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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Auditorische Synapto-/Neuropathie bei kongenitalem Hyperinsulinismus (KHI)

keine Präferenz

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  • corresponding author presenting/speaker Anne Läßig - Schwerpunkt Kommunikationsstörungen der HNO-Klinik, Unimedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Julia Döge - Schwerpunkt Kommunikationsstörungen der HNO-Klinik, Unimedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Evgenia Martin - Schwerpunkt Kommunikationsstörungen der HNO-Klinik, Unimedizin Mainz, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV29

doi: 10.3205/18dgpp39, urn:nbn:de:0183-18dgpp394

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Läßig et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Ein kongenitaler Hyperinsulinismus (auch Persistierende kindliche Hyperinsulinämische Hypoglykämie (HHF), Prävalenz 1-9:100.000, autosomal-rezessiv, autosomal-dominant, OMIM-Nummer: HHF-1: 256450; HHF-2: 601820; HHF-3: 602485, auf Chromosom 11p15.1 (ABCC8 und KCNJ11) und 7p15-13 (GCK)) ist mit 55% die häufigste Ursache für eine persistierende Hypoglykämien im 1. Lebensjahr.

Biochemische Leitsymptome bei Hyperinsulinismus sind die Hypoglykämie, eine erhöhte Insulinkonzentration sowie erniedrigte freie Fettsäuren und erniedrigte Ketonkörperkonzentration. Da im Rahmen einer Hypoglykämie durch einen KHI das Risiko außerordentlich hoch ist, einen bleibenden Hirnschaden mit z.B. psychomotorische Retardierung, Epilepsie und Mikrozephalie zu entwickeln, muss auch an eine erworbene retrocochleäre Hörstörung gedacht sowie die entsprechende Diagnostik und Therapie in die Wege geleitet werden. Dies sollte in die aktuelle Überarbeitung der AWMF-S1-Leitlinie einfließen.

Material und Methoden: Wir berichten über ein 2,8 Jahre altes Mädchen, das aufgrund einer nahezu ausbleibenden Sprachentwicklung zur pädaudiologsichen Diagnostik vorgestellt wurde. Nach der Geburt in der 37+2. SSW sei es zu einer beatmungspflichtigen Ateminsuffizienz mit Hypoglykämien und Krampfanfällen sowie einer perinatalen Niereneinblutung gekommen. Im Rahmen einer Gastroenteritis im Alter von 5 Monaten mit begleitender Sepsis erfolgte die Portimplantation. Aufgrund eines KHI (diffuse Form) erfolgte deshalb im Alter von 2 Jahren eine Pankreasschwanzresektion. Das Neugeborenen-Hörscreening sei zunächst aufgrund lauter Atemgeräusche im Rahmen der intensivpflichtigen Behandlung wiederholt auffällig gewesen, jedoch konnten im Alter von 10 Monaten in einer universitären pädaudiologischen Abteilung bds. TEOAE messgewiesen werden. Bei einer AABR waren aber bis 55 dB keine Potentiale nachweisbar. Eine weitere pädaudiologische Abklärung oder Therapie erfolgte zunächst nicht, da das Kind auf Ansprache reagierte.

Ergebnisse: In der weiterführenden pädaudiologischen Diagnostik bestätigte sich mittels Click- und Toneburst-BERA mit fehlenden AEP-Nachweis bis 95 dB bei nachweisbaren DPOAE sowie teilweise auch TEOAE bei gipfligen Tympanogrammen sowie anhand der variierenden deutlich besseren Freifeldreaktionen eine auditorische Synapto-/Neuropathie. Die Hörgeräteerstversorgung und Schwerhörigenfrühförderung sowie eine ambulante logopädische Therapie wurden eingeleitet. Ebenso erfolgte auch die Beratung zur Möglichkeit einer Versorgung mit einem Cochlea Implantat.


Text

Hintergrund

Ein kongenitaler Hyperinsulinismus (KHI), auch Persistierende kindliche Hyperinsulinämische Hypoglykämie (HHF) genannt, liegt mit einer Prävalenz von 1-9:100.000 (OMIM-Nummer: HHF-1: 256450; HHF-2: 601820; HHF-3: 602485) vor und ist mit 55% die häufigste Ursache für eine persistierende Hypoglykämien im 1. Lebensjahr.

Histologisch unterscheidet man 3 Formen: fokal, diffus und atypisch. Ein transienter KHI kann innerhalb von 8 Wochen spontan heilen [1].

In der molekulargenetischen Diagnostik mittels DNA-Sequenzierung nach Polymerase-Ketten-Reaktion konnten die häufigsten Ursachen schwerer neonataler Hyperinsulinismus mit diffuser ß-Zell-Hyperplasie gefunden werden. Bei 60 % liegt eine autosomal-rezessiv vererbte Mutation im Sulfonylharnstoff-Rezeptorgen (SUR1-Gen) oder im KIR6.2-Gen des ATP-sensitiven K+-Kanals der pankreatischen ß-Zelle auf Chromosom 11p15.1 (ABCC8 bei HHF 1 und KCNJ11 bei HHF-2) und eine autosomal-dominante Form auf Chromosom 7p15-13 (GCK bei HHF-3) vor. Die humangenetische Diagnostik erfolgt als Stufendiagnostik:

  • Stufe 1: ABCC8-Gen (Mutationsnachweis bei 45% der Betroffenen),
  • Stufe 2: KCNJ11-Gen (Mutationsnachweis bei 5% der Betroffenen) und
  • Stufe 3: GCK-Gen (Mutationsnachweis bei <1% der Betroffenen).

Etwa 5–10% der Fälle eines KHI werden verursacht durch aktivitätssteigernde (“gain of function”) Mutationen in den Genen HNF4A, GLUD1 und GCK, die häufig mit einer milden Verlaufsform einhergehen. Der Ausprägungsgrad der Erkrankung kann auch intrafamiliär variieren.

Mit KHI assoziierte Krankheitsbilder sind Hypoglykämien, benigne Fruktosurie, Fruktose-1,6-Biphosphatase-Mangel, Fanconi-Bickel-Syndrom (GLUT2-Defekt), sowie Galaktokinasemangel. Differentialdiagnostisch ist auch an weitere genetische Syndrome zu denken, wie z.B. Beckwith-Wiedemann, Sotos oder Usher.

Biochemische Leitsymptome bei Hyperinsulinismus sind die Hypoglykämie, eine erhöhte Insulinkonzentration sowie erniedrigte freie Fettsäuren und erniedrigte Ketonkörperkonzentration. Da im Rahmen einer Hypoglykämie durch einen KHI das Risiko außerordentlich hoch ist, einen bleibenden Hirnschaden mit z.B. psychomotorischer Retardierung, Epilepsie und Mikrozephalie zu entwickeln, muss auch an eine erworbene retrocochleäre Hörstörung gedacht sowie die entsprechende pädaudiologische Diagnostik und ggf. Therapie in die Wege geleitet werden. Dies sollte in die aktuelle Überarbeitung der AWMF-Leitlinie zu kongenitalem Hyperinsulinismus einfließen.

Material und Methoden

Case Report über ein 2,8 Jahre altes Mädchen, das bei Dreispracherwerb (Arabisch/Persisch/Deutsch) bisher nur 3 Worte sprach, aber auf Ansprache reagierte. Nach der Geburt in der 37+2. SSW sei es zu einer beatmungspflichtigen Ateminsuffizienz mit Hypoglykämien und Krampfanfällen sowie einer perinatalen Niereneinblutung gekommen. Im Rahmen einer Gastroenteritis im Alter von 5 Monaten mit begleitender Sepsis erfolgte die Portimplantation. Der Blutzuckerspiegel ließ sich bei dem Mädchen mit diffuser Form des KHI nur sehr schwer einstellen und es kam zu häufigen Komplikationen, so dass deshalb im Alter von 2 Jahren eine Pankreasschwanzresektion durchgeführt wurde.

Die Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung waren ansonsten aber altersgerecht: Sitzen: 8 Monate, Laufen: 11 Monate.

Das Neugeborenen-Hörscreening sei zunächst aufgrund lauter Atemgeräusche im Rahmen der intensivpflichtigen Behandlung wiederholt auffällig gewesen, jedoch seien im Alter von 10 Monaten in einer pädaudiologischen Abteilung einer Uniklinik die TEOAE bds. messbar gewesen. Bei einer AABR waren jedoch bis 55 dB keine Potentiale nachweisbar. Eine weitere pädaudiologische Abklärung erfolgte zunächst nicht, erst nach nahezu ausbleibender Sprachentwicklung wurde die Vorstellung in domo veranlasst.

In der Click- und Toneburst-BERA zeigten sich AEP nur bei wenigen Frequenzen (1 kHz links, 0,5 kHz rechts bei 95 dB), ansonsten waren keine AEP nachweisbar.

DPOAE waren nachweisbar bei 4/6 kHz rechts und 6 kHz links, TEOAE mit 43% rechts reproduzierbar, links nicht. Die Tympanogramme waren bds. gipflig. Die Freifeldreaktionen lagen bei 35–50 dB (in der Wiederholung bei 45–70 dB), auf Kinderlieder unsicher bei 55/60 dB. Im Alter von 2,09 Jahren erfolgte die Hörgeräteerstversorgung und Einleitung einer Schwerhörigenfrühförderung sowie einer ambulanten Logopädie. Die Hörgeräte wurden nach der Erprobung sehr gut akzeptiert, wenn auch die Reaktionen ohne Hörgeräte bei 50–100 dB und mit Hörgeräten (Phonak Sky V 50 SP bds.) bei 35–60 dB lagen. Es wurde eine Bildgebung in Narkose zur Evaluierung einer möglichen Versorgung mit einem Cochlea Implantat angeraten. Die Familie lehnte dies zunächst ab. Das Kind machte unter den eingeleiteten Fördermaßnahmen sprachliche Fortschritte und konnte innerhalb von 3 1/2 Monaten ca. 30 neue Wörter dazugewinnen. Beginnende Zweiwortkombinationen waren im Aufbau.

Das Kind wurde aufgrund des erhöhten Glukosebedarfs via nasogastraler Sonde zugefüttert und aß teilweise auch selbst, da eine PEG-Sonde von den Eltern abgelehnt wurde. Es erhielt einmal monatlich Lanreotid (Somatulin Autogel) sowie zweimal täglich Diazoxid 75 mg (K+-Kanal Agonisten).

Ergebnisse

In der weiterführenden pädaudiologischen Diagnostik bestätigte sich in unserem Fall eine auditorische Synapto-/Neuropathie, so dass die Hörgeräteerstversorgung und Schwerhörigenfrühförderung sowie eine ambulante logopädische Therapie eingeleitet werden konnten. Ebenso erfolgte auch die Beratung zur Möglichkeit einer Versorgung mit einem Cochlea Implantat. Inzwischen sind die Eltern mit der Durchführung einer Bildgebung einverstanden, wenn auch die Durchführung einer Narkose unter diesen Rahmenbedingungen nur erschwert möglich ist und das Mädchen intensivpflichtig überwacht werden muss.

Diskussion

Die Ausprägung eines KHI variiert zwischen schwersten Hypoglykämien im Neugeborenenalter, schwer einstellbaren Hypoglykämien bei Kindern und milden kindlichen Hypoglykämien, die schwer diagnostizierbar sind. Bei Neugeborenen können die Symptome unspezifisch sein, z.B. Krampfanfälle, Hypotonie, Fütterungsschwierigkeiten und Apnoen. Während in schweren Fällen die Diagnosestellung bei extrem niedrigen Blutglukosespiegeln leicht fällt, ist die in milden Fällen bei milden und phasenweisen Hypoglykämien schwieriger.

In der Literatur findet man kaum Publikationen zu Hörstörungen in Assoziation zu Hyperinsulinismus. Bitner-Glindzicz et al. [2] beschreibt drei Fälle aus konsanguinen Familien mit kindlichem Hyperinsulinismus und Taubeit, bei denen eine Usher Typ 1C-Mutation nachgewiesen werden konnte. Al Mutair et al. [3] beschreiben 15 Fälle von tauben Kindern konsanguiner Eltern aus Saudi-Arabien und Kuwait, die bis auf einen Fall eine nahezu totale Pakreasresektion erhielten. Bei 14 Kindern lag eine schwerwiegende Hörstörung ohne Nachweis von akustisch evoziereten Potentialen mittels BERA und ohne klinische Zeichen einer vestibulären Dysfunktion vor. Ein Kind verstarb frühzeitig vor BERA-Testung. Ein atypischer Fall mit milder Form des Hyperinsulinismus zeigte erst im Alter von 13 Jahren einen schweren Hörverlust und entwickelte zeitgleich eine Retinitis pigmentosa.

Fazit

Bei gesichertem KHI sind eine pädaudiologische Diagnostik sowie regelmäßige Kontrollen des Hörvermögens indiziert, um bei Indikation auch eine Therapie mittels Hörgeräte- oder Cochlea-Implantat-Versorgung zu ermöglichen. Eine ergänzende humangenetische Diagnostik des KHI sowie der damit assoziierten Syndrome wie z.B. Usher ist anzustreben.


Literatur

1.
Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ); Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) . S1-Leitlinie. Kongenitaler Hyperinsulinismus (KHI) - Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie. In Überarbeitung. AWMF; 2010.
2.
Bitner-Glindzicz M, Lindley KJ, Rutland P, Blaydon D, Smith VV, Milla PJ, Hussain K, Furth-Lavi J, Cosgrove KE, Shepherd RM, Barnes PD, O'Brien RE, Farndon PA, Sowden J, Liu XZ, Scanlan MJ, Malcolm S, Dunne MJ, Aynsley-Green A, Glaser B. A recessive contiguous gene deletion causing infantile hyperinsulinism, enteropathy and deafness identifies the Usher type 1C gene. Nat Genet. 2000 Sep;26(1):56-60.
3.
Al Mutair AN et al. Heterogeneity in phenotype of usher-congenital hyperinsulinism syndrome: hearing loss, retinitis pigmentosa, and hyperinsulinemic hypoglycemia ranging from severe to mild with conversion to diabetes. Diabetes Care. 2013 Mar;36(3):557-61. DOI: 10.2337/dc12-1174. Externer Link