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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Schluckvermögen von Kopf-Hals-Tumor-Patienten innerhalb der ersten 6 Monate nach Radio(chemo)therapie

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Christiane Hey - Universitätsklinikum Marburg, Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • author Eugen Zaretsky - Universitätsklinikum Marburg, Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • author Petra Pluschinski - Universitätsklinikum Marburg, Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV49

doi: 10.3205/19dgpp69, urn:nbn:de:0183-19dgpp696

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Hey et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Eine oropharyngeale Dysphagie ist eine häufige Folge einer Kopf-Hals-Tumorerkrankung. Dennoch bestehen kaum systematische Analysen zur Entwicklung des Schluckvermögens im Verlauf einer Radio(chemo)therapie. Ziel dieser Studie ist die Erhebung von Aspiration bzw. der Oralisierungseinschränkung sowie der Therapierelevanz (TRS) in den ersten sechs Monaten nach Beginn einer Radio(chemo)therapie (RCT).

Material und Methoden: Von 2015–2019 wurden 94 Kopf-Hals-Tumor-Patienten inkludiert (25% weiblich, Altersmedian 63 Jahre, UICC-Stadium II–IV). Zu den vier Testzeitpunkten vor (T1), 1 (T2), 3 (T3) und 6 Monate (T4) nach RCT-Beginn erfolgte bei den Patienten eine FEES®-Diagnostik, über die der Grad der Aspiration nach Rosenbek (PAS), die Oralisierungseinschränkung nach Crary (FOIS) sowie die TRS auf Basis der beiden o.g. Skalen bestimmt wurden. Dabei lagen für 24 Patienten Werte für alle vier Testzeitpunkte vor, bei allen anderen zu mindestens einem Testzeitpunkt.

Änderungen in den Ausprägungen der PAS-, FOIS- und TRS-Skalen zwischen allen vier Testzeitpunkten wurden mittels Friedman-Tests geprüft, paarweise Vergleiche zwischen den Testzeitpunkten mittels Wilcoxon-Tests.

Ergebnisse: Prätherapeutisch zeigten 35% der Patienten eine TRS, 18% aspirierten, 9% davon still. 22% zeigten eine Oralisierungseinschränkung. Die Graduierungen aller drei Skalen verschlechterten sich nach Therapiebeginn (T2), erreichten aber zu T4 beinahe die Ausgangswerte. Die Änderungen zwischen den vier Testzeitpunkten erwiesen sich bei PAS, FOIS und TRS als statistisch signifikant (ps<0,05). Die paarweisen Vergleiche zeigten signifikante Änderungen für FOIS und TRS zwischen T1 und T2 bzw. T2 und T3, bei FOIS zusätzlich bei T3 und T4; bei PAS nur zwischen T2 und T3 (ps<0,05).

Diskussion: Es zeigte sich bei Kopf-Hals-Tumor-Patienten eine deutliche Änderung des Schluckvermögens im Verlauf der ersten 6 Monate nach Beginn der Radio(chemo)therapie.

Fazit: Die systematische Erfassung des Schluckvermögens von Kopf-Hals-Tumor-Patienten bildet ein wesentliches Element einer erfolgreichen onkologischen Therapie.


Text

Hintergrund

Eine oropharyngeale Dysphagie ist eine häufige Folge einer Kopf-Hals-Tumorerkrankung [1] mit deutlicher Einschränkung der Lebensqualität für den Patienten [2] und hohen sozioökonomischen Kosten [3]. Dennoch bestehen kaum systematische Analysen zur Entwicklung des Schluckvermögens im Verlauf einer Radio(chemo)therapie auf Basis instrumenteller Diagnostik. Das Ziel der vorliegenden Studie ist daher die Erhebung von Aspiration bzw. der Oralisierungseinschränkung sowie der Therapierelevanz (TRS) in den ersten sechs Monaten nach Beginn einer Radio(chemo)therapie (RCT) anhand einer FEES® -Diagnostik [4].

Material und Methoden

Von 2015–2019 wurden 94 Kopf-Hals-Tumor-Patienten inkludiert (25% weiblich, Altersmedian 63 Jahre, UICC-Stadium II-IV). Zu den vier Testzeitpunkten vor (T1), 1 (T2), 3 (T3) und 6 Monate (T4) nach RCT-Beginn erfolgte bei den Patienten eine FEES®-Diagnostik, über die der Grad der Aspiration nach Rosenbek (PAS) [5], die Oralisierungseinschränkung nach Crary (FOIS) [6] sowie die TRS auf Basis der beiden o.g. Skalen bestimmt wurden. Dabei lagen für 24 Patienten Werte für alle vier Testzeitpunkte vor, bei allen anderen zu mindestens einem Testzeitpunkt.

Änderungen in den Ausprägungen der PAS-, FOIS- und TRS-Skalen zwischen allen vier Testzeitpunkten wurden mittels Friedman-Tests geprüft, paarweise Vergleiche zwischen den Testzeitpunkten mittels Wilcoxon-Tests.

Ergebnisse

Prätherapeutisch zeigten 35% der Patienten eine therapierelevante Schluckstörung, wovon 18% aspirierten, 9% davon still. Darüber hinaus wiesen 22% der Patienten eine therapierelevante Oralisierungseinschränkung auf, so dass sie eine Sondenversorgung benötigten. Alle drei Kriterien – PAS, FOIS und TRS – verschlechterten sich nach Therapiebeginn (T2) und wiesen schlechtere Graduierungen in den verwendeten Skalen auf, erreichten jedoch zum Testzeitpunkt 4 (6 Monate) bessere Werte als vor Beginn der Radio(chemo)therapie. Die Änderungen zwischen den vier Testzeitpunkten erwiesen sich bei PAS, FOIS und TRS als statistisch signifikant (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Die paarweisen Vergleiche zeigten signifikante Änderungen für FOIS und TRS zwischen T1 und T2 bzw. T2 und T3, bei FOIS zusätzlich bei T3 und T4; bei PAS nur zwischen T2 und T3 (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Diskussion

In der vorliegenden Studie konnte dokumentiert werden, dass bei Kopf-Hals-Tumor-Patienten eine deutliche Änderung des Schluckvermögens im Verlauf der ersten 6 Monate nach Beginn der Radio(chemo)therapie nachweisbar ist.

Dabei findet sich der Höhepunkt der Verschlechterung vier Wochen nach Beginn der Radio(chemo)therapie mit sukzessiver Verbesserung von Aspiration, Grad der Oralisierungseinschränkung und Therapierelevanz. Dennoch besteht bei knapp jedem fünften Patienten eine Aspiration und eine Oralisierungseinschränkung. Auch noch 6 Monate nach Beginn der Radio(chemo)therapie weist jeder dritte Patient eine therapierelevante Schluckstörung auf. Derzeit ist die inkludierte Patientenzahl jedoch noch zu gering, um eine Generalisierung des hier vorgestellten Ergebnisses auf die Gesamtpopulation aller Patienten mit einem Kopf-Hals-Tumor vorzunehmen.

Fazit

Die systematische Erfassung des Schluckvermögens von Kopf-Hals-Tumor-Patienten bildet ein wesentliches Element einer erfolgreichen onkologischen Therapie.


Literatur

1.
Hutcheson KA, Nurgalieva Z, Zhao H, et al. Two-year prevalence of dysphagia and related outcomes in head and neck cancer survivors: An updated SEER-Medicare analysis. Head & Neck. 2019;41(2):479-87.
2.
Wilkie JR, Mierzwa ML, Yao J, et al. Big data analysis of associations between patient reported outcomes, observer reported toxicities, and overall quality of life in head and neck cancer patients treated with radiation therapy. Radiotherapy and Oncology. 2019;137:167-74.
3.
Tribius S, Meyer MS, Pflug C, et al. Socioeconomic status and quality of life in patients with locally advanced head and neck cancer. Strahlentherapie und Onkologie. 2018;194(8):737-49.
4.
Hey C, Pluschinski P, et al. A documentation system to save time and ensure proper application of the fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing (FEES®). Folia Phoniatr Logop. 2011;63(4):201-8. DOI: 10.1159/000316314.  Externer Link
5.
Hey C, Pluschinski P, Zaretsky Y, et al. Penetration-Aspiration Scale according to Rosenbek. Validation of the German version for endoscopic dysphagia diagnostics. HNO. 2014;62(4):276-81.
6.
Crary MA, Carnaby-Mann GD, Groher ME. Initial psychometric assessment of a functional oral intake scale for dysphagia in stroke patients. Arch Phys Med Rehabil. 2005;86:1516-20.