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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Psychische Gefährdungspotentiale von professionellen Sängerinnen und Sängern in Deutschland

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UK Münster, Münster, Deutschland
  • author Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UK Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV1

doi: 10.3205/19dgpp01, urn:nbn:de:0183-19dgpp016

Veröffentlicht: 13. September 2019

© 2019 Deuster et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: In Deutschland gibt es in 75 Opernhäusern zwischen 3500 und 4000 professionell tätige Sänger*innen. Die hier vorgestellte Untersuchung erfasst die psychischen Arbeitsbelastungen und -beanspruchungen sowie die Belastungsfolgen der dort arbeitenden Chormitglieder und Solisten.

Material und Methoden: Die Rekrutierung der Umfrageteilnehmer*innen erfolgte vermittelt über Anschreiben an die jeweiligen Disponenten und Chorleiter mit Kenntnis der Intendanz. Für die anonyme Befragung wurde im Frühjahr 2019 eine selbst erstellte Onlineversion der deutschen Standardversion des Copenhagen Psychosocial Questionnaire in englischer und deutscher Sprache genutzt. Er ist ein validierter Fragebogen, der die Anforderungen an die Messqualität als Screening-Instrument im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung (DIN EN ISO 10075-3) erfüllt.

In 41 Hauptfragen mit ca. 120 Items wurden primär quantitative und emotionale berufliche Anforderungen, Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten und das Erleben von sozialen Beziehungen und Führung in der Arbeitssituation erfragt sowie Folgen dieser Belastungen erhoben.

Ergebnisse: Es beteiligten sich aus allen 16 Bundesländern insgesamt 207 Sänger*innen, von denen 52,2% (N=108) weiblich und 47,8% (N=99) männlich waren. Das Durchschnittsalter betrug 46,94 Jahre (N=206/sd=9,64/R=27–65). Die Teilnehmer*innen waren im Schnitt 20,34 Jahre berufstätig (N=207/sd=10,68/R=1–43) und überwiegend verheiratet/in einer Partnerschaft (76,1%) lebend. 75,4% (N=156) waren Chorsänger*innen und 24,6% (N=51) Solisten. 88,2% (N=165) waren primär im Opernfach tätig.

Im Vergleich zu veröffentlichten Skalenwerten aller Arbeitnehmer erleben Sänger*innen etwas geringere quantitative, jedoch zum Teil deutlich höhere emotionale Anforderungen bei ihrer Tätigkeit. Sie berichten von mehr Rollenkonflikten und die sozialen Beziehungen werden deutlich weniger gut beurteilt. Sie schätzen die Bedeutung ihrer Arbeit als geringer ein und berichten von kaum vorhandenem Einfluss auf die Arbeit und sehr geringem Entscheidungsspielraum. Bezüglich der Belastungsfolgen ergibt sich das Bild einer leicht verminderten Arbeitszufriedenheit und einem etwas schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand. Unerwartet war die häufige und zum Teil ausführliche Nutzung zweier freier Textfelder.

Diskussion: Die Ergebnisse multivariater Analysen zu Untergruppen der Teilnehmer (z.B. nach Geschlecht, Alter, Arbeitsverhältnis, Tätigkeitsschwerpunkt, Stimmlage) werden präsentiert und diskutiert.


Text

Hintergrund und Fragestellung

In Deutschland gibt es in 75 Opernhäusern zwischen 3500 und 4000 professionell tätige Sänger*innen [1]. Die hier vorgestellte Untersuchung versteht sich als Pilotstudie zur Erfassung der psychischen Arbeitsbelastungen und -beanspruchungen sowie der Belastungsfolgen der dort arbeitenden Chormitglieder und Solisten.

Teilnehmer und Untersuchungsmethoden

Die Rekrutierung der Umfrageteilnehmer*innen erfolgte vermittelt über Anschreiben an die jeweiligen Disponenten und Chorleiter mit Kenntnis der Intendanz. Für die anonyme Befragung wurde im Frühjahr 2019 eine selbst erstellte Onlineversion der deutschen Standardversion des Copenhagen Psychosocial Questionnaire in englischer und deutscher Sprache genutzt [2], [3]. Der COPSOQ ist ein validiertes Verfahren, welches die Anforderungen an die Messqualität als Screening-Instrument im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung (DIN EN ISO 10075-3) erfüllt [4]. In 41 Hauptfragen mit ca. 120 Items wurden in 26 Skalen primär quantitative und emotionale berufliche Anforderungen, Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten und das Erleben von sozialen Beziehungen und Führung in der Arbeitssituation erfragt sowie Folgen dieser Belastungen erhoben.

Ergebnisse

Es beteiligten sich aus allen 16 Bundesländern insgesamt 207 Sänger*innen, von denen 52,2% (N=108) weiblich und 47,8% (N=99) männlich waren. Das Durchschnittsalter betrug 46,94 Jahre (N=206/sd=9,64/R=27–65). Die Teilnehmer*innen waren im Schnitt 20,34 Jahre berufstätig (N=207/sd=10,68/R=1–43) und überwiegend verheiratet/in einer Partnerschaft (76,1%) lebend. 75,4% (N=156) waren Chorsänger*innen und 24,6% (N=51) Solisten. 88,2% (N=165) waren primär im Opernfach tätig. 76,8% hatten Arbeitsverträge von mehr als 4 Jahren oder unbefristete Verträge. 85% arbeiten in Mehrspartenhäusern und überwiegend (82,1%) in Häusern der A- oder B-Kategorie.

Im Vergleich zu veröffentlichten Referenzwerten aller Arbeitnehmer [5], [6] erleben Sänger*innen etwas geringere quantitative, jedoch zum Teil deutlich höhere emotionale Anforderungen bei ihrer Tätigkeit. Sie berichten von mehr Rollenkonflikten und die sozialen Beziehungen werden deutlich weniger gut beurteilt. Sie schätzen die Bedeutung ihrer Arbeit als geringer ein und berichten von kaum vorhandenem Einfluss auf die Arbeit und sehr geringem Entscheidungsspielraum. Bezüglich der Belastungsfolgen ergibt sich das Bild einer leicht verminderten Arbeitszufriedenheit und eines etwas schlechteren allgemeinen Gesundheitszustandes. Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Skalenmittelwerte der 26 untersuchten Skalen zu Anforderungen, sozialen Beziehungen und Führung, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie Belastungsfolgen und der Zusatzskale zur Unsicherheit des Arbeitsplatzes im Vergleich.

Multivariate Analysen zeigen einen nicht sehr ausgeprägten signifikanten Effekt der Vertragsdauer auf die Skalen Arbeitssicherheit und tendenziell auf die Entwicklungsmöglichkeiten sowie einen Effekt der erlebten Vorbereitung auf den Beruf auf die Skalen Rollenkonflikte, Mobbing und Vorhersagbarkeit. Tendenziell gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Familienstand und den Skalen Vorhersagbarkeit und Lebenszufriedenheit.

Diskussion

Erstmalig wurden über ein größeres Kollektiv von Sänger*innen Daten zur psychischen Belastung am Arbeitsplatz und den Folgen dieser Belastungen erhoben. Es zeigten sich vergleichbare Belastungsfolgen trotz zum Teil sehr erheblich schlechterem Erleben vor allem in den Skalen Entscheidungsspielraum, Einfluss auf die Arbeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie soziale Unterstützung am Arbeitsplatz.

Vor allem die unerwartet häufige und ausführliche Nutzung zweier freier Textfelder, in denen – neben Anmerkungen zu den Inhalten der Befragung – häufig der Konflikt zwischen Beruf und Privatleben angesprochen wurde, veranlasst uns, eine Folgeuntersuchung mit spezifischeren Fragen zu diesem Bereich zu planen.


Literatur

1.
Deutscher Bühnenverein. Theaterstatistik 2016/2017. Bonn: Köllen Druck und Verlag GmbH; 2018.
2.
Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F. Methoden zur Erfassung psychischer Belastungen – Erprobung eines Messinstrumentes (COPSOQ). Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW; 2005. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; Fb 1058). Verfügbar unter: https://www.copsoq.de/assets/pdf/BUCH-coposq-dt-baua-2005-Fb1058.pdf Externer Link
3.
LimeSurvey: An Open Source survey tool. Hamburg: LimeSurvey GmbH; 2017. Verfügbar unter: http://www.limesurvey.org Externer Link
4.
Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 3: Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastung (ISO 10075-3:2004); Deutsche Fassung EN ISO 10075-3:2004. Berlin: Beuth; 2004.
5.
Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften GmbH (FFAW). Bericht zur Auswertung des COPSOQ Fragebogens, UKGM, Folien zur Betriebsversammlung in Marburg am Mittwoch den 27.04.2016.
6.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Neulich in Köln beim COPSOQ-Auswertungsworkshop. (GEW Info; 1/2017). Verfügbar unter: https://bonn.gew-nrw.de/wir-in-bonn/unsere-zeitung.html Externer Link