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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Internationale Befragung zu psychischen Gefährdungspotentialen bei berufstätigen Phoniatern und Pädaudiologen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV12

doi: 10.3205/18dgpp33, urn:nbn:de:0183-18dgpp338

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Matulat et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Erhebung von psychischen Gefährdungspotentialen ist integraler Bestandteil der Arbeitsschutzgesetze vieler europäischer Länder. Neben dem primären Ziel der Prävention wird auch ein Wettbewerbsvorteil in der Verminderung von psychischen Arbeitsbelastungen und deren Folgen gesehen. Die hier vorgestellte Untersuchung erfasste die psychischen Belastungen und -beanspruchungen von 195 der 410 eingeladenen international berufstätigen Ärztinnen und Ärzte mit einem phoniatrisch-pädaudiologischen Tätigkeitsschwerpunkt (Rücklaufquote: 47,6%). Einbezogen wurden alle nicht deutschsprachigen Mitglieder der Union Europäischer Phoniater (UEP) sowie alle recherchierten deutschsprachigen Phoniater und Pädaudiologen, unabhängig, ob sie niedergelassen oder in in anderen Organisationsformen tätig waren.

Material und Methoden: Die anonyme Befragung erfolgte mittels einer Onlineversion des Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ in der deutschen Standardversion) in englischer und deutscher Sprache. Der COPSOQ ist ein international validiertes Verfahren, welches die Anforderungen an die Messqualität als Screening-Instrument im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung (DIN EN ISO 10075-3) erfüllt.

In 26 Skalen mit 87 Items wurden primär quantitative und emotionale berufliche Anforderungen, Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten und das Erleben von sozialen Beziehungen und Führung in der Arbeitssituation erfragt sowie Folgen dieser Belastungen (z.B. auf die Arbeitszufriedenheit, die Lebenszufriedenheit und auf die Gesundheit sowie bzgl. kognitiver Stresssymptome) erhoben.

Berufsspezifische Belastungs- und Beanspruchungswerte wurden mit denen anderer deutscher Facharztgruppen verglichen. Mittels multivariater Analysen gefundene Unterschiede zwischen Untergruppen von Phoniatern und Pädaudiologen (z.B. nach Geschlecht, Position, Alter, Tätigkeitsschwerpunkt, Organisationsform, Kontinent) werden präsentiert.

Ergebnisse: Im Vergleich erleben Phoniater und Pädaudiologen eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, ein vertrauensvolles und gerechtes Arbeitsumfeld, eine bessere Vorhersagbarkeit der Arbeitsabläufe, mehr Einfluss auf die Arbeit und insgesamt eine höhere Arbeitszufriedenheit. Dies gilt vor allem für ältere Ärzte und Ärztinnen, welche selbständig in einer Praxis in Vollzeit und in leitender Funktion arbeiten.


Text

Hintergründe

Bei der Beurteilung von Arbeitsbedingungen kommt der Erhebung von psychischen Gefährdungspotentialen eine große Bedeutung zu (§5 Absatz 3 Nummer 6 ArbSchG) [1]. Sie ist integraler Bestandteil der Arbeitsschutzgesetze vieler europäischer Länder. Neben dem primären Ziel der Prävention wird auch ein Wettbewerbsvorteil in der Verminderung von psychischen Arbeitsbelastungen und deren Folgen gesehen. Die hier vorgestellte Untersuchung erfasst die psychischen Belastungen und -beanspruchungen von international berufstätigen Ärztinnen und Ärzten mit einem phoniatrisch-pädaudiologischen Tätigkeitsschwerpunkt und vergleicht diese mit veröffentlichten Referenzwerten von deutschen Ärztinnen und Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen sowie für alle Berufe. Vergleiche von Subgruppen der Antwortenden gehen der Frage nach, ob psychosoziale Beanspruchungen und Belastungen abhängig vom Geschlecht, dem Alter, der Funktion und der Art der Arbeitsorganisation unterschiedlich erlebt werden.

Methode

Die anonyme Messung psychosozialer Faktoren am Arbeitsplatz und die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen erfolgte mittels einer Onlineversion der deutschen Standardversion des Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) [2], [3] in den Sprachen Deutsch und Englisch unter Verwendung der freien Umfrage-Software LimeSurvey [4].

Der COPSOQ ist ein validiertes Verfahren, welches die Anforderungen an die Messqualität als Screening-Instrument im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach DIN EN ISO 10075-3 [5] erfüllt.

In 26 Skalen mit 87 Items wurden primär quantitative und emotionale berufliche Anforderungen, Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten und das Erleben von sozialen Beziehungen und Führung in der Arbeitssituation erfragt sowie Folgen dieser Belastungen (z.B. auf die Arbeitszufriedenheit, die Lebenszufriedenheit und auf die Gesundheit sowie bzgl. kognitiver Stresssymptome) erhoben.

Sowohl niedergelassene wie auch in anderen Organisationsformen tätige Ärztinnen und Ärzte wurden einbezogen. Insgesamt 410 berufstätige deutschsprachige Phoniater und Pädaudiologen und nicht deutschsprachige Mitglieder der Union of the European Phoniatricians (UEP) aus 4 Kontinenten wurden in zwei Befragungen Anfang 2017 und 2018 per Email eingeladen und es wurden bis zu 5 Erinnerungen verschickt.

Die Auswertung der exportierten Antworten erfolgte gemäß der publizierten Auswertungs- und Bewertungshinweise [3], [6], [7] und unter Nutzung der durch die Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften GmbH (FFAW) veröffentlichten Referenzwerte aus der COPSOQ-Datenbank für die Gruppe der Ärzte aus dem Jahr 2016 [6]. Subgruppenunterschiede wurden mittels multivariater Varianzanalysen geprüft.

Ergebnisse

195 Personen nahmen an der Befragung teil. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 47,6%. 110 (56,4%) der berücksichtigten Antworten entstammen der Untersuchung deutschsprachiger Phoniater und Pädaudiologen aus dem Jahr 2017 und 43,6% (N=85) der Erhebung nicht deutschsprachiger berufstätiger Phoniater und Pädaudiologen aus dem Jahr 2018. 84,0% (163) der Befragten arbeiten in Europa, 16% (31) in Afrika, Asien und Amerika (N=194).

113 waren weiblich (58,2%) und 81 (41,8%) männlich und 71,8% (N=140) gehörten überwiegend der Altersgruppe ab 45 Jahre an, während 28,2% jünger als 45 Jahre waren. 79,0% (N=154) der Antwortenden waren in Vollzeit beschäftigt.

Fachärzte mit leitender Funktion und niedergelassene selbständige Fachärzte stellten mit 68,6% (N=129) den größten Anteil der auf der auf die Frage nach der beruflichen Position Antwortenden (N=188), während Fachärzte ohne leitende Funktion und Assistenzärzte auf einen Anteil von 31,4% (N=59) kamen.

Die überwiegende Anzahl arbeitete in einem Krankenhaus (72,3%/N=133). 88 (45,4%) übten eine selbständige Tätigkeit aus, 106 (54,6%) waren Teil einer Organisation. Primäre Arbeitsschwerpunkte waren die Phoniatrie mit 81 Nennungen, gefolgt von der Pädaudiologie mit 48 Nennungen.

Die Beanspruchungen und Belastungen von Phoniater und Pädaudiologen im Vergleich zu den Referenzwerten für alle Ärzte und zum Mittelwert aller Berufsgruppen werden in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt.

In Europa Tätige erleben höhere emotionale Anforderungen (p=0,05), eine höhere Bedeutung und Verbundenheit mit ihrer Arbeit (p=0,01) sowie eine insgesamt höhere Lebenszufriedenheit (p=0,02). Ältere Phoniater und Pädaudiologen bekunden einen höheren Einfluss auf die Arbeit (p=0,01) und mehr Entscheidungsspielraum (p=0,03). Teilzeitbeschäftigte bemängeln häufiger eine geringere Vorhersehbarkeit in ihrer Tätigleit (p=0,05), schätzen die Qualität der Führung schlechter ein (p=0,03) und fühlen sich weniger verbunden mit der Arbeitsstelle (p=0,05). Im Krankenhaus Beschäftigte klagen vermehrt über eine schlechtere Vorhersehbarkeit (p=0,02), weniger Einfluss auf die Arbeit (p=0,01) und größere Anforderungen beim Verbergen von Gefühlen (p=0,01). Selbständige sind weniger Burnout gefährdet (p=0,05) und zeigen weniger Symptome kognitiven Stresses (p=0,02). Primär phoniatrisch tätige Ärztinnen und Ärzte haben mehr Probleme mit dem Verbergen von Emotionen (p=0,02), während Pädaudiologen einen höheren kognitiven Stress erleben (p=0,05). Frauen beschrieben ihren allgemeinen Gesundheitszustand signifikant schlechter als Männer (p=0,02).

Diskussion

Im Vergleich erleben Phoniater und Pädaudiologen eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, ein vertrauensvolles und gerechtes Arbeitsumfeld, eine bessere Vorhersagbarkeit der Arbeitsabläufe, mehr Einfluss auf die Arbeit und insgesamt eine höhere Arbeitszufriedenheit. Dies gilt vor allem für ältere Ärzte und Ärztinnen, welche selbständig in einer Praxis in Vollzeit und in leitender Funktion arbeiten.

Die Rekrutierung von fachärztlichem Nachwuchs ist in vielen Bereichen heute schon angespannt und kompetitiv. In den nächsten Jahren wird eine deutliche Verschärfung des Problems erwartet. Zahlenmäßig kleine Facharztgruppen werden davon deutlich betroffen sein [8].

Die Untersuchung zeigt, dass die Phoniatrie und Pädaudiologie – zumindest für die erlebten psychischen Beanspruchungen und Belastungen bei der Arbeit – hier einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Facharztgruppen für sich reklamieren kann.


Literatur

1.
Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt durch Artikel 427 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist. Online verfügbar unter; https://www.bgbau-medien.de/gv/arbschg/titel.htm Externer Link
2.
Richter G: Toolbox Version 1.2 - Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen. 1. Auflage Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; 2010.
3.
Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F. Methoden zur Erfassung psychischer Belastungen - Erprobung eines Messinstrumentes (COPSOQ). Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW; 2005. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; Fb 1058). Online verfügbar unter: http://www.copsoq.de. Externer Link
4.
LimeSurvey. An Open Source survey tool. Hamburg: LimeSurvey GmbH; 2017. Online verfügbar unter: http://www.limesurvey.org Externer Link
5.
Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung - Teil 3: Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastung (ISO 10075-3:2004); Deutsche Fassung EN ISO 10075-3:2004
6.
Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften GmbH (FFAW). Bericht zur Auswertung des COPSOQ Fragebogens, UKGM, Folien zur Betriebsversammlung in Marburg am Mittwoch den 27.04.2016.
7.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Neulich in Köln beim COPSOQ-Auswertungsworkshop. Info – Stadtverband Bonn, Kreisverbände Euskirchen & Rhein-Sieg. Online verfügbar unter: http://www.gew-bonn.de Externer Link
8.
Kassenärztliche Bundesvereinigung. Deutschlandweite Projektion 2030 – Arztzahlentwicklung in Deutschland. Pressekonferenz. 5. Oktober 2016, Berlin. Online verfügbar unter: http://www.kbv.de/media/sp/2016_10_05_Projektion_2030_Arztzahlentwicklung.pdf Externer Link