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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Bolusacidität und schluckassoziiertes Verhalten des oberen Ösophagussphinkters

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV43

doi: 10.3205/19dgpp63, urn:nbn:de:0183-19dgpp638

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Miller et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Mechanismen des oberen Ösophagussphinkters (oÖS) unter Säureexposition sind bislang nicht vollständig ergründet. In der vorgestellten Arbeit wurde geprüft, ob die Exposition geschluckter Säure das schluckassoziierte Verhalten des oÖS selbst, sowie angrenzender Regionen, wie den Velopharynx (VP) oder den Zungengrund (ZG), beeinflusst.

Material und Methoden: 10 Probanden schluckten zunächst 10 pH-neutrale 2 ml Wasserboli (pH 7), gefolgt von jeweils 10 Schlucken ansteigender Säurekonzentrationen (pH 1,8, pH 3 und pH 5). Auswirkungen der Säure auf das Verhalten des oÖS, VP und ZG wurde mittels der High Resolution Manometry (HRM) bestimmt (Ethikkommission MHH, Nr. 6222, 2012). Den primären Parameter stellte die Restitutionszeit (tresti) – die Zeit, die der oÖS nach einem Schluck benötigt, um wieder den Ruhedruck einzunehmen – dar. Sekundär wurden weitere Druck- und Zeitparameter erhoben.

Ergebnisse: Der primäre Parameter Restitutionszeit ergab Mittelwerte von 12,67 s (SD +/–7,03 s) für geschluckte Boli mit einer Säurekonzentration von pH 1,8; pH 7 = 08,69 s (SD +/–2,72 s), pH 3 = 07,56 s (SD +/–2,23 s) und pH 5 = 07,29 s (SD +/–2,55 s), die eine Verlängerung der Restitutionszeit unter Exposition starker Säure zeigen. Die Differenz zwischen der stärksten Säurekonzentration und dem neutralen Bolus, sowie zu den anderen getesteten Säurekonzentrationen, ist signifikant (pH 5: p=0,006 und pH 3: p=0,009, pH 7: p=0,038). Die Analyse der sekundären Parameter zeigte bei dem Druckmaximum nach Relaxation und der Aktivitätszeit des oÖS die deutlichsten Differenzen. Maximaldruckwerte und Aktivitätszeiten waren generell unter der Exposition der stärksten Säurekonzentration am höchsten bzw. längsten, jedoch war der Unterschied nicht signifikant.

Diskussion: Die signifikant verlängerte Restitutionszeit spiegelt die anhaltende Säureklärung, sowie den Verschluss des Sphinkters zur Verhinderung einer anschließenden Regurgitation der Säure zurück in den Pharynx und Larynx wider und stellt wahrscheinlich einen Schutzmechanismus, getriggert durch Rezeptoren in der Pharynxschleimhaut oder der Schleimhaut des oÖS, dar. Höhere Maximaldruckwerte und verlängerte Aktivitätszeiten beim Schlucken von Boli in hoher Säurekonzentration lassen auf eine Ausweitung der Aktivitätszeit der involvierten Strukturen und einen kraftvolleren Schluck zur verbesserten Säureklärung schließen.

Fazit: Geschluckte Säure mit niedrigem pH hat einen modulierenden Einfluss auf die Funktion des oÖS.


Text

Hintergrund

Der obere Ösophagussphinkter (oÖS) verhindert aufgrund seines Ruhetonus die Regurgitation von Speiseteilen, sowie eine Luftingestion in den Ösophagus und öffnet sich während des Schluckvorgangs für die Boluspassage. Zudem wird postuliert, dass der oÖS eine Barriere zur Verhinderung des laryngo-pharyngealen Reflux darstellt [1]. Allerdings ist das Verhalten des oÖS unter Säureexposition bislang nicht vollständig ergründet. In vorangegangenen Studien, die sich mit der Reaktion des oÖS auf Säure befassten, wurden bislang nur tatsächliche oder durch Säureinfusion in den Ösophagus simulierte Refluxepisoden untersucht (u.a. [2], [3], [4], [5]). Dementsprechend erfolgte die Säureexposition bisher immer caudal des oÖS. In der hier vorgestellten Studie wurde die Reaktion des oÖS auf geschluckte säurehaltige Wasserboli, also auf eine Säureexposition cranial des oÖS, untersucht. Es wurde geprüft, ob das schluckassoziierte Verhalten des oÖS, sowie des Velopharynx (VP) und des Zungengrundes (ZG), beeinflusst wird.

Material und Methoden

Zur Erhebung von Basiswerten schluckten 10 Probanden zunächst 10 pH-neutrale (pH 7) 2 ml Wasserboli. Danach erfolgten jeweils 10 Schlücke mit ansteigender Säurekonzentration (pH 1,8, pH 3 und pH 5). Auswirkungen der Säure auf das Verhalten des oÖS, VP und ZG wurden mit der Hochauflösungsmanometrie (HRM) anhand ausgewählter Parameter (Vgl. [6], [7], [8]) untersucht. Den primären Parameter stellte die Restitutionszeit dar, also die Zeit, die der oÖS nach einem Schluck benötigt, um wieder den Ruhedruck einzunehmen [9]. Sekundär wurden Maximal- und Minimaldrücke, Kontraktionsintervalle in den Untersuchungsregionen, sowie die Geschwindigkeit der pharyngealen Kontraktion und die Pharynxlänge bestimmt.

Ergebnisse

Die HRM-Untersuchung wurde von allen Studienteilnehmern gut toleriert. Der primäre Parameter Restitutionszeit war unter Exposition starker Säure verlängert (pH 1,8 = 12,67 s (SD +/–7,03 s); pH 3 = 07,56 s (SD +/–2,23 s); pH 5 = 07,29 s (SD +/–2,55 s); pH 7 = 08,69 s (SD +/–2,72 s)). Der Unterschied zwischen der stärksten Säurekonzentration und dem neutralen Bolus, sowie zu den beiden anderen getesteten Säurekonzentrationen, war signifikant (pH 5: p=0,006 und pH 3: p=0,009, pH 7: p=0,038).

Maximaldruckwerte waren generell unter der Exposition der stärksten Säurekonzentration am höchsten. Auch die Aktivitätszeiten waren in Verbindung mit dem stärksten Säurebolus verlängert. Die Relaxationszeit des oÖS war in Verbindung mit dem Bolus der höchsten Säurekonzentration verlängert. Die Geschwindigkeit der pharyngealen Kontraktion war in Verbindung mit der stärksten Säurekonzentration am höchsten. Die deutlichsten Unterschiede fanden sich in den Parametern ‚postdeglutitives Maximum‘ und der ‚Aktivitätszeit des oberen Ösophagussphinkters’. Unterschiede anderer Parameter sind lediglich als Trends zu bewerten.

Diskussion

Es kann angenommen werden, dass die signifikant verlängerte Restitutionszeit einen Schutzmechanismus des oÖS darstellt und den Verschluss des Sphinkters zur Verhinderung einer anschließenden Regurgitation der Säure zurück in den Pharynx und Larynx widerspiegelt (verlängerte Restitutionszeit mit erhöhtem Sphinktertonus). Es könnte sich hierbei um einen reflexartigen Schutzmechanismus handeln, der über Rezeptoren in der Pharynxschleimhaut oder der Schleimhaut des oÖS getriggert wird. Höhere Maximaldruckwerte in Verbindung mit dem Bolus höchster Säurekonzentration lassen auf einen kraftvolleren Schluck zur Säureklärung schließen. Verlängerte Aktivitätszeiten lassen ebenfalls vermuten, dass durch die Ausweitung der Aktivitätszeit der involvierten Strukturen ein sichererer und stärker reinigender Schluck erfolgen soll.

Die verlängerte Relaxationszeit könnte darauf hindeuten, dass der starke Säurereiz ein größeres als das tatsächliche Bolusvolumen simuliert hat, sodass möglicherweise eine verlängerte Larynxelevation und verstärkte Muskelkontraktionen zur Bolusklärung initiiert wurden. Vorausgegangene Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass ein größeres Schluckvolumen zu einer verlängerten Relaxationszeit des Sphinkters führt [10], [11], [12], [13]. Ruhedruckwerte und das Druckmaximum des Zungengrundes wurden von den sauren Flüssigkeitsboli nicht beeinflusst.

Fazit

Geschluckte Säure hat einen Einfluss auf die Funktion des oÖS, ein Reflexgeschehen, das durch Rezeptoren oberhalb des oÖS ausgelöst wird, kann angenommen werden.


Literatur

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8.
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