gms | German Medical Science

4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Effekte einer professionellen klassischen Gesangsausbildung auf Vokaltrakteinstellungen während des Singens

Vortrag

  • corresponding author Ann-Sophie Müller - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Dresden, Deutschland
  • author presenting/speaker Alexander Mainka - Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Mario Fleischer - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Willy Mattheus - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV34

doi: 10.3205/18dgpp49, urn:nbn:de:0183-18dgpp493

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Müller et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die akustischen Eigenschaften des Vokaltraktes (VT) resultieren aus seiner Form und können während der Tonerzeugung dynamisch angepasst werden. Dabei ist der untere Teil des VT von besonderer Bedeutung für höhere Formanten wie dem Sänger-Formantencluster. In der vorliegenden Studie wurde die detaillierte Morphologie des unteren VT im longitudinalen Vergleich nach 3 Jahren professioneller klassischer Gesangsausbildung analysiert, inklusive Epilarynxtube, Hypopharynx, Sinus piriformes und Sinus morgagni.

Material und Methoden: 12 männliche Gesangsstudenten wurden gebeten, die deutschen Vokale /a/, /e/, /i/, /o/, /u/ auf einem ausgehaltenen 220 Hz Ton in einem 3T MRT (Verio, Siemens Medical Solutions, Erlangen) zu bilden. Diese Aufgabe sollte im klassischen Gesangsstil mit wenig Vibrato einerseits, und einer sprech-ähnlichen Einstellung andererseits in einer mittleren Lautstärke ausgeführt werden. Die Aufnahme-Zeit betrug jeweils 12,1 Sekunden. Während der laufenden MRT wurde der Ton mit einem optischen Mikrophon (MO 2000, Sennheiser) aufgenommen.

Mithilfe eines semi-automatischen Algorithmus wurden die aus der MRT resultierenden Bilder entlang der Luft-Weichteil-Grenze mittels einer Zentralpfad-basierten Herangehensweise segmentiert. Es wurden 2 verschiedene Zentralpfade gewählt, jeweils ein eigener für die Segmentierung von Epilarynx und Hypopharynx. Durch das Zusammensetzen der zweidimensionalen Segmentationen wurde das Ausmessen des tieferen VT im Zentralpfad-basierten Koordinatensystem in 3 Dimensionen ermöglicht.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen ähnliche Anpassungen des unteren VT im Singen und Sprechen. Der relative Zuwachs der hypopharyngealen Flächen-, und Volumenmaße im Singen ist tendenziell größer nach 3 Jahren akademischer Gesangsausbildung. Ein größerer Zuwachs im Singen konnte auch für die epilaryngeale Region beobachtet werden. Insgesamt zeigte sich jedoch eine Abnahme der Absolutmaße des tieferen VT nach 3 Jahren Gesangsausbildung.

Diskussion: Zusammenfassend konnte ein Effekt einer Solo Gesangsausbildung basierend auf MRT-Aufnahmen bewiesen werden, wobei allerdings der Großteil der ausgewerteten Maße signifikant abhängig vom produzierten Vokal variierten.

Fazit: Durch die Ergebnisse wird so ein Beitrag geleistet, um mögliche Langzeitauswirkungen einer professionellen klassischen Solo-Gesangsausbildung auf funktionelle Einstellungen während des Singens besser zu verstehen.


Text

Die akustischen Eigenschaften des Vokaltraktes (VT) resultieren aus seiner Form und können während der Tonerzeugung dynamisch angepasst werden [1]. Dabei ist der untere Teil des VT von besonderer Bedeutung für höhere Formanten wie dem Sänger-Formantencluster [2]. In der vorliegenden Studie wurde die detaillierte Morphologie des unteren VT im longitudinalen Vergleich vor (T1) und nach 3 Jahren (T2) professioneller klassischer Gesangsausbildung analysiert, inklusive Epilarynxtube, Hypopharynx, Sinus piriformes und Sinus morgagni.

12 männliche Gesangsstudenten wurden gebeten, die deutschen Vokale /a/, /e/, /i/, /o/, /u/ auf einem ausgehaltenen 220 Hz Ton (A3) in einem MRT zu bilden.

Diese Aufgabe sollte im klassischen Gesangsstil mit so wenig wie möglich und wenn überhaupt gut-kontrolliertem Vibrato einerseits, und einer sprech-ähnlichen Einstellung andererseits in einer mittleren Lautstärke ausgeführt werden. Während der laufenden MRT wurde der Ton mit einem optischen Mikrophon aufgenommen.

Mithilfe eines semi-automatischen Algorithmus wurden die aus der MRT resultierenden Bilder entlang der Luft-Weichteil-Grenze mittels einer Zentralpfad-basierten Herangehensweise segmentiert. Der originale Bilderstapel wurde in neue Bildersets transformiert, deren Schnittebene orthogonal zum Tangentenvektor des jeweils inserierten Zentralpfades ausgerichtet war. In einem mittigen sagittalen Ausgangsbild wurden 2 verschiedene Zentralpfade eingezeichnet – der eine als gerade Linie vom Dens Axis zum oberen vorderen Rand des Arytenoid-Knorpels für die Segmentierung des Hypopharynx, und der zweite gebogen, sodass sowohl die Eingangsfläche in die Epilarynxtube, als auch die orthogonal liegenden Taschenfalten angeschnitten wurden. Durch das Zusammensetzen der zweidimensionalen Segmentationen konnte das Ausmessen des tieferen VT im Zentralpfad-basierten Koordinatensystem in 3 Dimensionen ermöglicht werden.

Gemittelt nach 3 Jahren professioneller Gesangsausbildung weisen die 12 männlichen Gesangsstudenten morphologische Änderungen auf, wie ein tieferes Absenken des Larynx sowie generell engere Volumina. Die Ergebnisse zeigen ähnliche Anpassungen des unteren VT im Singen und Sprechen. Vergleicht man sprechhaft und sängerisch, gibt es zum Zeitpunkt T2 im Vergleich zu T1 ein geringeres Wachstum der hypopharyngealen Maße während des Singens, die endolaryngealen Flächen- und Volumenmaße sind sprechhaft und gesungen zu den jeweiligen Zeitpunkten annähernd gleich groß (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1]).

Einerseits stützen die Daten die Theorie, dass konsistente morphologische VT-Unterschiede zwischen dem Singen und Sprechen bestehen. Andererseits wurden auch signifikante Trends gefunden im Vergleich vor und nach der Bachelor-Ausbildung. Insgesamt konnte ein Effekt einer Solo Gesangsausbildung basierend auf MRT-Aufnahmen bewiesen werden, wobei jedoch der Großteil der ausgewerteten Maße signifikant abhängig vom produzierten Vokal variierten.

Zusammenfassend wird durch die vorliegende Studie ein Beitrag zur Grundlagenforschung geleistet, um stimmphysiologische Vorgänge während der Gesangsausbildung besser zu verstehen. Die Forschungsergebnisse können Erklärungen über mögliche Langzeitauswirkungen einer professionellen klassischen Solo-Gesangsausbildung auf funktionelle Einstellungen während des Singens bieten. Die Ergebnisse legen den Nutzen einer objektiven Betrachtung der Charakteristika einer sängerischen Stimme nahe, in Ergänzung mit der Dokumentation der subjektiven Bewertung des Fortschrittes in der Ausbildung von Solo-Sängern. Sie sollen aufzeigen, wie es männlichen klassisch ausgebildeten Sängern gelingen kann, ein Timbre mit einer erhöhten Energie im hochfrequenten Schallspektrumbereich hervorzubringen, speziell durch das Ausbilden des Sänger-Formantenclusters. So kann die Studie auch einen Beitrag dazu leisten, die Vorhersagemöglichkeiten von professionellen stimmlichen Entwicklungen im gesangspädagogischen Bereich entscheidend zu verbessern [3].


Literatur

1.
Mainka A, Poznyakovskiy A, Platzek I, Fleischer M, Sundberg J, Murbe D. Lower Vocal Tract Morphologic Adjustments Are Relevant for Voice Timbre in Singing. PLoS One. 2015;10(7):e0132241. DOI: 10.1371/journal.pone.0132241 Externer Link
2.
Sundberg J. Articulatory interpretation of the "singing formant". J Acoust Soc Am. 1974;55(4):838-44.
3.
Mainka A, Poznyakovskiy A, Platzek I, Zabel H, Mürbe D. Entwicklung eines 3D-Modells des Vokaltraktes während der Phonation anhand von MRT-Daten. In: Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, Hrsg. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV1. DOI: 10.3205/12dgpp01 Externer Link