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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Sprachliches Outcome von jungen Erwachsenen, die im Kindesalter wegen schwerer Sprachentwicklungsstörungen behandelt worden waren

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV14

doi: 10.3205/19dgpp19, urn:nbn:de:0183-19dgpp196

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Dippold et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Kinder mit spezifischen/umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen (SSES/USES), erleben in der Schule trotz zumindest normaler nonverbaler Intelligenz aufgrund der hohen verbalen Anforderungen oft Probleme. Wir befragten junge Erwachsene, die als Kind wegen SSES/USES im Schwerpunkt (SP) Kommunikationsstörungen der HNO-Universitätsmedizin Mainz therapiert wurden, zur weiteren Entwicklung.

Im Rahmen unserer Studie gingen wir auch der Frage nach, inwieweit sprachliche Beeinträchtigungen weiterbestehen und die jetzt jungen Erwachsenen dadurch in ihrer Teilhabe am Leben eingeschränkt sind.

Material und Methoden: Die Daten von 388 Kindern, welche in den Jahren 1998 bis 2005 wegen einer SSES/USES stationär im SP Kommunikationsstörungen therapiert worden waren, wurden erfasst. Die heute zwischen 18 und 25 Jahre alten jungen Erwachsenen wurden telefonisch kontaktiert und mittels eines strukturierten Interviews zur sozialen und beruflichen Integration sowie Aspekten der sprachlichen Entwicklung befragt.

Ergebnisse: 70 Probanden wurden in der Auswertung berücksichtigt.

62 Probanden (89%) fühlen sich aufgrund ihrer sprachlichen Beeinträchtigung aktuell nicht mehr benachteiligt. 36 Probanden (51%) beantworteten die Frage, ob sie einen Beruf bewusst nicht ausgewählt haben, weil sie sich diesen aufgrund Ihrer Sprachprobleme nicht zutrauten, mit „nein“ („ja“: 6 (9%); keine Antwort 28 (40%)). 52 Probanden (74%) beantworteten die Frage, ob sie heute noch auf ihre Sprachprobleme angesprochen werden, mit „nein“ („ja, in der Schule“: 4 (6%); „ja, im Beruf“: 6 (9%), „ja, im sozialen Umfeld“: 8 (11%)).

Diskussion: In früheren Studien konnte gezeigt werden, dass Erwachsene, die in ihrer Kindheit aufgrund einer SSES/USES behandelt wurden, im Vergleich zur Normalbevölkerung mehr Lese- und Schreibprobleme, eine höhere Rate an Arbeitslosigkeit und einen niedrigeren sozio-ökonomischen Status haben.

Die Ergebnisse unserer Untersuchung erscheinen dagegen positiver. Die Mehrheit der befragten jungen Erwachsenen fühlt sich in ihrem Alltag aufgrund sprachlicher Probleme nicht eingeschränkt.

Fazit: Durch eine frühe Erkennung und gezielte intensive Therapie von Sprachentwicklungsstörungen im Kindesalter lässt sich die spätere Entwicklung der Kinder so positiv beeinflussen, dass sprachliche Probleme im späteren Leben eine untergeordnete Rolle spielen.


Text

Hintergrund

Kinder mit spezifischen/umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen (SSES/USES), erleben in der Schule trotz normaler nonverbaler Intelligenz aufgrund der hohen verbalen Anforderungen oft Probleme [1], [2]. Wir befragten junge Erwachsene, die als Kind wegen SSES/USES im Schwerpunkt (SP) Kommunikationsstörungen der HNO-Universitätsmedizin Mainz therapiert wurden, zur weiteren Entwicklung. Der SP Kommunikationsstörungen bietet seit mehr als 40 Jahren eine stationäre Sprachintensivtherapie für Kinder mit SSES/USES an. Kinder ab dem 5. Lebensjahr können, verteilt über 2 Jahre, bis zu 11 Wochen von einem Team aus Logopäden, Wahrnehmungstherapeuten, Audiologen und Psychologen stationär behandelt werden. Hierzu zählen auch die eingehende Information und Einbindung der Eltern in das Therapiekonzept sowie eine Hilfestellung im Finden einer geeigneten Schulform und der bestmöglichen ambulanten Fördermöglichkeiten.

Im Rahmen unserer Studie gingen wir unter anderem der Frage nach, inwieweit sprachliche Beeinträchtigungen fortbestehen und die jetzt jungen Erwachsenen dadurch in ihrer Teilhabe am Leben eingeschränkt sind.

Material und Methoden

Die Daten von 388 Kindern, welche in den Jahren 1998 bis 2005 wegen einer SSES/USES stationär im SP Kommunikationsstörungen therapiert worden waren, wurden erfasst. Die heute zwischen 18 und 25 Jahre alten jungen Erwachsenen wurden telefonisch kontaktiert und mittels eines strukturierten Interviews zur sozialen und beruflichen Integration sowie Aspekten der sprachlichen Entwicklung befragt.

Ergebnisse (Auszug)

70 Probanden wurden in der Auswertung berücksichtigt. Während 43% der Befragten Benachteiligungen aufgrund sprachlicher Probleme in der Vergangenheit bejahten (40=57% „nein“), empfanden dies aktuell nur noch 11% (nein 62=89%).

36 Probanden (51%) beantworteten die Frage, ob sie einen Beruf bewusst nicht ausgewählt haben, weil sie sich diesen aufgrund ihrer Sprachprobleme nicht zutrauten, mit „nein“ („ja“: 6 (9%); keine Antwort 28 (40%)). Ebenfalls 36 Probanden (51%) gaben an, dass Sprachprobleme kein Hindernis für eine berufliche Anstellung gewesen seien („ja“: 5 (7%); keine Antwort 29 (42%). 52 Probanden (74%) beantworteten die Frage, ob sie heute noch auf ihre Sprachprobleme angesprochen werden, mit „nein“ („ja, in der Schule“: 4 (6%); „ja, im Beruf“: 6 (9%), „ja, im sozialen Umfeld“: 8 (11%)).

Auf die Frage, wie sie ihre aktuelle Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben einschätzen, antworteten 30 Probanden (43%) mit „gut“ und ebenfalls 30 Probanden (43%) mit „relativ gut“ („eher schlecht“: 9 (13%); „schlecht“: 1 (1%)).

Von den befragten Probanden gaben 13 (18%) an, Geschwister/Halbgeschwister zu haben, bei denen ebenfalls die Diagnose einer schweren Sprachentwicklungsstörung gestellt wurde (keine Geschwister mit Sprachentwicklungsstörung 51 (73%), keine Geschwister: 2 (4%), weiß nicht: 4 (6%)).

Diskussion

In bisherigen Studien aus England und Kanada wurde gezeigt, dass Erwachsene, die in ihrer Kindheit aufgrund einer SSES/USES behandelt wurden, im Vergleich zur Normalbevölkerung mehr Lese- und Schreibprobleme und eine größere sprachliche Beeinträchtigung haben [3], [4]. Die Ergebnisse unserer Untersuchung erscheinen dagegen positiver. Die Mehrheit der befragten jungen Erwachsenen fühlen sich in ihrem Alltag weder aufgrund sprachlicher Probleme, noch hinsichtlich ihrer Fähigkeit zu Lesen oder zu Schreiben besonders eingeschränkt.

Fazit/ Schlussfolgerung

Durch eine frühe Erkennung und gezielte intensive Therapie von Sprachentwicklungsstörungen im Kindesalter lässt sich die spätere Entwicklung der Kinder so positiv beeinflussen, dass sprachliche Probleme im späteren Leben eine untergeordnete Rolle spielen.


Literatur

1.
Durkin K, Simkin Z, Knox E, Conti-Ramsden G. Specific language impairment and school outcomes. II: Educational context, student satisfaction, and post-compulsory progress. Int J Lang Commun Disord. 2009;44(1):36-55.
2.
Beitchman JH, Wilson B, Brownlie EB, Walters H, Lancee W. Longterm consistency in speech/language profiles: I. Developmental and academic outcomes. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 1996;35(6):804-14.
3.
Conti-Ramsden G, Durkin K, Simkin Z, Knox E. Specific language impairment and school outcomes. I: identifying and explaining variability at the end of compulsory education. Int J Lang Commun Disord. 2009;44(1):15-35.
4.
Johnson C, Beitchman J, Brownlie E. Twenty-year follow-up of children with and without speech-language impairments: family, educational, occupational, and quality of life outcomes. Am J Speech Lang Pathol. 2010;19(1):51-65. DOI: 10.1044/1058-0360(2009/08-0083) Externer Link