1x wöchentlicher manueller Therapie der HWS- und Kopfmuskulatur eine fast vollständige Remission der Dysphonie mit regelrechter Stimmlippenbeweglichkeit bds. und regelrechten phonatorischen Schwingungen beidseits (Abbildung 3 [Abb. 3]). Das Schlucken hatte sich wieder normalisiert. Das Hörvermögen habe sich auch deutlich gebessert, es wurde nur noch über eine Otalgie links beim Hören im Störgeräusch berichtet. In der Stimmfelddiagnostik zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Sprech- und Singstimmqualität (Abbildung 4 [Abb. 4]).

Fazit

Bei einem Auftreten einer Dysphonie mit Rhinophonie und ggf. Dysphagie im Rahmen eines RHS sollte frühzeitig eine phoniatrische Mitbeurteilung inklusive Sing- und Sprechstimmfelddiagnostik erfolgen. Eine mehrwöchige stationäre Anschlussheilbehandlung in einer Stimmrehaklinik mit psychologischer Betreuung, konsequente intensive ambulante logopädische Behandlung und ein tägliches Üben können zu einer vollständigen Remission der Symptome führen.


Literatur

1.
De S, Pfleiderer AG. An extreme and unusual variant of Ramsay Hunt syndrome. J Laryngol Otol. 1999;113(7):670-1. DOI: 10.1017/s0022215100144809 Externer Link
2.
Xanthopoulos J, Noussios G, Papaioannides D, Exarchakos G, Assimakopoulos D. Ramsay Hunt syndrome presenting as a cranial polyneuropathy. Acta Otorhinolaryngol Belg. 2002;56(3):319-23.