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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Evaluierung der neurokognitiven Veränderungen nach Cochleaimplantation

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Christiane Völter - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • Robert Käppeler - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • Lisa Götze - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • Ute Bruene-Cohrs - Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • Stefan Dazert - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • Jan Peter Thomas - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV11

doi: 10.3205/19dgpp15, urn:nbn:de:0183-19dgpp159

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Völter et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Wechselwirkung zwischen Kognition und Hören wird seit langer Zeit diskutiert. Im Hinblick auf die demographische Entwicklung und die rasante Zunahme an dementiellen Erkrankungen gewinnt diese Frage zunehmend an Bedeutung. Im Rahmen einer prospektiven Untersuchung wurden die kognitiven Fähigkeiten vor und 6 Monate nach einer Cochleaimplantation evaluiert.

Material und Methoden: 70 Patienten mit einer beidseitigen hochgradigen Hörstörung (mittleres Alter 67 Jahre), die sich ab 01/2016 zu einer CI-Operation in der Klinik für HNO-Heilkunde der Ruhr-Universität Bochum vorstellten, wurden präoperativ sowie 6 Monate postoperativ mit Hilfe einer computerbasierten Testbatterie untersucht. Diese beinhaltete neben exekutiven Funktionen wie dem Arbeitsgedächtnis, der Inhibition und den Wechselkosten die Aufmerksamkeit, das Erinnern, das verzögerte Erinnern sowie das Kurz- und Langzeitgedächtnis. Daneben wurden verschiedene Fragebögen zur allgemeinen Lebensqualität, zum Hören, zu Copingstrategien sowie zu vorliegenden psychiatrischen Erkrankungen und ein Intelligenztest erhoben.

Ergebnisse: Die Aufmerksamkeit, erfasst durch den M3, verbesserte sich signifikant in der Gesamt IE (pw=0,00007). Dabei nahm die Reaktionszeit im Median von 807,13 ms auf 725,57 ms ab und die Anzahl der richtig gelösten Aufgaben von 78 auf 88,5 zu. Im einfachen und im verzögerten Erinnern ließ sich keine signifikante Veränderung aufzeigen. Das Arbeitsgedächtnis gemessen am n-back und OSPAN zeigte signifikante Verbesserungen nach 6 Monaten (pw=0,0053 und pw=0,00012). Vor allem lag dies an einer Verbesserung der Reaktionszeit im two-back sowie der Anzahl der richtig erinnerten Items im OSPAN. Die Anzahl richtig gelöster Rechenaufgaben veränderte sich nur geringfügig. Ebenso konnten die Patienten signifikant besser auf kompatible und inkompatible Reize reagieren (pw=0,00092). Auch die Wortflüssigkeit nahm signifikant zu (pw=0,0031). Sowohl der Flanker als Test für die Inhibition als auch der M3, der die Aufmerksamkeit überprüfte, wiesen eine Altersabhängigkeit auf.

Eine signifikante Korrelation zwischen dem p.o. Sprachverstehen, gemessen am Freiburger Einsilber bei 65 und bei 80 dB, und den neurokognitiven Fähigkeiten fand sich bis auf die p.o. Wortfindung (ptau=0,013) nicht.

Diskussion: Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die kognitiven Fähigkeiten nach einer Cochleaimplantation verbessern. Ob sich durch eine Hörrehabilitation der kognitive Abbau im Alter beeinflussen lässt, müssen Langzeitstudien zeigen.


Text

Einleitung

Eine Auswirkung des Hörvermögens auf die Kognition wird seit längerer Zeit postuliert [1], [2]. Im Hinblick auf die demographische Entwicklung und die rasante Zunahme an dementiellen Erkrankungen gewinnt diese Frage zunehmend an Bedeutung [3], [4]. Im Rahmen einer prospektiven Untersuchung wurden die neurokognitiven Fähigkeiten vor und 6 Monate nach einer Cochleaimplantation evaluiert.

Material und Methoden

Bei 70 Patienten (m.: 25, w.: 45) mit einer beidseitigen hochgradigen Hörstörung (mittleres Alter 67 Jahre), die sich zwischen 01/2016 und 11/2018 zu einer CI-Operation in der Klinik für HNO-Heilkunde der Ruhr-Universität Bochum vorstellten, erfolgte präoperativ sowie 6 Monate postoperativ eine computerbasierte Testbatterie der kognitiven Fähigkeiten mit Hilfe der ALAcog [5]. Diese beinhaltet neben exekutiven Funktionen wie dem Arbeitsgedächtnis, der Inhibition und den Wechselkosten, die Aufmerksamkeit, das Erinnern, das verzögerte Erinnern sowie das Kurz- und Langzeitgedächtnis. Daneben wurden Fragebögen zur allgemeinen Lebensqualität (WHOQOL-Old), zum Hören (Njimegen Cochlear Implant Questionnaire), zu Copingstrategien (Brief-Cope) sowie zu vorliegenden psychiatrischen Erkrankungen (GDS) und ein Intelligenztest (MWT-B) erhoben.

Ergebnisse

Nach 6 Monaten konnten wir eine signifikante Verbesserung der neurokognitiven Fähigkeiten in der Mehrzahl der neurokognitiven Fähigkeiten im Median nachweisen (Abbildung 1 [Abb. 1]). Die Aufmerksamkeit, erfasst durch den M3, verbesserte sich signifikant in der Gesamt IE (pw=0,00007). Dabei nahm die Reaktionszeit im Median von 807,13 ms auf 725,57 ms ab und die Anzahl der richtig gelösten Aufgaben von 78 auf 88,5 zu. Auch im verzögerten Erinnern ließ sich eine signifikante Veränderung im Mittel von 679,71 auf 645 aufzeigen (ps=0,03). Das Arbeitsgedächtnis gemessen am n-back und OSPAN zeigte signifikante Verbesserungen nach 6 Monaten (pw=0,0053 und pw=0,00012). Vor allem lag dies an einer Verbesserung der Reaktionszeit im 2-back sowie der Anzahl der richtig erinnerten Items im OSPAN. Die Anzahl richtig gelöster Rechenaufgaben veränderte sich nur geringfügig. Ebenso konnten die Patienten signifikant besser auf kompatible und inkompatible Reize, wie im Flanker zu sehen, reagieren (pw=0,00092). Auch die Wortflüssigkeit nahm signifikant zu (pw=0,0031).

Eine signifikante Korrelation zwischen dem p.o. Sprachverstehen, gemessen am Freiburger Einsilber bei 65 und bei 80 dB, und den prä- oder postoperativen neurokognitiven Fähigkeiten fand sich nicht.

Geschlechtsspezifische Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten waren lediglich in der Kategorie des einfachen Erinnerns am zweiten Testzeitpunkt mit einer Überlegenheit des weiblichen Geschlechts nachzuweisen (pu=0,05).

Im Nijmegen-Fragebogen verbesserten sich die Patienten in allen Unterbereichen (Abbildung 2 [Abb. 2]). Dabei war im Bereich Soziales ein signifikanter Zusammenhang mit der Verbesserung der p.o. Wortfindung nachzuweisen (ptau=0,025). Des Weiteren fand sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Arbeitsgedächtnis gemessen am n-back und dem Unterbereich physische Funktion des Nijmegen (ptau=0,036).

Schlussfolgerung

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die neurokognitiven Fähigkeiten nach einer Cochlea-Implantation verbessern. Ob sich jedoch durch eine Hörrehabilitation auch langfristig der kognitive Abbau im Alter beeinflussen lässt, müssen die noch ausstehenden prospektiven Langzeitstudien zeigen.


Literatur

1.
Uhlmann RF, Larson EB, Rees TS, Koepsell TD, Duckert LG. Relationship of hearing impairment to dementia and cognitive dysfunction in older adults. JAMA. 1989;261(13):1916-9.
2.
Lin FR, Ferrucci L, Metter EJ, An Y, Zonderman AB, Resnick SM. Hearing loss and cognition in the Baltimore longitudinal study of aging. Neuropsychology. 2011;25(6):763-70.
3.
Mosnier I, Bebear JP, Marx M, et al. Improvement of cognitive function after cochlear implantation in elderly patients. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2015;141(5):442-50.
4.
Völter C, Götze L, Dazert S, Falkenstein M, Thomas JP. Can cochlear implantation improve neurocognition in the aging population? Clin Interv Aging. 2018;13:701-12.
5.
Völter C, Götze L, Falkenstein M, Dazert S, Thomas JP. Application of a computer-based neurocognitive assessment battery in the elderly with and without hearing loss. Clin Interv Aging. 2017;12:1681-90.