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Akustische Stimmqualitätsanalysen in der Phoniatrie
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Veröffentlicht: | 2. November 2020 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Eine valide und zuverlässige Stimmqualitätsanalyse ist essentiell in der Phoniatrie. Rezente Entwicklungen in der Akustik zeigen neue Maßstäbe im Bereich quantitativer Beurteilung der Heiserkeit (Acoustic Voice Quality Index) (Maryn et al. 2010) und Behauchtheit (Acoustic Breathiness Index) (Barsties v. Latoszek et al. 2017).
Material und Methoden: Es werden zwei Meta-Analysen zur Überprüfung der Validität über den Acoustic Voice Quality Index (AVQI) und Acoustic Breathiness Index (ABI) vorgestellt.
Ergebnisse: Für AVQI wurden 21 Studien berücksichtigt, die die Kriteriumsvalidität zur auditiv-perzeptiven Beurteilung überprüft. Beim ABI wurden 6 Studien eingeschlossen, um die diagnostische Genauigkeit mittels Sensitivität und Spezifizität zu testen.
Die Ergebnisse zeigten, dass eine gewichtete Effektstärke bei AVQI zwischen r=0,813 und r=0,844 bei einer Gesamtprobandenzahl von 7314 vorliegt. Bei ABI wurden 3603 Probanden eingeschlossen und eine aggregierte Sensitivität von 0,84 (95% Konfidenzintervall [KI] 0,83–0,85) sowie eine aggregierte Spezifizität von 0,92 (95% KI 0,89–0,94) berechnet, bei einer exzellenten Fläche unter der Kurve von 0,94.
Diskussion: AVQI und ABI zählen zu den meist evaluierten akustischen Stimmqualitätsparametern und die aktuellen Ergebnisse zeigen eine hohe Validität beider Messinstrumente im Vergleich zur auditiv-perzeptiven Beurteilung.
Fazit: AVQI und ABI sind zwei valide Messinstrumente für die Beurteilung von Heiserkeit und Behauchtheit, die im phoniatrischen Alltag eine Erweiterung zur auditiv-perzeptiven Beurteilung darstellen können.
Text
Einleitung
Die Akustik zählt neben vier weiteren Messverfahren zu den grundlegenden Säulen in der Stimmdiagnostik [1]. Akustische Messverfahren dienen z.B. der Beurteilung der Stimmfunktion mit Hilfe eines Stimmfeldes [2] oder der Stimmqualität [3]. Hinsichtlich akustisch quantifizierbarer Stimmqualitätsmessungen besteht eine große Anzahl und Vielfalt akustischer Parameter, die eine pathologische Abweichung im Stimmsignal bemessen lässt [4] und dem Kliniker eine Einschätzung geben soll, inwieweit eine Heiserkeit vorliegt und in welcher Subvariante. Die meisten dieser Parameter können nur für gehaltene Vokale und nicht für fortlaufende Sprache angewendet werden. Für eine umfassendere und genauere Untersuchung der Stimmqualität sind jedoch beide Sprachtypen essentiell. Neuere Entwicklungen zeigten, dass eine Kombination aus mehreren akustischen Parametern (Index) und die Berücksichtigung von fortlaufender Sprache und gehaltenen Vokalen möglich sind und in den letzten Jahren ausgiebig getestet wurden. Einige der am häufigsten evaluierten Indizes sind z.B. der Acoustic Voice Quality Index (AVQI) [5], und der Acoustic Breathiness Index (ABI) [6]. Beides sind Indizes, die mit der Software Praat analysiert werden und entsprechend dem Grad ihrer Ausprägung auf einer Skala von 0 bis 10 interpretiert werden (je niedriger der Wert desto geringer die Pathologie). Der AVQI ist dem perzeptiven Höreindruck einer Heiserkeit und der ABI der Behauchtheit vergleichbar.
Ziel dieser Studie ist die Überprüfung der Validität von AVQI und ABI in zwei Meta-Analysen.
Material und Methoden
Nach einer Literaturrecherche sind für den AVQI insgesamt 21 Studien gefunden worden, die die Kriteriumsvalidität mittels Spearman-Korrelation gemessen haben. Davon betreffen 12 Studien die Version AVQI v.02 und 9 Studien die Version AVQI v.03. Für die Analyse der Daten wurde das Meta-Analyse Programm v.5.3 verwendet. Das Ergebnis einer gewichtet-gemittelten Effektstärkenberechnung (r) ergibt sich aus der Anzahl der Studien (k), der Anzahl der analysierten Stimmproben (N) und der jeweiligen Korrelationskoeffizienten. Die Homogenität der Effektstärken wurde mittels Residual Standard Deviation (RSD) gemessen.
Die Literaturrecherche für ABI ergab den Einschluss von insgesamt 6 Studien in verschiedenen Sprachen, die die diagnostische Genauigkeit überprüft haben. Hierzu wurden die SAS Software (release 9.4) und MetaDiSc Software (release 1.4) verwendet. Zunächst wurden für jede Studie die Spezifitäten und Sensitivitäten des ABI berechnet, gemessen am Referenzkriterium der perzeptiven Behauchtheit. Anschließend wurden aus diesen Werten die gepoolten Spezifitäts- und Sensitivitätswerte einschließlich 95%-Konfidenzintervall (95%-KI) ermittelt. Die Daten wurden graphisch in einem Baumdiagramm und summary receiver operating characteristic (SROC) Kurve ausgedrückt. Insgesamt wurden bei dieser Meta-Analyse 3603 Stimmproben berücksichtigt, von denen 467 Stimmproben als stimmlich unauffällig bewertet wurden und 3136 Stimmproben als stimmgestört.
Ergebnisse
Die Resultate der Meta-Analyse zur Kriteriumsvalidität des AVQI sind in Tabelle 1 [Tab. 1] wiedergegeben.
Die Ergebnisse der diagnostischen Genauigkeit des ABI aus der Meta-Analyse sind in Abbildung 1 [Abb. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2] abgebildet. Die ABI-Sensitivitätswerte der sechs durch die Meta-Analyse identifizierten Studien, bezogen auf das Referenzkriterium einer perzeptiven Beurteilung, rangieren zwischen 0,72 und 0,88 und sind als mäßig bis hoch zu bewerten, die gepoolte Sensitivität ist aber mit 0,84 (95%-KI 0,83–0,95) gut, bei allerdings relativ hoher Heterogenität der Einzelwerte (I²=89.7%, p<0.001). Die Spezifitäten liegen zwischen 0,87 und 0,95 mit einer gepoolten Spezifität von 0,92 (95%-KI 0,89–0,94), was als sehr gut zu bewerten ist. Auch ist hier die Heterogenität niedrig (I²=45.5, p=0.103).
Diskussion und Fazit
Entsprechend den Resultaten der Meta-Analysen sind der AVQI und der ABI zwei robuste und valide objektive akustische Messparameter, um die Heiserkeit und Behauchtheit zu erfassen. Sowohl die Kriteriumsvalidität des AVQI als auch die diagnostische Genauigkeit des ABI, bemessen an Sensitivität und Spezifizität, weisen hohe Werte auf. Somit sind beide Indizes für die phoniatrische Praxis zu empfehlen, um die genannten Stimmaspekte der Stimmqualität objektiv zu erfassen und zu bemessen.
Die Durchführung und Interpretation beider Indizes sind mit einem geringen zeitlichen Aufwand von wenigen Minuten zu realisieren und geben dem Kliniker objektive Maße zur Beurteilung von Stimmqualität an die Hand. Jedoch müssen bestimmte Voraussetzungen gewährleistet sein, vor allem bezüglich der technischen Spezifikationen und Positionierung des Mikrofons, der Umgebungsgeräusche und der Phonationsweise des Untersuchten (repräsentative Sprechprobe) [3], [7].
Literatur
- 1.
- Friedrich G, Dejonckere PH. Das Stimmdiagnostik-Protokoll der European Laryngological Society (ELS) – erste Erfahrungen im Rahmen einer Multizenterstudie. Laryngorhinootologie. 2005;84:744-52.
- 2.
- Ternström S, Pabon P, Södersten M. The voice range profile: its function, applications, pitfalls and potential. Acta Acustica. 2016;102:268-83.
- 3.
- Barsties B, De Bodt M. Assessment of voice quality: Current state-of-the-art. Auris Nasus Larynx. 2015;42:183-8.
- 4.
- Buder EH. Acoustic analysis of voice quality: A tabulation of algorithms 1902–1990. In: Kent RD, Ball MJ, editors. Voice quality measurement. San Diego: Singular; 2000. p. 119-244.
- 5.
- Maryn Y, Corthals P, Van Cauwenberge P, Roy N, De Bodt M. Toward improved ecological validity in the acoustic measurement of overall voice quality: combining continuous speech and sustained vowels. J Voice. 2010;24:540-55.
- 6.
- Barsties von Latoszek B, Maryn Y, Gerrits E, De Bodt M. The Acoustic Breathiness Index (ABI): A Multivariate Acoustic Model for Breathiness. J Voice. 2017;31(4):511.e11-511.e27.
- 7.
- Patel RR, Awan SN, Barkmeier-Kraemer J, et al. Recommended Protocols for Instrumental Assessment of Voice: American Speech-Language-Hearing Association Expert Panel to Develop a Protocol for Instrumental Assessment of Vocal Function. Am J Speech Lang Pathol. 2018;27(3):887-905.