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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Reinnervation bei einseitiger Stimmlippenlähmung

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV24

doi: 10.3205/19dgpp36, urn:nbn:de:0183-19dgpp369

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Nasr et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Obgleich heute eine Vielzahl an konservativen sowie operativen Verfahren zur Behandlung der einseitigen Stimmlippenlähmung zur Verfügung steht, sehen wir in der Praxis immer wieder Patienten, die nicht ideal rehabilitiert sind. Gerade Patienten in Stimmberufen erwarten von einer modernen Behandlung eine weitgehende Wiederherstellung IHRER Stimme. Die alleinige Korrektur der Stellung der Stimmlippe in der Glottisebene ist in den Fällen nicht ausreichend, in denen ein Level-Unterschied zur gesunden Seite verbleibt oder die Spannung der Stimmlippe durch Schwund an Muskelmasse nach Thyreoplastik wieder nachlässt. Wegweisend kann eine Kehlkopf-EMG Untersuchung mit Nachweis einer fortschreitenden Denervierung sein. In solchen Fällen hat sich uns die noch wenig bekannte nicht-selektive Reinnervation (nsR) mit der Ansa cervicalis bewährt.

Material und Methoden: Wir berichten über 5 Reinnervation (4 alleinige nsR, 1 nsR kombiniert mit Thyroplastik Typ I und Arytenoid-Rotation). Im Unterschied zu der in Frankreich und Großbritannien angewandten End-zu-End Anastomose transplantierten wir einen Nerv-Muskel-Pedikel über ein Thyreoplastikfenster in die teilgelähmte Muskulatur ein. Bei allen Patienten erfolgte prä- und postoperativ die auditive Stimmbeurteilung (RBH), die Stimmfeldmessung und Laryngostroboskopie.

Ergebnisse: Da der N. rekurrens nicht durchtrennt wurde, verschlechterte sich postoperativ keine Stimme. Alle Stimmparameter verbesserten sich mit einsetzender Zusatzinnervation 3–4 Monate nach der OP. Im weiteren Verlauf verbesserte sich die Stimmqualität im Gegensatz zur Thyreoplastik kontinuierlich weiter. Der weitere Muskelabbau konnte nach dem stroboskopischen Bild gestoppt werden.

Diskussion: Das Behandlungsverfahren sollte den Erwartungen der Patienten entsprechen und mit ihm ausgewählt werden. Die nsR verspricht hierbei für Patienten mit sich abzeichnender Atrophie und hohem Stimmanspruch ein besseres Langzeitergebnis. Der Erhalt der Restinnervation ohne Nervendurchtrennung bietet den Vorteil unseres Verfahrens, dass der Patient sich stimmlich nicht verschlechtern kann und dennoch durch die Zusatzinnervation profitiert. Da es sich bei der nsR um einen operativen Eingriff im Umfang einer Thyreoplastik handelt, sollte er nur für ausgewählte Fälle mit drohender Atrophie oder besonders hohem Stimmanspruch reserviert bleiben.

Fazit: Die derzeitigen Behandlungsoptionen der einseitigen Stimmlippenlähmung sind gut, dennoch sollte bei fortschreitender Atrophie trotz Stimmtherapie, Augmentation oder Thyreoplastik auch an eine nsR gedacht werden.


Text

Hintergrund

Obgleich heute eine Vielzahl an konservativen sowie operativen Verfahren zur Behandlung der einseitigen Stimmlippenlähmung zur Verfügung steht, sehen wir in der phoniatrischen Praxis immer wieder Patienten, die nicht ideal rehabilitiert werden können. Gerade Patienten in Stimmberufen erwarten von einer modernen Behandlung eine weitgehende Wiederherstellung IHRER Stimme. Die alleinige Korrektur der Stellung der Stimmlippe in der Glottisebene ist in den Fällen nicht ausreichend, in denen ein Level-Unterschied zur gesunden Seite verbleibt oder die Spannung der Stimmlippe durch Schwund an Muskelmasse nach Thyreoplastik wieder nachlässt. Selbst die Kombination mit einer Arytenoid-Rotation kann das in unserer Erfahrung nicht immer verhindern. Wegweisend kann eine Kehlkopf-EMG Untersuchung mit Nachweis einer fortschreitenden Denervierung sein. In solchen Fällen hat sich bei uns die in Deutschland wenig bekannte nicht selektive Reinnervation (NSR) mit der Ansa cervicalis bewährt.

Material und Methoden

Sechs Patienten im Alter von 24 bis 65 Jahren wurden bei uns bislang mit einer NSR behandelt. In der Anamnese bestand die Stimmlippenlähmung seit 3 bis 60 Monaten. Die Ätiologie war sowohl iatrogen (Strumektomie, Glomustumor, Thymom) als auch idiopathisch. Bei allen Patienten wurde die nicht selektive Reinnervation mit einem gleichseitigen Ansa cervicalis Nerv-Muskel-Pedikel über ein Thyreoplastikfenster durchgeführt. Bei 1 Patienten mit lang bestehender Lähmung (mehr als 2 Jahre) wurde die NSR mit einer Thyroplastik Typ I und einer Arytenoidrotation kombiniert. In einem Sonderfall mit beidseitger Parese in Abduktionsstellung wurde der Kehlkopf bds. nicht selektiv reinnerviert. Bei allen Patienten erfolgte eine Nachkontrolle nach 3 bis 4 Monaten postoperativ, die bislang längste Nachbeobachtungszeit beträgt 15 Monate. Da einige Patienten aus dem Ausland bzw. aus großer Entfernung zu unserer Klinik kamen, konnten nicht alle Follow-up Untersuchungen eingehalten werden. In diesem Vortrag berichten wir über die bisherigen Ergebnisse von 6 Reinnervationen (4 alleinige NSR, 1 NSR kombiniert mit Thyroplastik Typ I und 1 NSR kombiniert mit Thyroplastik Typ I und Arytenoid-Rotation).

Abbildung 1 [Abb. 1]

Im Unterschied zu der in Frankreich und Großbritannien angewandten End-zu-End Anastomose mit dem distalen N. Rekurrensstumpf transplantierten wir einen Nerv-Muskel-Pedikel über ein Thyreoplastikfenster in die teilgelähmte Muskulatur zur Induktion einer Zusatzinnervation. Bei allen Patienten erfolgte prä- und postoperativ die auditive Stimmbeurteilung (RBH), die Stimmfeldmessung und Laryngostroboskopie.

Ergebnisse

Da der N. rekurrens nicht durchtrennt wurde, verschlechterte sich postoperativ bei keinem Patienten die Stimme. Alle Stimmparameter verbesserten sich mit einsetzender Zusatzinnervation ab 3–4 Monate nach der OP.

Tabelle 1 [Tab. 1]

Im weiteren Verlauf verbesserte sich die Stimmqualität im Gegensatz zur Thyreoplastik kontinuierlich weiter. Der weitere Muskelabbau konnte nach dem stroboskopischen Bild gestoppt werden.

Diskussion

Das zu wählende Behandlungsverfahren sollte den Erwartungen der Patienten entsprechen und mit ihm ausgewählt werden. Die NSR verspricht hierbei für Patienten mit sich abzeichnender Atrophie und hohem Stimmanspruch ein besseres Langzeitergebnis. Der Erhalt der Restinnervation ohne Nervendurchtrennung bietet den Vorteil unseres Verfahrens, dass der Patient sich stimmlich nicht verschlechtern kann und dennoch durch die Zusatzinnervation profitiert. Da es sich bei der NSR um einen operativen Eingriff im Umfang einer Thyreoplastik handelt, sollte er nur für ausgewählte Fälle mit drohender Atrophie oder besonderem Stimmanspruch reserviert bleiben.

Die Entscheidung zwischen Reinnervation und Thyroplastik hängt von der Dauer der Lähmung, dem Alter des Patienten sowie einer intakten homolateralen Ansa cervicalis ab. In der Literatur wurde als Obergrenze eine Paresedauer von 24 Monaten angegeben, wobei auch in Fallberichten erfolgreiche Reinnervationen nach mehr als 10 Jahren beschrieben wurden. Wie bei anderen Nervenersatzverfahren profitieren jüngere Patienten mehr als ältere von dieser Intervention.

Fazit

Die derzeitigen Behandlungsoptionen der einseitigen Stimmlippenlähmung sind gut und in der Regel ausreichend, dennoch sollte bei fortschreitender Atrophie trotz Stimmtherapie, Augmentation oder Thyreoplastik auch an eine NSR gedacht werden.


Literatur

1.
Tucker HM, Rusnov M. Laryngeal reinnervation for unilateral vocal cord paralysis: long-term results. Ann Otol Rhinol Laryngol. 1981;90(5 Pt 1):457-9.
2.
Tucker HM. Reinnervation of the unilaterally paralyzed larynx. Ann Otol Rhinol Laryngol. 1977;86(6 Pt 1):789-94.
3.
Tucker HM. Combined laryngeal framework medialization and reinnervation for unilateral vocal fold paralysis. Ann Otol Rhinol Laryngol. 1990;99(10 Pt 1):778-81.
4.
Paniello RC, Edgar JD, Kallogjeri D, Piccirillo JF. Medialization versus reinnervation for unilateral vocal fold paralysis: a multicenter randomized clinical trial. Laryngoscope. 2011;121(10):2172-9. DOI: 10.1002/lary.21754 Externer Link