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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Auditive Verarbeitung und Wahrnehmung bei Kindern und Jugendlichen mit Gaumenspalte

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Sylvia Meuret - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, AöR, Leipzig, Deutschland
  • Susanne Hofer-Martini - Sana MVZ Praxisverbund Leipziger Land, Markranstädt, Deutschland
  • Alexander Hemprich - Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Leipzig, AöR, Leipzig, Deutschland
  • Michael Fuchs - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, AöR, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV8

doi: 10.3205/19dgpp11, urn:nbn:de:0183-19dgpp116

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Meuret et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Patienten mit Gaumenspalte haben sehr häufig im Kindesalter eine binaurale Schallleitungsschwerhörigkeit. Es gibt jedoch kaum Studien, die untersucht haben, ob diese Population Probleme im Bereich der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung hat.

Material und Methoden: In diese Studie konnten 48 Patienten im Alter von 5–16 Jahren eingeschlossen werden: Alle Teilnehmer hatten einen Zustand nach operativem Verschluss einer nicht syndromalen Gaumenspalte. Ein weiteres Einschlusskriterium war ein peripheres Normalgehör zum Zeitpunkt der Untersuchung. Nicht eingeschlossen wurden Kinder mit einer Lernbehinderung oder einer bekannten Aufmerksamkeits-/Konzentrationsstörung. Bei allen Kindern wurden eine Ohrmikroskopie und folgende audiologische Untersuchungen durchgeführt: Reintonaudiogramm, Sprachaudiogramm im Störschall, dichotischer Test, Mottier-Test sowie ein Eltern-Fragebogen (AVWS Fragebogen der DGPP) erhoben.

Ergebnisse: Alle Kinder mit Lippen-Gaumenspalte (42/48) oder isolierter Gaumenspalte (2/48) wurden innerhalb des 1. Lebensjahres operiert, submuköse Gaumenspalte (4/48) jedoch erst im Median im 4. Lebensjahr. 90% aller Kinder hatten eine Sprachtherapie erhalten. Die Mehrzahl der Eltern gaben im Fragebogen keine Probleme an.

Das Hören im Störschall war bei 33/48 auffällig. 8/48 Teilnehmern hatten einen auffälligen Mottier-Test. Der dichotische Test war ebenso bei 8/48 auffällig. Insgesamt zeigte sich in der Altersverteilung, dass beim Mottier-Test als auch beim dichotischen Hören vor allem die jüngeren Kinder Auffälligkeiten hatten, jedoch keiner der Jugendlichen. Die Auffälligkeiten beim Hören im Störschall waren über alle Altersgruppen verteilt. In der Untergruppe der Kinder mit submuköser Gaumenspalte zeigten sich mehr Auffälligkeiten als bei den anderen Probanden.

Diskussion: 90% der Kinder hatten bereits eine Sprachtherapie absolviert, die bereits mögliche Probleme im Bereich der auditiven Merkfähigkeit oder des dichotischen Hörens therapiert/kompensiert haben könnte; jedoch weniger das Hören im Störschall. Probanden mit submuköser Gaumenspalte hatten mehr Auffälligkeiten als die anderen Probanden; dies könnte ein Hinweis sein, dass die frühzeitig operative Versorgung der Gaumenspalte einen positiven Effekt auf die auditive Verarbeitung und Wahrnehmung haben kann.

Fazit: Patienten mit einer Gaumenspalte haben ein erhöhtes Risiko, Probleme im Bereich der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung zu haben. In unserer Studienpopulation war vor allem das Hören im Störschall auffällig.


Text

Hintergrund

Patienten mit Gaumenspalte haben sehr häufig im Kindesalter eine binaurale Schallleitungsschwerhörigkeit, die auch das binaurale Hören beeinträchtigt [1], [2]. Es gibt jedoch kaum Studien darüber, ob diese Population Probleme im Bereich der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung hat [3], [4].

Material und Methoden

In diese monozentrische Studie konnten 48 Patienten im Alter von 5–16 Jahren aus dem Patientengut der Sprechstunde für orofaziale Spaltbildung der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Leipzig eingeschlossen werden. Alle Patienten hatten eine nicht-syndromale Gaumenspalte, welche operativ verschlossen worden war. Alle Kinder hatten Deutsch als Hauptsprache. Ein weiteres Einschlusskriterium war ein peripheres Normalgehör zum Zeitpunkt der Untersuchung. Nicht eingeschlossen wurden Kinder mit einer Lernbehinderung oder einer bekannten Aufmerksamkeits-/Konzentrationsstörung. Bei allen Kindern wurde ein Eltern-Fragebogen (AVWS Fragebogen der DGPP) erhoben sowie eine HNO-ärztliche und audiologische Untersuchungen durchgeführt (Ohrmikroskopie, Reintonaudiogramm und Tympanometrie für die Überprüfung des peripheren Hörens, Sprachaudiogramm im Störschall als Test für die Selektionsfähigkeit, Mottier-Test als Test für das auditive Gedächtnis und dichotischer Test als Test für die Diskrimination.

Ergebnisse

Eine Zuordnung erfolgte in drei differenzierte Altersgruppen: Vorschul- und frühes Grundschul-Alter (5–7 Jahre) = 20 Patienten, spätes Grundschul-Alter (8–10 Jahre) = 13 Patienten und Jugendliche (11–16 Jahre) = 15 Patienten. Bei allen Patienten lag das Einverständnis der Eltern vor.

Alle Kinder und Jugendliche mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (42/48) oder isolierter Gaumenspalte (2/48) wurden innerhalb des 1. Lebensjahres operiert, Kinder mit submuköser Gaumenspalte (4/48) jedoch erst im Median im 4. Lebensjahr. 90% aller Kinder hatten eine Sprachtherapie (Logopädie) erhalten. Die Mehrzahl der Eltern gaben im AVWS Fragebogen der DGPP keine Probleme an.

Das Hören im Störschall (Selektion) war bei 33/48 Patienten auffällig. 8/48 Teilnehmer hatten einen auffälligen Mottier-Test (auditives Gedächtnis). Der dichotische Test (Diskrimination) war ebenso bei 8/48 der Kinder und Jugendlichen auffällig.

Abbildung 1 [Abb. 1]

Insgesamt zeigte sich in der Altersverteilung, dass beim Mottier-Test als auch dichotischen Hören vor allem die jüngeren Kinder Auffälligkeiten boten, jedoch keiner der Jugendlichen. Kinder mit Auffälligkeiten beim Hören im Störschall waren über alle Altersgruppen verteilt.

Abbildung 2 [Abb. 2]

In der Untergruppe der Kinder mit submuköser Gaumenspalte zeigten sich vergleichsweise mehr Auffälligkeiten als bei den anderen Probanden.

Diskussion

90% der Kinder hatten bereits eine Sprachtherapie absolviert, die bereits mögliche Probleme im Bereich der auditiven Merkfähigkeit oder des dichotischen Hörens therapiert/kompensiert haben könnte; jedoch weniger das Hören im Störschall. Probanden mit submuköser Gaumenspalte zeigten mehr Auffälligkeiten als die anderen Probanden; dies könnte ein Hinweis sein, dass die frühzeitig operative Versorgung der Gaumenspalte einen positiven Effekt auf die Entwicklung der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung haben kann.

Fazit

Kinder und Jugendliche mit einer Gaumenspalte haben ein erhöhtes Risiko, Probleme im Bereich der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung zu entwickeln. In unserer Studienpopulation war vor allem das Hören im Störschall auch bis ins Jugendalter auffällig.


Literatur

1.
Flynn T, Moller C, Jonsson R, Lohmander A. The high prevalence of otitis media with effusion in children with cleft lip and palate as compared to children without clefts. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2009;73:1441-6.
2.
Moore DR, Hartley DE, Hogan SC. Effects of otitis media with effusion (OME) on central auditory function. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2003;67 Suppl 1:S63-7.
3.
Yang FF, McPherson B, Shu H, Xiao Y. Central auditory nervous system dysfunction in infants with non-syndromic cleft lip and/or palate. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2012;76:82-9. DOI: 10.1016/j.ijporl.2011.10.005 Externer Link
4.
Ma X, McPherson B, Ma L. Behavioral signs of (central) auditory processing disorder in children with nonsydromic cleft lip and/or palate: a parental questionnaire approach. Cleft Palate Craniofac J. 2016;53(2):147-56. DOI: 10.1597/14-057 Externer Link