gms | German Medical Science

36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Sequentielles fingermotorisches Lernen bei stotternden Erwachsenen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Alexandra Korzeczek - UMG, Göttingen, Deutschland
  • Joana Cholin - Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
  • Annett Jorschick - Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
  • Manuel Hewitt - UMG, Göttingen, Deutschland
  • Martin Sommer - UMG, Göttingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV17

doi: 10.3205/19dgpp26, urn:nbn:de:0183-19dgpp263

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Korzeczek et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Idiopathisches Stottern ist eine Redeflussstörung mit erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität. Eine hohe Rückfallquote nach Therapien, welche das Erlernen einer Sprechtechnik beinhalten, aber auch bisherige Studien sprechen für eine Einschränkung des motorischen sequentiellen Lernens bei Stotternden. Diese Studie untersucht, ob sich Stotternde in ihrer Lern- und Transferleistung nach einer 24 stündigen Konsolidierungsphase von einer gesunden Kontrollgruppe unterscheiden.

Material und Methoden: Im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie wurde die fingermotorische sequentielle Lernleistung von 16 stotternden Erwachsenen mit der Lernleistung einer gesunden Kontrollgruppe verglichen. Die Gruppen stimmten bezüglich Geschlechterverteilung, Alter und Bildungsgrad überein. Vier Messzeitpunkte, Prätraining, Posttraining, 24h Posttraining und 24h Transfer, dienten zur Erhebung der Lernleistung, welche durch die Veränderung der Parameter Geschwindigkeit und Genauigkeit zwischen den Messzeitpunkten definiert war.

Ergebnisse: Über die ersten drei Messzeitpunkte erzielten Stotternde eine deutlichere Steigerung der Geschwindigkeit als die Kontrollgruppe (p<0,05). In der Transferaufgabe behielten beide Gruppen ihre verbesserte Geschwindigkeit bei (p<0,001). Beide Gruppen steigerten ihre Genauigkeit in der Sequenzausführung über die ersten drei Messzeitpunkte (p<0,05). Es zeigten sich keine weiteren Gruppenunterschiede bezüglich der Lern- sowie Transferleistung.

Diskussion: Wir beobachteten keine Beeinträchtigung von fingermotorischem sequentiellem Lernen bei Stotternden. Bisherige Studien, mit ähnlichen Parametern aber gegensätzlichen Ergebnissen, untersuchten motorisches Lernen anhand von 30 Sequenzwiederholungen. Unsere Studie enthielt deutlich mehr Sequenzwiederholungen und hat möglicherweise den Stotternden ausreichend Übung gewährt, so dass sie ihre Lernerfolge, ähnlich wie die Kontrollgruppe, steigern konnten.

Fazit: Hinsichtlich der Geschwindigkeit der Bewegungsausführung sowie der Genauigkeit der Sequenzausführung können stotternde Erwachsene, mit ausreichend Übung, dieselbe Lernleistung wie nicht-stotternde Erwachsene erreichen. Gruppenunterschiede in der Lern- und Transferleistung könnten sich jedoch in der Präzision der Bewegungsausführung zeigen.


Text

Einleitung

Charakteristisch für die Redeflussstörung idiopathisches Stottern oder auch originäres nicht-syndromales Stottern sind unkontrollierte Unterbrechungen des Sprechflusses, welche mit einer Einschränkung der Lebensqualität einhergehen. Die Kontrollverluste des Sprechens können durch Sprachtherapie reduziert werden [1]. Eine evidenzbasierte Therapiemethode ist das Erlernen und regelmäßige Üben von Sprechtechniken [2]. Nach der Therapie besteht jedoch eine hohe Rückfallquote, das heißt, dass der Kontrollverlust während des Sprechens erneut auftreten kann [3].

Aufgrund dessen haben mehrere Fall-Kontroll-Studien sprech- und fingermotorisches sequentielles Lernen bei stotternden Erwachsenen untersucht und verlangsamte Lernkurven bei Stotternden nachgewiesen [4], [5], [6]. In dieser Studie werden die bisher fehlenden Befunde zu der Lern- und Transferleistung nach einem Training und einer 24-stündigen Konsolidierungsphase von stotternden Erwachsenen im Vergleich zur einer gesunden Kontrollgruppe untersucht.

Material und Methoden

Im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie wurde die fingermotorische sequentielle Lernleistung von 16 stotternden Erwachsenen mit der Lernleistung einer gesunden Kontrollgruppe verglichen. Die Gruppen stimmten bezüglich Geschlechterverteilung, Alter und Bildungsgrad überein. Vier Messzeitpunkte, Prätraining, Posttraining, 24h Posttraining und 24h Transfer mit je vier 30 Sekundenintervallen, dienten zur Erhebung der Lernleistung bei einer Fingertippaufgabe [7]. Die Lernleistung wurde durch die Veränderung der Parameter Geschwindigkeit und Genauigkeit zwischen den Messzeitpunkten definiert.

Ergebnisse

Über die ersten drei Messzeitpunkte erzielten Stotternde eine deutlichere Steigerung der Geschwindigkeit als die Kontrollgruppe (p<0,05). In der Transferaufgabe behielten beide Gruppen ihre verbesserte Geschwindigkeit bei (p<0,001). Es zeigten sich keine weiteren Gruppenunterschiede bezüglich der Lern- sowie Transferleistung. Beide Gruppen steigerten ihre Genauigkeit in der Sequenzausführung über die ersten drei Messzeitpunkte (p<0,05).

Diskussion

Entgegen bisheriger Studien konnten wir keine Beeinträchtigung von fingermotorischem sequentiellem Lernen bei Stotternden im Vergleich zur Kontrollgruppe beobachten. Bisherige Studien mit ähnlichen Messparametern aber gegensätzlichen Ergebnissen untersuchten motorisches Lernen in einem sehr kleinen Intervall von nur 30 Sequenzwiederholungen. Unsere Studie mit deutlich mehr Sequenzwiederholungen hat möglicherweise auch den Stotternden ausreichend Übung gewährt. Dadurch konnten Stotternde womöglich ihre Lernerfolge ähnlich wie die Kontrollgruppe steigern.

Fazit

Stotternde Erwachsene können, mit ausreichend Übung, dieselbe Lernleistung wie nicht-stotternde Erwachsene erreichen. Stotternde zeigten zudem keine Schwierigkeiten in der Generalisierungsaufgabe. Die Ergebnisse beschränken sich auf die Geschwindigkeit der Bewegungsausführung sowie auf die Genauigkeit der Sequenzausführung. Studien, in denen zusätzlich die Präzision der Bewegungsausführung und deren Steigerung durch Lernen getestet wird, könnten möglicherweise Hinweise auf systematische Gruppenunterschiede in der Lern- und Transferleistung liefern.


Literatur

1.
Neumann K, Euler HA, Bosshardt HG, Cook S, Sandrieser P, Schneider P, Sommer M, Thum G. Stottern und Poltern: Entstehung, Diagnose, Behandlung. Die Leitlinie zu Redeflussstörungen. Frankfurt am Main: Peter Lang; 2017.
2.
Baxter S, Johnson M, Blank L, Cantrell A, Brumfitt S, Enderby P, Goyder E. Non-pharmacological treatments for stuttering in children and adults: a systematic review and evaluation of clinical effectiveness, and exploration of barriers to successful outcomes. Health Technol Assess. 2016;20(2):1-302.
3.
Craig A. Relapse following treatment for stuttering: A critical review and correlative data. J Fluency Disord. 1998;23(1):1-30.
4.
Smits-Bandstra S, De Nil LF, Saint-Cyr JA. Speech and nonspeech sequence skill learning in adults who stutter. J Fluency Disord. 2006;31(2):116-36.
5.
Namasivayam AK, van Lieshout P. Investigating speech motor practice and learning in people who stutter. J Fluency Disord. 2008;33(1):32-51.
6.
Bauerly KR, De Nil LF. Speech sequence skill learning in adults who stutter. J Fluency Disord. 2011;36(4):349-60.
7.
Albouy G, Sterpenich V, Vandewalle G, Darsaud A, Gais S, Rauchs G, Desseilles M, Boly M, Dang-Vu T, Balteau E, Degueldre C, Phillips C, Luxen A, Maquet P. Neural correlates of performance variability during motor sequence acquisition. Neuroimage. 2012;60(1):324-31.