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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Vergleich von DPOAE-Schwellenschätzungen mit tonaudiometrischen Hörschwellen bei mit Platin-Medikamenten behandelten Kindern und Jugendlichen

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV6

doi: 10.3205/19dgpp06, urn:nbn:de:0183-19dgpp062

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Matulat et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Ein hoher Prozentsatz der mit Platin-Medikamenten behandelten Kinder und Jugendlichen sind von einem schwerwiegenden und überwiegend irreversiblen Hörverlust betroffen, welcher sich initial meist im Hochtonbereich manifestiert. Im Nebenwirkungsmanagement der Behandlung hat das audiologische Monitoring deshalb einen festen Platz. Die Tonaudiometrie als Goldstandard unter den subjektiven Messmethoden stößt in der onkologischen Praxis aufgrund der geforderten/erforderlichen Compliance insbesondere bei jüngeren Kindern und Kindern in schlechter körperlicher Verfassung sowie der vergleichsweise hohen technischen Anforderungen an das Setting oft an ihre Grenzen. Gegenstand dieser Untersuchung war die Überprüfung der Übereinstimmung der Hörschwellen der beiden Messmethoden Tonaudiometrie und DPOAE-Schwellenschätzung, um die Zuverlässigkeit der DPOAE-Schwellenschätzung als praktische Alternative für die onkologische Praxis abschätzen zu können.

Material und Methoden: Von 209 jungen und jugendlichen Patienten mit einem Durchschnittsalter von 11,61 Jahren (sd=5,41) mit regelgerechtem Tympanogramm wurden in 525 Kontrolluntersuchungen 2568 Messpaare mit Hörschwellen beider Messverfahren in den Frequenzen 4kHz (N=943), 6 kHz (N=913)) und 8kHz (N=712) erhoben. Die Tonaudiometrie wurde in zertifizierten Audiometrie-Räumen der Klinik durchgeführt (Auritec AT900/Sennheiser HDA300). Für die DPOAE Schwellenschätzung kam ein SentieroTM Advanced der Firma PATHmedical zum Einsatz.

Für die Abschätzung der Stärke des Zusammenhangs für die gepaarten Messungen wurden Intraklassen-Korrelationen (unjustiertes „2-way mixed effect“-Modell) über alle Frequenzen berechnet. Zur Beurteilung der klinischen Relevanz der Unterschiede beider Messmethoden wurden Bland-Altmann-Analysen (Plot der Mittelwerte der Messpaare gegen deren Differenz unter Berücksichtigung von Konfizenzintervallen) durchgeführt. Abhängigkeiten der Unterschiede von der gemessenen Frequenz, der Ohrseite und dem Geschlecht wurden mittels multivariater Methoden ermittelt.

Ergebnisse: Die Intraklassen-Korrelationen beider Messverfahren lagen (auch bei Begrenzung der Tonaudiometrieschwellen auf maximal 50 dbHL) bei 4 und 6 KHz zwischen 0,72–0,80 und 8 kHz bei 0,50 und 0,67. Die Bland-Altmann-Analysen deuten für beide Ohrseiten und alle untersuchten Frequenzen auf klinisch relevante Unterschiede hin.

Diskussion: Mögliche Ursachen und Konsequenzen für die Praxis dieser mit der Höhe der Messfrequenz zunehmenden Unterschiede werden diskutiert.


Text

Hintergrund und Fragestellung

Ein hoher Prozentsatz der mit Platin-Medikamenten behandelten Kinder und Jugendlichen sind von einem schwerwiegenden und überwiegend irreversiblen Hörverlust betroffen, welcher sich initial meist im Hochtonbereich manifestiert [1]. Im Nebenwirkungsmanagement der Behandlung hat das audiologische Monitoring deshalb einen festen Platz. Gegenstand dieser Untersuchung war die Überprüfung der Übereinstimmung der Hörschwellen der beiden Messmethoden Tonaudiometrie und DPOAE-Schwellenschätzung, um die Zuverlässigkeit der DPOAE-Schwellenschätzung als praktische Alternative für die onkologische Praxis abschätzen zu können.

Patienten und Untersuchungsmethoden

Von 209 jungen und jugendlichen Patienten mit einem Durchschnittsalter von 11,61 Jahren (sd=5,41) mit regelrechtem Tympanogramm wurden in 525 Kontrolluntersuchungen 2568 Messpaare mit Hörschwellen beider Messverfahren in den Frequenzen 4 kHz (N=943), 6 kHz (N=913) und 8 kHz (N=712) erhoben. Die Tonaudiometrie wurde in zertifizierten Audiometrie-Räumen der Klinik durchgeführt (Auritec AT900/Sennheiser HDA300). Für die DPOAE Schwellenschätzung kam ein SentieroTM Advanced der Firma PATHmedical zum Einsatz.

Für die Abschätzung der Stärke des Zusammenhangs für die gepaarten Messungen wurden Intraklassen-Korrelationen [2] über alle Frequenzen berechnet. Zur Beurteilung der klinischen Relevanz der Unterschiede beider Messmethoden wurden Bland-Altmann-Analysen (m-d-Diagramme, Plot der Mittelwerte der Messpaare gegen deren Differenz unter Berücksichtigung von Konfidenzintervallen [3]) durchgeführt. Abhängigkeiten der Unterschiede von der gemessenen Frequenz, der Ohrseite und dem Geschlecht wurden mittels multivariater Methoden ermittelt.

Ergebnisse

Die Intraklassen-Korrelationen lagen für beide Ohrseiten bei 4 und 6 kHz zwischen 0,72–0,80 und bei 8 kHz bei 0,50 (linkes Ohr) und 0,67 (rechtes Ohr).

Eine Berechnung der Korrelationen mit Begrenzung der Tonaudiometrieschwellen auf max. 50 db HL (da der Emissionspegel bei DPOAE-Messungen oberhalb von 50 dB SPL Primärtonpegel in die Sättigung geht) erbrachte nur minimale Veränderungen.

Bland-Altmann-Diagramme zur grafischen Darstellung der Übereinstimmung der beiden Messverfahren zeigen für alle gemessenen Frequenzen (4, 6 und 8 kHz) und beide Ohrseiten eine hohe Schwankungsbreite der Abweichungen, kleine systematische Fehler (Mittelwert der Differenz) und vor allem eine klinisch relevante Differenz der Abweichungen (Mittelwerte der Differenz >plus/minus 1,96*Standardabweichung der Differenz). Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt dies am Beispiel des linken Ohres bei der Frequenz von 4 kHz.

Unabhängig von der Ohrseite und dem Geschlecht besteht ein signifikanter Unterschied der absoluten mittleren Abweichungen für die Frequenzen 4 und 6 kHz zu den Differenzen bei 8 kHz.

Es besteht kein signifikanter Zusammenhang des Alters mit der Höhe der absoluten Differenzen der gemessenen Schwellen.

Diskussion

Die hier gefundenen Korrelationen und Differenzen zwischen der subjektiven Schwellenbestimmung mittels Tonaudiometrie und der objektiven DPOAE-Schwellenschätzung mögen überraschen, entsprechen aber in der Höhe der Korrelationen wie auch der Standardabweichungen der Differenzen anderen Untersuchungen [4], [5].

Für den Einsatz der DPOAE-Schwellenschätzung bei in der Regel im Hochtonbereich beginnenden Hörstörungen von mit Platin behandelten Patienten sind vor allem die geringe Übereinstimmung und die statistisch betrachtet klinisch relevante Abweichung bei 8 kHz von Bedeutung.

Mögliche (systematische) Ursachen hierfür könnten in der Kalibierung (Verschiebung der Resonanzen in höhere Frequenzen durch Ausschaltung der natürlichen Resonanzen als Folge des Verschlusses des Gehörgangs) und einem nicht optimalen Sondensitz (mit Verschiebung der Resonanzen vorzugsweise bei höheren Frequenzen) liegen.

Fazit/Schlussfolgerungen

Da sich die Übereinstimmung der Verfahren bei höheren Frequenzen schon unter den klinischen Bedingungen einer pädaudiologischen Abteilung deutlich verringert, sollte der Einsatz der DPOAE-Schwellenschätzung in hohen Frequenzen von mit Platin behandelten Patienten in der onkologischen Praxis genau überlegt werden.


Literatur

1.
Rybak LP, Mukherjea D, Jajoo S, Ramkumar V. Cisplatin ototoxicity and protection: clinical and experimental studies. Tohoku J Exp Med. 2009;219(3):177-86.
2.
Koo TK, Li MY. A Guideline of Selecting and Reporting Intraclass Correlation Coefficients for Reliability Research. J Chiropr Med. 2016;15:155-63.
3.
Bland JM, Altman DG. Statistical methods for assessing agreement between two methods of clinical measurement. Lancet. 1986;1(8476):307-10.
4.
Boege P, Janssen T. Pure-tone threshold estimation from extrapolated distortion product otoacoustic emission I/O-function in normal and cochlear hearing loss ears. J Acoust Soc Am. 2002;111:1810-8
5.
Fiedler I. Hörschwellenschätzung mittels Registrierung von Distorsionsprodukten otoakustischer Emissionen (DPOAE) und Auditory Steady-State Responses (ASSR) [Dissertation]. München: Technische Universität München; 2011.