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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Subjektiver und objektiver Vergleich der Stimmqualität von spanisch- und deutschsprachigen Muttersprachlerinnen

Poster

  • author presenting/speaker Mirjam Vogel - Helios-Klinikum Eisleben, Eisleben, Deutschland
  • author Ursula Hirschfeld - Abteilung Sprechwissenschaft und Phonetik am IMMS, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland
  • corresponding author Susanne Voigt-Zimmermann - Abteilung Sprechwissenschaft und Phonetik am IMMS, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocP17

doi: 10.3205/18dgpp54, urn:nbn:de:0183-18dgpp546

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Vogel et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Stimme ist ein komplexes Phänomen, welches von anatomischen, funktionellen, z.B. habituellen, aber auch (sprach)kulturellen Faktoren geprägt wird. So sind es auch artikulatorisch-phonetische Aspekte der Sprache und Stimmideale der jeweiligen Kulturkreise, die die Stimmqualität beeinflussen können. Allerdings konnten bisher nur wenige Untersuchungen diese Hypothesen verifizieren.

Deshalb (1) erfassten wir die subjektiven Vorannahmen der Muttersprachlerinnen zur Stimmqualität der Sprecherinnen der jeweils anderen Sprache und (2) untersuchten am Beispiel junger spanischer und deutscher Muttersprachlerinnen, ob es objektive Unterschiede der Stimmqualität zwischen den Sprecherinnen beider Sprachen gibt.

Material und Methoden: Im Rahmen einer prospektiven Studie wurden bei 55 Lehramtsstudentinnen (27 deutsch- und 28 spanischsprachige Muttersprachlerinnen, Alter: 18–29 J.) eine Fragebogenstudie durchgeführt, bei der u.a. die Meinung über die Stimmqualität von Muttersprachlerinnen der jeweils anderen Sprache erfragt wurde. Außerdem wurden von den Probandinnen Stimmaufnahmen angefertigt, die akustisch und auditiv-perzeptiv (durch 5 Stimmexpertinnen) analysiert und verglichen wurden. Die Tonaufnahmen wurden in Bezug auf die Parameter Tonhöhenumfang, mittlere Sprechstimmlage, Lösungstiefe, maximale Tonhaltedauer, Jitter, Shimmer, HNR, RBH und die Behandlungsbedürftigkeit ausgewertet.

Ergebnisse: Die Befragung zeigte, dass nahezu alle Teilnehmerinnen von Unterschieden der Stimmqualität der beiden Sprachen ausgehen und sogar konkrete Vorstellungen von diesen Unterschieden haben.

Weder die perzeptiv-auditive noch die akustische Analyse ergaben jedoch signifikant bedeutsame Unterschiede zwischen den analysierten Stimmen der deutsch- und spanischsprachigen Muttersprachlerinnen.

Diskussion: Es zeigte sich eine große Differenz zwischen den Annahmen der Versuchspersonen und den tatsächlichen Ergebnissen der Untersuchung. Diese gegensätzlichen Ansichten könnten u.a. auf stereotype Vorstellungen der jeweils anderen Sprachgruppe oder aber auch darauf zurück zu führen sein, dass vertraute Klänge oft anders und v.a. positiver bewertet werden.

Fazit: Obwohl sich die Stimmqualitäten zwischen den beiden Gruppen nicht unterschieden, gehen die Muttersprachlerinnen davon aus, dass die Stimmqualität der Sprecherinnen der anderen Muttersprache deutlich von der eigenen abweicht. Sie wird also anders wahrgenommen und bewertet.


Text

Hintergrund

Die Stimme ist ein komplexes Phänomen, welches von anatomischen, funktionellen, und somit offenbar auch (sprach)kulturellen Faktoren geprägt wird. So können aufgrund unterschiedlicher Phoneminventare und sprachenspezifischer Sprechspannungen (Kombination von Stimmlippenspannung, Exspirationsdruck und relativer Spannung der Artikulationsmuskulatur während des Sprechens) auch artikulatorisch-phonetische Aspekte stimmphysiologisch unterschiedlich wirken. Zudem scheinen Stimmideale der jeweiligen Kulturkreise die jeweils akzeptierte Stimmqualität zu beeinflussen. Was dabei als schön oder sympathisch gilt, hängt zum einen vom individuellen Hörgeschmack ab, aber auch davon, was vertraut und bekannt erscheint. Einstellungen zu Sprachen werden dabei nicht nur von sprachinhärenten Merkmalen, sondern auch von stereotypen Vorstellungen über die Angehörigen dieser Sprechergruppe beeinflusst [1]. Allerdings konnten bisher nur wenige Untersuchungen diese Hypothesen verifizieren.

Ziel der vorliegenden Untersuchung war es deshalb, die subjektive Meinung über die Stimmqualität der eigenen und über die jeweils andere Muttersprache der tatsächlich objektiv gemessenen Stimmqualität gegenüberzustellen. Wir fragten uns: Gibt es kulturell und sprachlich bedingte Unterschiede der Stimmqualität?

Material und Methoden

In einer prospektiven Studie wurde bei 55 Probandinnen (27 deutsch- und 28 spanischsprachige Muttersprachlerinnen im Alter von 18 bis 29 Jahre, ø 21,18 J., ohne Hörstörungen, Infekte oder Allergien) zunächst eine Fragebogenstudie zur Meinung über die Stimmqualität von Muttersprachlerinnen der jeweils anderen Sprache durchgeführt. Dann wurden von diesen Probandinnen Stimmaufnahmen angefertigt von „Der Nordwind und die Sonne“ bzw. spanische Version „El viento norte y el sol“, von einem ausgehaltenen /a:/ und vom Zählen „20 bis 30“. Es folgten die auditiv-perzeptiv Bewertung der Stimmaufnahmen mittels RBH-Klassifikation durch 5 Stimmexpertinnen und eine akustische Analyse mittels Praat. hinsichtlich mittlerer Sprechstimmlagen (MSL), Jitter, Shimmer, Harmonic-to-noise-ratio (HNR) und maximaler Tonhaltedauer (THD).

Ergebnisse

Die Befragung zeigte, dass 80% aller Teilnehmerinnen von Unterschieden in der Stimmqualität der beiden Sprachen ausgehen und sogar konkrete Vorstellungen von diesen Unterschieden haben (Abbildung 1 [Abb. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2]).

Der Stimmen der deutschen und spanischen Probandinnen ergaben jedoch weder bei der perzeptiv-auditiven noch bei der akustischen Analyse signifikant bedeutsame Unterschiede (Tabelle 1 [Tab. 1] und Tabelle 2 [Tab. 2]).

Signifikante Unterschiede zeigten sich nur bei der MSL beim Lesen und bei der THD. Die deutschen Probandinnen (Median: 203,22 Hz) lasen tiefer als die spanischen (217,69 Hz) (Tabelle 2 [Tab. 2]) und die THD war bei den spanischen Frauen (14,12 s) kürzer (p = 0,0052) als bei den deutschen (19,16 s) bei vergleichbaren Messbedingungen.

Diskussion

Subjektive Annahmen von jungen deutschen bzw. spanischen Frauen hinsichtlich der Stimmqualität der jeweils anderen Muttersprachlerinnen stimmen mit der tatsächlich analysierten Stimmqualität nicht überein. Diese gegensätzlichen Ansichten könnten u.a. auf stereotype Vorstellungen bezüglich der anderen Sprachgruppe beruhen oder darauf, dass vertraute Klänge anders und v.a. positiver bewertet werden.

Fazit

Die objektiv nicht verifizierbare subjektive Präferenz der eigenen muttersprachlichen Stimmqualität muss u.a. bei interkulturellen Forschungsfragen berücksichtigt werden.


Literatur

1.
Schoel C, Eck J, Roessel J, Stahlberg D. Spracheinstellungen aus sozialpsychologischer Perspektive. I Deutsch und Fremdsprachen. In: Eichinger LM, et al., editors. Sprache und Einstellungen. Spracheinstellungen aus sprachwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Perspektive. Tübingen: Narr Francke Attempto; 2012