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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Die Wirkung onlinetherapeutischer im Vergleich zu herkömmlicher Stotterbehandlung

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV16

doi: 10.3205/19dgpp25, urn:nbn:de:0183-19dgpp256

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Neumann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Es werden die Ergebnisse der Online-Variante der Kasseler Stottertherapie und der herkömmlichen Präsenzbehandlung verglichen und die Unterschiede beider Gruppen herausgearbeitet.

Material und Methoden: Die Teilnehmer der Online-Behandlung rekrutierten sich aus 60 Patienten, die zwischen Oktober 2014 und September 2015 den Intensivkurs begonnen hatten. Die Teilnehmer der Präsenztherapie rekrutierten sich aus 215 Patienten, deren Intensivkurse zwischen März 2010 und Dezember 2011 stattfanden.

Der Behandlungserfolg hinsichtlich der objektiven Stottersymptomatik wurde mit dem in der Literatur gebräuchlichsten Maß der Prozent gestotterter Silben aus einer hinreichend großen Stichprobe erfasst.

Das Ausmaß der subjektiven Stottersymptomatik wurde mit dem OASES Fragebogen gemessen. Dieser Fragebogen erhebt umfassend mit einer Vielzahl von Fragen die subjektiv eingeschätzte Beeinträchtigung durch das Stottern im Alltag.

Ergebnisse: Patienten, die eine Online- statt eine Präsenzbehandlung wählten, waren 5 Jahre älter, unterschieden sich aber nicht hinsichtlich Geschlechterproporz, Alter, vortherapeutischer objektiver Stotterhäufigkeit und vortherapeutisch subjektiv eingeschätzter Beeinträchtigung durch die Stottersymptomatik. Die onlinetherapeutische Behandlung zeigte die gleiche gute Wirkung, sowohl in objektiven wie in subjektiven Maßen. Hinsichtlich der Stotterhäufigkeiten zeigten beide Behandlungsformate eine Wirkung mit mäßig hoher bis hoher Effektstärke, hinsichtlich der subjektiven Beeinträchtigung mit sehr hoher Effektstärke.

Diskussion: Eine onlinetherapeutische Behandlung zeigte die gleiche gute Wirkung wie das herkömmliche Behandlungsverfahren. Diese Aussage trifft gleichermaßen auf die behandlungsinduzierte Minderung der Stotterhäufigkeiten wie auf die Minderung der OASES-Kennwerte zu.

Der Behandlungseffekt war bei der subjektiv bewerteten Beeinträchtigung durch das Stottern erheblich größer als bei den objektiven Stotterhäufigkeiten.

Fazit: Eine nachhaltige Reduzierung der Stotterhäufigkeiten ist also sehr viel schwieriger zu erreichen als subjektiv empfundene Erleichterungen. Es zeigt sich, dass die Güte von Stotterbehandlungen nicht nur mit subjektiven Einschätzungsmaßen zu erfassen, sondern vor allem, neben den subjektiven behandlungserwirkten Erleichterungen, auch mit einer zuverlässigen Erfassung der objektiven Stotterhäufigkeiten.


Text

Hintergrund

Telemedizinische Verfahren könnten auch für die Behandlung des Stotterns nutzbringend sein. Evidenzbasierte Belege über die Wirksamkeit sind im deutschsprachigen Bereich nicht bekannt [1]. Es wird angenommen, dass eine Online-Behandlung der Kasseler Stottertherapie (KST) für Jugendliche und Erwachsene vergleichbare Erfolge zeigt wie eine herkömmliche Präsenzbehandlung [2]. Wie vergleichen sich Patienten, die sich in teletherapeutische Behandlung begeben, mit Patienten, die eine herkömmliche Behandlung bevorzugen?

Material und Methoden

In einer retrospektiven Studie werden 60 Patienten einer telemedizinischen Behandlung in 2014 und 2015 mit der KST mit 215 Patienten verglichen, die einige Jahre zuvor, als es in der KST noch keine telemedizinische Option gab, herkömmlich behandelt worden waren. Die Behandlungsinhalte waren vergleichbar (jeweils Sprechrestrukturierung mit einem Fluency Shaping Verfahren). Die Zuweisung zur telemedizinischen Behandlung konnte nicht randomisiert werden, sondern musste die Präferenz der Patienten berücksichtigen. Die Entscheidung für oder gegen eine telemedizinische Behandlung war zudem beeinflusst von einer Empfehlung für herkömmliche Behandlung bei sehr starker Stottersymptomatik, der Fähigkeit im Umgang mit Telemedien, technischen Voraussetzungen (schnelles Internet) sowie verfügbarer Zeit für einen 2-wöchigen Intensivkurs.

Die Präsenzbehandlung besteht aus einem 2-wöchigen Intensivkurs mit Einzelübungen und Gruppensitzungen, in dem trainiert wird, die unflüssige Sprechweise durch ein weiches gebundenes Sprechen zu ersetzen, das Stotterereignisse unterbindet. In der 1-jährigen Nachsorgephase werden in 3 Auffrischungskursen auftretende Probleme nachbehandelt. Die Telebehandlung ist ein Blended-Learning Verfahren, in dem das klassische Präsenztraining mit Elementen des e-Learning kombiniert wird. Hierbei wird der mittlere Präsenz-Auffrischungskurs durch zeitlich verteilte online-Sitzungen ersetzt, die im virtuellen Therapieraum stattfinden.

Der Behandlungserfolg hinsichtlich der objektiven Wirkung wurde erfasst mit dem Prozentanteil gestotterter Silben (%SS) in unterschiedlichen Sprechsituationen. Die subjektive Stottersymptomatik wurde mit dem OASES Fragebogen gemessen [3]. Dieser Fragebogen erhebt umfassend mit einer Vielzahl von Fragen die subjektiv eingeschätzte Beeinträchtigung durch das Stottern im Alltag. Primäre Erfassungszeitpunkte waren vor dem Intensivkurs und 12 Monate nach Intensivkurs.

Ergebnisse

Die Reduktionen von %SS und OASES-Werten sind in Abbildung 1 [Abb. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2] dargestellt.

Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen waren nirgendwo signifikant und die Behandlungserfolge waren gleichermaßen groß, deutlich größer bei den OASES-Werten als bei der Reduktion der Stotterhäufigkeiten. Die Patienten der Blended-Learning Variante waren signifikant älter (M=27.9 Jahre) als die Patienten der klassische Präsenzbehandlung hatten (M=22.6 Jahre). Der Geschlechterproporz war in beiden Gruppen gleich.

Diskussion

Bis auf das Alter von beiden Patientengruppen waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant und klinisch nicht bedeutsam. Dabei ist zu bedenken, dass in der teletherapeutischen Variante nur ein Teil der Sitzungen (ein Auffrischungskurs) online durchgeführt wurde. Inwieweit eine komplette Online-Behandlung des Stotterns einer Präsenzbehandlung gleichwertig ist, kann nur ein Nicht-Unterlegenheitsdesign klären, welches aber hohe Fallzahlen erfordert.

Schlussfolgerung

Wie schon früher belegt [4], war der Behandlungseffekt bei der subjektiv bewerteten Beeinträchtigung durch das Stottern erheblich größer als bei den objektiven Stotterhäufigkeiten. Eine nachhaltige Reduzierung der Stotterhäufigkeiten ist also sehr viel schwieriger und nur mit sehr viel mehr therapeutischem Aufwand zu erreichen als subjektiv empfundene Erleichterungen.


Literatur

1.
Neumann, et al. Stottern und Poltern: Entstehung, Diagnose, Behandlung. Die Leitlinie zu Redeflussstörungen. Frankfurt am Main: Peter Lang; 2017.
2.
Carey, et al. Randomized controlled non-inferiority trial of a telehealth treatment for chronic stuttering: The Camperdown Program. Int J Lang Commun Disord. 2010;45(1):108-20.
3.
Yaruss JS, Quesal RW. OASES: Overall Assessment of the Speaker’s Experience of Stuttering. Bloomington: Pearson; 2014.
4.
Euler HA, et al. Kann eine globale Sprechrestrukturierung wie die Kasseler Stottertherapie (KST) stotterbegleitende negative Emotionen mindern? Logos. 2014;24:84-94.