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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Third-Party Disability und ihre Bedeutung in der Hörrehabilitation

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Lisa Harbert - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Lisa Götze - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Uniklinik Halle, Halle, Deutschland
  • author Astrid Marek - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Jan Peter Thomas - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Stefan Dazert - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author presenting/speaker Christiane Völter - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocP11

doi: 10.3205/18dgpp21, urn:nbn:de:0183-18dgpp217

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Harbert et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Schwerhörigkeit bedeutet nicht nur für Betroffene, sondern auch für deren Angehörige eine Einschränkung im Alltag.

Die vorliegende Studie soll die Auswirkungen der Hörbeeinträchtigung auf die Lebensqualität beider Partner und die Veränderung durch eine hörverbessernde Therapie untersuchen.

Material und Methoden: Verschiedene Fragebögen wurden präoperativ sowie 6 Monate postoperativ eingesetzt: der SOS-HEAR Fragebogen, eine auch für Angehörige angepasste Version des Nijmegen-Questionnaire und der Brief-COPE Fragebogen.

Bislang eingeschlossen wurden 32 beidseitig postlingual Schwerhörige (12 Männer/20 Frauen) im Alter von 70.5 Jahren (Median) und ihre Angehörigen (12 Männer/20 Frauen) mit 62.0 Jahren (Median). In 24 Fällen handelte es sich um die (Ehe)partner, in 8 Fällen um Kinder oder enge Freunde. 3 Angehörige waren selbst mit Hörgeräten versorgt, 13 hatten eine gering- bis mittelgradige Hörstörung ohne Versorgung mit hörverbessernden Maßnahmen, 16 waren normalhörend.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse zeigen, dass die Einschätzung der Hörsituation durch den Nijmegen-Questionnaire bei den Patienten v. a. präoperativ besser ausfällt als bei den Angehörigen (präoperativ 47,27 Punkte (n=29) vs. 40,09 (n=31); p=0,007; postoperativ 63,66 Punkte (n=18) vs. 60,80 (n=18); p=0,719). Sowohl prä- als auch postoperativ schätzten weibliche Angehörige die Hörsituation des Patienten schlechter ein als männliche Angehörige (36,97 vs. 45,42 Punkte präoperativ; 56,01 vs. 73,79 Punkte postoperativ).

Durch eine Hörrehabilitation wird die Belastung der Angehörigen, gemessen am SOS-HEAR-Score, von präoperativ 1,30 Punkten (n=31) auf postoperativ 0,53 Punkte (n=19) signifikant reduziert (p=0,01). Weibliche Angehörige sind durchschnittlich stärker belastet als männliche (1,47 vs. 1,07 Punkte). Sonstige Angehörige (z.B. Kinder) schätzen die Hörsituation präoperativ signifikant schlechter ein als (Ehe)partner (p=0,04) und sind stärker belastet gemessen am SOS-HEAR (p=0,01), nehmen aber eine größere Verbesserung postoperativ wahr. Besonders die Angehörigen, die die Hörsituation im Nijmegen-Questionnaire präoperativ besonders schlecht einschätzten (weniger als 50 Punkte, Mittelwert), zeigten auch eine signifikant höhere Belastung im SOS-HEAR mit 1,53 Punkten (Median;p=0,02). Dabei wenden Patienten und Angehörige gemessen am Brief-COPE Fragebogen ähnliche Strategien an, um mit der Hörstörung umzugehen.

Fazit: Die vorliegende Studie zeigt, dass der Betreuung der Angehörigen im Rahmen der Hörrehabilitation eine wichtige Rolle zukommt.


Text

Hintergrund

Schwerhörigkeit bedeutet häufig nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die nahestehenden Angehörigen eine Einschränkung im Alltag. Die vorliegende prospektive klinische Studie soll die Auswirkungen einer hochgradigen Hörbeeinträchtigung auf die Lebensqualität beider Partner und die Veränderung im Verlauf einer hörverbessernden Therapie untersuchen.

Material und Methoden

Bislang eingeschlossen werden konnten 35 beidseitig postlingual Schwerhörige (12 Männer/23 Frauen) im Alter von 69 Jahren (Mittelwert) sowie ihre nahestehenden Angehörigen (14 Männer/ 21 Frauen) mit 61 Jahren im Mittel. In 26 Fällen handelte es sich um die (Ehe)Partner, in 9 Fällen um Kinder oder enge Freunde. Drei Angehörige waren selbst mit Hörgeräten versorgt, 13 Angehörige hatten eine gering- bis mittelgradige Hörstörung ohne Versorgung mit hörverbessernden Maßnahmen, 19 waren normalhörend.

Folgende Fragebögen kamen präoperativ sowie 6 Monate postoperativ zum Einsatz: eine deutschsprachige Version des SOS-HEAR für die subjektive Belastung der Angehörigen, der Nijmegen-Questionnaire für den Betroffenen und eine an die Angehörigen adaptierte Version zur Einschätzung der alltäglichen Einschränkungen bezogen auf die Hörstörung, der Perceived Stress Questionnaire (PSQ) zur subjektiven Stressempfindung, der Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ) und der Brief-COPE Fragebogen für Bewältigungsstrategien.

Ergebnisse

Erste Ergebnisse zeigen, dass die Einschätzung der Hörsituation durch den Nijmegen-Questionnaire bezogen auf die Mittelwerte (MW) bei den Patienten vor allem präoperativ signifikant (p=0,04) besser ausfällt als bei den Angehörigen (50,43 Punkte präoperativ (N=32) sowie 66,86 Punkte postoperativ (N=25) bei den Patienten versus 41,67 Punkte präoperativ (N=34) und 65,09 Punkte postoperativ (N=22) bei den Partnern). Vor allem die Gruppe der unter 60-jährigen Patienten schätzt die eigene Hörleistung präoperativ als überdurchschnittlich gut ein, verbessert sich durch die Therapie aber im Vergleich weniger (58,74 Punkte präoperativ sowie 66,96 Punkte postoperativ, MW) als die Gruppe der über 60-jährigen (48,11 Punkte präoperativ und 66,84 Punkte postoperativ, MW). Sowohl prä- als auch postoperativ schätzten weibliche Angehörige die Hörsituation des Patienten schlechter ein als die männlichen Angehörigen (38,48 versus 46,83 Punkte präoperativ und 62,42 versus 69,77 Punkte postoperativ, MW). Durch eine Hörrehabilitation wird die Belastung der Angehörigen gemessen am SOS-HEAR-Score von präoperativ 1,35 Punkten im Mittel (N=35) auf postoperativ 0,58 Punkte (N=23) statistisch signifikant (p=0,000) reduziert. Weibliche Angehörige sind präoperativ durchschnittlich stärker belastet als männliche (1,56 Punkte versus 1,04 Punkte, MW). Sonstige Angehörige (z.B. Kinder) schätzen die Hörsituation präoperativ schlechter ein als Ehepartner/Lebensgefährten (44,90 versus 32,69, MW) und fühlen sich stärker belastet gemessen am SOS-HEAR (1,81 versus 1,20 präoperativ, MW), nehmen aber eine größere Verbesserung nach einer solchen Operation wahr (0,64 versus 0,56 Punkte postoperativ, MW). Auch das Stresslevel gemessen am PSQ-Fragebogen ist bei sonstigen Angehörigen präoperativ höher als bei den (Ehe)Partnern (39,26 Punkte versus 27,19 Punkte präoperativ und 24,67 Punkte versus 24,79 Punkte postoperativ, MW) und bei Frauen höher als bei Männern (34,17 versus 25,90 Punkte präoperativ und 24,62 versus 25,00 Punkte postoperativ, MW). Außerdem zeigte sich eine negative Korrelation nach Pearson zwischen den Ergebnissen aus dem Nijmegen-Questionnaire und dem SOS-HEAR (K=-0,627). Diese Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 signifikant. Dabei wenden die Patienten und Angehörigen gemessen am Brief-COPE Fragebogen ähnliche Strategien an, um mit der Hörstörung umzugehen. Insgesamt ist die allgemeine Lebenszufriedenheit sowohl von Patienten als auch den Angehörigen relativ hoch und verbessert sich durch die hörverbessernde Therapie nur leicht (5,71 versus 5,89 Punkte präoperativ und 6,10 versus 6,12 Punkte postoperativ, MW).

Diskussion

Da es sich um eine laufende prospektive Studie handelt, liegen die endgültigen Daten noch nicht vor. Allerdings decken sich die bisherigen Ergebnisse mit den Erkenntnissen aus der Literatur insofern, dass die Partner [1], [2], [3] und erwachsenen Kinder [4] von hörbeeinträchtigten Patienten aufgrund der Hörstörung einer größeren Belastung ausgesetzt sind, die sich im Sinne einer „third-party disability“ manifestieren kann. Die vorliegende Studie zeigt, dass die Angehörigen die Einschränkungen und Belastung durch die Hörstörung oft sogar stärker wahrnehmen, als die Patienten selbst. Auch der positive Effekt einer hörverbessernden Therapie im Hinblick auf die Belastung der Angehörigen konnte bestätigt werden [5]. Angehörige, die die Hörsituation präoperativ als besonders schlecht einschätzten, zeigten auch eine deutlich höhere Belastung. Dagegen fand sich in den Parametern, die der FLZ abfragt, keine nennenswerte Verbesserung. Bereits präoperativ empfanden die Probanden eine relativ hohe allgemeine Lebenszufriedenheit. Demgegenüber verminderte sich der Stresslevel gemessen am PSQ-Fragebogen jedoch im Laufe der Therapie.

Insgesamt leiden Frauen mehr unter der Hörstörung als Männer sowie Kinder und andere Angehörige mehr als (Ehe)Partner.

Das Vorhandensein einer Hörstörung bei den Angehörigen selbst hatte hingegen keinen Einfluss auf die Einschätzung der Lebensqualität und das Ausmaß der Beeinträchtigung. Insgesamt nutzten Patienten und Angehörige ähnliche Coping-Strategien, von denen problemlösungsorientierte Strategien am häufigsten angegeben wurden [6].

Fazit

Die vorliegende Studie zeigt, dass die Betreuung der nächsten Angehörigen im Rahmen der Hörrehabilitation eine wichtige Rolle einnehmen sollte. Durch spezielle Übungsprogramme, die auch die Angehörigen miteinbeziehen, könnte längerfristig der Erfolg der Hörrehabilitation verbessert werden.


Literatur

1.
Scarinci N. Factors Associated With Third-Party Disability in Spouses of Older People With Hearing Impairment. Ear Hear. 2012;33(6):698-708
2.
Scarinci N. The effect of hearing impairment in older people on the spouse: Development and psychometric testing of The Significant Other Scale for Hearing Disability (SOS-HEAR). Int J Audiol. 2009;48(10):671-83.
3.
Scarinci N. The effect of hearing impairment in older people on the spouse. Int J Audiol. 2008;47(3):141-51.
4.
Knussen C. Family caregivers of older relatives: Ways of coping and change in distress. Psychology, Health & Medicine. 2008;13(3):274–90.
5.
Chen S. Assessment of the psychosocial impacts of cochlear implants on adult recipients and their partners. Cochlear Implants Int. 2016;17(2):90-97.
6.
Lazzarotto S. Age-related hearing loss in individuals and their caregivers: effects of coping on the quality of life among the dyads. Patient Prefer Adherence. 2016;10:2279-2287