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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Screening auf kongenitale Cytomegalovirus(cCMV)-Infektionen – Pros und Cons

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Emmanouela Dimitrakopoulou - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Khalid Shahada - Audiology and Balance Center, Hamad Medical Corporation, Doha, Katar
  • author Klaus Überla - Institut für Klinische und Molekulare Virologie, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Thomas Lücke - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Norbert Teig - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Stefan Dazert - HNO-Klinik, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Stefan Volkenstein - HNO-Klinik, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Hans-Joachim Trampisch - Abteilung für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Angela Nagel - Institut für Klinische und Molekulare Virologie, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Peter Kern - Frauenklinik, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Christoph Heyer - Praxis für Radiologie, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Dariusz Michna - Klinik für Neu- und Frühgeborene, Elisabeth-Krankenhaus Essen, Essen, Deutschland
  • author Stefan Niesert - Frauenklinik, Elisabeth-Krankenhaus Essen, Essen, Deutschland
  • author Katrin Neumann - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV28

doi: 10.3205/18dgpp38, urn:nbn:de:0183-18dgpp380

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Dimitrakopoulou et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Kongenitale Cytomegalovirus(cCMV)-Infektionen sind der häufigste nichtgenetische Grund für eine kindliche Hörstörung und führen bei 22%–65% der bei Geburt symptomatischen Kinder und bei 6%–23% der asymptomatisch Geborenen zu einer sofortigen oder späteren Hörstörung. In den Empfehlungen einer internationalen cCMV-Konsensusgruppe zur Prävention, Identifikation und Intervention bei cCMV Infektionen (Rawlinson et al. [1]) wird ein universelles Neugeborenen-cCMV-Screening mittels Real-time-Speichel-PCR favorisiert. Dieses in Qatar und Deutschland durchgeführte Projekt* untersucht die regionale Prävalenz von cCMV-Infektionen sowie Machbarkeit und Kosten-Nutzen-Relation eines solchen Screenings und ein Follow-up-Programm.

Material und Methoden: 10.388 Neugeborene (Deutschland: 6104, Qatar: 4284) erhielten ein cCMV-Screening durch eine Real-time-PCR von Flüssigspeichelproben. Bei Bestätigung einer Infektion wurden die Babys in ein 6-Jahres-Follow-up-Programm aufgenommen. In einer nationalen Konsensusgruppe wurde Für und Wider verschiedener cCMV-Screening-Programme diskutiert.

Ergebnisse: Die bis März 2018 durchgeführten cCMV-Screenings (Spezifität 99.8%, Sensitivität 100%) hatten Infektionen bei 20 Babys in Deutschland und 6 Babys in Qatar identifiziert, entsprechend einer Prävalenz von 0.3 bzw. 0.1%. Nur eines der initial asymptomatischen Kinder in Deutschland entwickelte Symptome innerhalb des ersten Lebensjahres. Ein weiteres war von Geburt an symptomatisch.

Diskussion: Die hohe Prävalenz kongenitaler CMV-Infektionen und ihre lebenslangen Folgen erfordern eine Aktion zur Einführung eines neonatalen cCMV-Screening-, Follow-up-, Präventions- und Interventionsprogramms.

Fazit: Ein universelles Neugeborenen-cCMV-Screening würde die Identifikation von asymptomatischen cCMV-infizierten Kindern und Kindern mit verdeckten Symptomen ermöglichen und eine zeitnahe antivirale oder symptomatische Behandlung, wenn Symptome auftreten. Ethische Aspekte wie eine Beunruhigung der Eltern asymptomatischer Kinder und der regionsabhängige, wahrscheinlich geringe Anteil an Kindern, die von asymptomatischen zum symptomatischen Status konvertieren, werden diskutiert. Ein nationaler Plan zum Management von cCMV Infektionen wird vorgeschlagen.

*Gefördert durch den Qatar National Research Fund, NPRP 7-1845-3-480


Text

Hintergrund

Kongenitale Cytomegalovirus(cCMV)-Infektionen sind der häufigste nichtgenetische Grund für eine kindliche Hörstörung und führen bei 22%–65% der bei Geburt symptomatischen Kinder und bei 6%–23% der asymptomatisch Geborenen zu einer sofortigen oder späteren Hörstörung [2]. cCMV Infektionen sind auch ein wichtiger Grund für Mikrozephalie, neurologische Entwicklungsverzögerungen, Anfallsleiden, Zerebralparese, motorische und geistige Behinderung, Epilepsie, Netzhautdefekten, besonders wenn die Infektion im ersten oder zweiten Trimester stattfindet [3], [4]. In den Empfehlungen einer internationalen cCMV-Konsensusgruppe zur Prävention, Identifikation und Intervention bei cCMV Infektionen [1] wird ein universelles Neugeborenen-cCMV-Screening mittels Real-time-Speichel-PCR favorisiert. Dieses in Qatar und Deutschland durchgeführte Projekt* untersucht die regionale Prävalenz von cCMV-Infektionen sowie Machbarkeit und Kosten-Nutzen-Relation eines solchen Screenings und ein Follow-up-Programm.

Material und Methoden

11.328 Neugeborene (Deutschland: 6.104, Qatar: 5.224) erhielten ein cCMV-Screening durch eine Real-time-PCR von Abstrichen der Wangenschleimhaut. Bei Bestätigung einer Infektion wurden die Babys in ein 6-Jahres-Follow-up-Programm aufgenommen, das phoniatrisch-pädaudiologische, radiologische, pädiatrische, opthalmologische, psychologische und Labor-Untersuchungen beinhaltet (Abbildung 1 [Abb. 1]). In einer nationalen Konsensusgruppe wurde Für und Wider verschiedener cCMV-Screening-Programme vs. kein Screening diskutiert.

Ergebnisse

Die bis Mai 2018 durchgeführten cCMV-Screenings (Spezifität 99.8%, Sensitivität 100%) hatten Infektionen bei 20 Babys in Deutschland und 12 Babys in Qatar identifiziert, entsprechend einer Prävalenz von 0.3 bzw. 0.2%. In Deutschland entwickelte eines der initial asymptomatischen Kinder eine progrediente Hörstörung und weitere Symptome innerhalb des ersten Lebensjahres (0,167 pro Tausend). Ein weiteres Kind war von Geburt an symptomatisch.

Diskussion

Sowohl die Prävalenzzahlen kongenitaler CMV-Infektionen (0,2-0,3 pro Tausend) als auch die der symptomatisch Geborenen (etwa 10% der mit cCMV-Infektion Geborener) und die der im Laufe des ersten Lebensjahrs Symptome entwickelnden Kinder (weitere 10%) aus unserer Studie liegen im für moderne Industrieländer erwarteten Bereich. Die hohe Prävalenz kongenitaler CMV-Infektionen und ihre lebenslangen Folgen erfordern neben präventiven Maßnahmen [1] eine Aktion ihrer systematischen Kontrolle. Voraussetzung dafür könnte die Einführung eines universellen neonatalen cCMV-Screening-, Follow-up-, Präventions- und Interventionsprogramms sein. Ethische Aspekte wie eine Beunruhigung der Eltern asymptomatischer Kinder – mehr als 75% bleiben voraussichtlich lebenslang asymptomatisch – und der relativ geringe Anteil an Kindern, die von asymptomatischen zum symptomatischen Status konvertieren, sprechen gegen ein universelles Screening. Risikoscreenings hingegen, z.B. solcher Kinder, die im Neugeborenen-Hörscreening auffällig werden und solcher Kinder, deren Mütter sich zuvor als CMV-seropositiv erwiesen hatten, erfassen nur einen gewissen Anteil der später symptomatisch werdenden Kindern oder sind mit einem hohen logistischen und finanziellen Aufwand verbunden.

Fazit

Ein universelles Neugeborenen-cCMV-Screening würde die Identifikation von asymptomatischen cCMV-infizierten Kindern und von Kindern mit verdeckten Symptomen ermöglichen und eine zeitnahe antivirale oder symptomatische Behandlung, wenn Symptome auftreten. Eine Abwägung der Für- und Wider-Argumente verschiedener Screening-Modelle oder eines Verzichts auf ein Screening auf nationaler Ebene und die Erstellung eines nationalen Plans zum Management kongenitaler CMV-Infektionen durch Experten aller einbezogener Fächer soll am Ende einer größeren geplanten Studie stehen, bei dem ein universelles einem Risikoscreening gegenüber gestellt werden soll.

*Gefördert durch den Qatar National Research Fund, NPRP 7 – 1845 – 3 – 480


Literatur

1.
Rawlinson WD, Boppana SB, Fowler KB, et al. Congenital cytomegalovirus infection in pregnancy and the neonate: consensus recommendations for prevention, diagnosis, and therapy. Lancet Infect Dis. 2017;7(6):e177-e188.
2.
Fowler KB, Boppana SB. Congenital cytomegalovirus (CMV) infection and hearing deficit. J Clin Virol. 2006;35:226-31.
3.
Buxmann H, Hamprecht K, Meyer-Wittkopf M, Friese K. Primary human cytomegalovirus (HCMV) infection in pregnancy. Dtsch Arztebl Int. 2017 Jan 27;114(4):45-52.
4.
Manicklal S, Emery VC, Lazzarotto T, Boppana SB, Gupta RK. The "silent" global burden of congenital cytomegalovirus. Clin Microbiol Rev. 2013 Jan;26(1):86-102.
5.
Ramirez Inscoe JM, Nikolopoulos TP. Cochlear implantation in children deafened by cytomegalovirus: speech perception and speech intelligibility outcomes. Otol Neurotol. 2004 Jul;25(4):479-82.