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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Geschmacksneutralität von Andickungsmitteln

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Bernhard Lehnert - Hals-, Nasen-, Ohrenklinik, KHC, Greifswald, Deutschland
  • Veronika Gonstein - Hals-, Nasen-, Ohrenklinik, KHC, Greifswald, Deutschland
  • Steffen Schulz - Europäische Fachhochschule, FB Angewandte Gesundheitswissenschaften, Rostock, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV36

doi: 10.3205/19dgpp56, urn:nbn:de:0183-19dgpp561

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Lehnert et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Bei Dysphagien der verschiedensten Ätiologien sind Andickungsmittel für Flüssigkeiten ein zentraler Teil adaptiver Schlucktherapie. Der Markt bietet eine breite Vielfalt an Produkten. Wünschenswerte Eigenschaften guter Produkte sind beispielsweise die einfache Anwendbarkeit, Allergenfreiheit, Haltbarkeit, vernünftige Packungsgrößen, Amylaseresistenz und idealerweise absolute Geschmacksneutralität. Die Ausgangsfragestellung der hier vorgelegten Studie war, ob Geschmacksneutralität besteht, oder ob einige Andickungsmittel besser schmecken als andere.

Material und Methoden: Es wurde eine Gelegenheitsstichprobe von acht verschiedenen Andickungsmitteln von ihren Herstellern für die Studie kostenlos zur Verfügung gestellt. 37 Studierende der EUFH Rostock im Studienfach Logopädie stellten sich als Versuchspersonen zur Verfügung. Sie probierten mehrfach je 2 Proben von in Mineralwasser gelöstem Andickungsmittel und fällten ein Urteil, welches dieser beiden ihnen besser schmeckte. Verkostung erfolgte randomisiert und verblindet.

Die statistische Auswertung der Paarvergleiche erfolgte mit einem probabilistischen Model nach Bradley und Terry. Dieses Rechenmodell führt die verschiedenen Paarvergleiche zusammen. Am Ende werden quantitativ beschreibbare Vergleiche unter den Andickmitteln möglich (nicht nur eine Rangfolge, sondern auch eine Quantifizierung, wieviel besser ein Mittel als das andere geschmeckt hat).

Ergebnisse: Insgesamt flossen 224 Paarvergleiche von 8 Andickmitteln in die Auswertung ein. Im Ergebnis waren Unterschiede zwischen den Produkten im Gesamtmodel hoch signifikant nachweisbar. Auch einige Paarvergleiche zwischen verwendeten Andickmitteln waren signifikant. Im direkten Vergleich des zweitbesten mit dem zweitschlechtesten Andickmittel sind zehn Paarvergleiche erfolgt, die alle zehn zugunsten des zweitbesten Mittels ausfielen. Unser Statistikmodel projeziert unter Einbeziehung auch aller anderen Tests mit diesen Andickmitteln, dass pro Versuch nur eine 3%-Chance besteht, dass jemand das andere Andickmittel bevorzugt.

Diskussion: Verschiedene Andickmittel schmeckten unseren Probanden verschieden gut. Die Annahme von Geschmacksneutralität muss damit verworfen werden.

Fazit: Andickmittel sind ein zentraler Baustein adaptiver Schlucktherapie, sie werden erfahrungsgemäß nicht von allen Patienten gleich gut angenommen. Bei Unzufriedenheit und Complianceproblemen sollte gegebenenfalls auch ein probatorischer Wechsel des Andickmittels in Betracht gezogen werden.


Text

Hintergrund

Bei Dysphagien der verschiedensten Ätiologien sind Andickungsmittel für Flüssigkeiten ein zentraler Teil adaptiver Schlucktherapie. Oft wird diese Therapie aber von Patienten wenig geschätzt [1]. Der Markt bietet eine breite Vielfalt an Produkten. Wünschenswerte Eigenschaften guter Produkte sind beispielsweise die einfache Anwendbarkeit, Allergenfreiheit, Haltbarkeit, vernünftige Packungsgrößen, Amylaseresistenz und idealerweise absolute Geschmacksneutralität. Die Ausgangsfragestellung der hier vorgelegten Studie war, ob Geschmacksneutralität besteht, oder ob einige Andickungsmittel besser schmecken als andere (vgl. [2]).

Material und Methoden

Es wurde eine Gelegenheitsstichprobe von acht verschiedenen Andickungsmitteln von ihren Herstellern für die Studie kostenlos zur Verfügung gestellt. 37 Studierende der EUFH Rostock im Studienfach Logopädie stellten sich als Versuchspersonen zur Verfügung. Sie probierten mehrfach je 2 Proben von in Mineralwasser gelöstem Andickungsmittel und fällten ein Urteil, welches dieser beiden ihnen besser schmeckte. Die Verkostung erfolgte randomisiert und verblindet.

Die statistische Auswertung der Paarvergleiche erfolgte mit einem probabilistischen Model nach Bradley und Terry [3], [4]. Dieses Rechenmodell führt die verschiedenen Paarvergleiche zusammen. Am Ende werden quantitativ beschreibbare Vergleiche unter den Andickmitteln möglich (nicht nur eine Rangfolge, sondern auch eine Quantifizierung, wieviel besser ein Mittel als das andere geschmeckt hat).

Die Berechnungen erfolgten mit dem Statistikprogramm R [5] und dem Zusatzpaket BradleyTerry2 [4].

Ergebnisse

Insgesamt flossen 224 Paarvergleiche von 8 Andickmitteln in die Auswertung ein. Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt als Ergebnis der statistischen Auswertung die geschmackliche Güte der Andickmittel, wobei Andickmittel 1 willkürlich als Nullpunkt der Skala festgelegt wurde, die anderen Werte sind als logit-Einheiten angegeben, ergeben sich also logarithmisch aus den Wahrscheinlichkeiten, dass ein Andickmittel besser als das andere empfunden wird. Im Ergebnis waren Unterschiede zwischen den Produkten im Gesamtmodel hoch signifikant nachweisbar. Auch einige Paarvergleiche zwischen verwendeten Andickmitteln waren signifikant. Im direkten Vergleich des zweitbesten mit dem zweitschlechtesten Andickmittel sind zehn Paarvergleiche erfolgt, die alle zehn zugunsten des zweitbesten Mittels ausfielen. Unser Statistikmodel projiziert unter Einbeziehung auch aller anderen Tests mit diesen Andickmitteln, dass pro Versuch nur eine 3%-Chance besteht, dass jemand das andere Andickmittel bevorzugt.

Diskussion

Verschiedene Andickmittel schmeckten unseren Probanden verschieden gut. Die Annahme von Geschmacksneutralität muss damit verworfen werden. Die hier untersuchte Gelegenheitsstichprobe deckt keinesfalls den deutschen Markt vollständig ab, außerdem kann es sein, dass verschiedene Andickmittel individuell oder je nach anzudickendem Lebensmittel unterschiedlich gewertet werden. Bei Gefahr der Malcompliance oder zur Erhöhung der Lebensqualität kann es im Einzelfall sinnvoll sein, das Andickmittel unter Berücksichtigung des individuellen Geschmacks anzupassen. Eine aktuelle Folgestudie befasst sich mit der Übertragbarkeit dieser an jungen, gesunden Probanden gewonnenen Daten auf alte, neurologisch erkrankte Patienten.

Fazit

Andickmittel sind ein zentraler Baustein adaptiver Schlucktherapie, sie werden erfahrungsgemäß nicht von allen Patienten gleich gut angenommen. Bei Unzufriedenheit und Complianceproblemen ermutigen diese Ergebnisse zu einem probatorischen Wechsel des Andickmittels. Bei Vorliegen von mehr Erfahrungen mag sich herausstellen, dass einige Andickmittel systematisch besser als andere sind, worauf die hier dargestellten Daten schon hinweisen.


Literatur

1.
McCurtin A, et al. Plugging the patient evidence gap: what patients with swallowing disorders post-stroke say about thickened liquids. International Journal of Language and Communication Disorders. 2018;53(1):30-9. DOI: 10.1111/1460-6984.12324 Externer Link
2.
Macqueen CE, et al. Which commercial thickening agent do patients prefer? Dysphagia. 2003;18(1):46-52. DOI: 10.1007/s00455-002-0084-1 Externer Link
3.
Bradley RA, Terry ME. Rank Analysis of Incomplete Block Designs: The Method of Paired Comparisons. Biometrika. 1952;39(3/4):324-45. DOI: 10.1093/biomet/39.3-4.324 Externer Link
4.
Turner H, Firth D. Bradley-Terry Models in R: The BradleyTerry2 Package. Journal of Statistical Software. 2012;48(9):1-21. Verfügbar unter: https://www.jstatsoft.org/v48/i09/ Externer Link
5.
R Core Team. R: A language and environment for statistical computing. R Foundation for Statistical Computing: Vienna; 2019. Verfügbar unter: https://www.R-project.org/ Externer Link