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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Komplexitätsreduktion zur Verbesserung des Musikgenusses bei CI Trägern

Poster

  • author presenting/speaker Kirsten Oberländer - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, St. Elisabeth Hospital, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Johannes Gauer - Institut für Kommunikationsakustik, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Anil Nagathil - Institut für Kommunikationsakustik, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Rainer Martin - Institut für Kommunikationsakustik, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Jan Peter Thomas - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, St. Elisabeth Hospital, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
  • corresponding author Christiane Völter - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, St. Elisabeth Hospital, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocP9

doi: 10.3205/18dgpp19, urn:nbn:de:0183-18dgpp196

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Oberländer et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Musikhören wird von postlingual ertaubten Patienten mit einem Cochlea-Implantat (CI) im allgemeinen als wenig angenehm empfunden. Ursache hierfür ist, dass durch die elektrische Stimulation mittels eines Cochlea-Implantates die spektrale Auflösung längs der Basilarmembran begrenzt ist und dadurch die hohe spektrale Komplexität klassischer Musik nicht in geeigneter Form abgebildet werden kann. Basierend auf einer vorangegangenen Arbeit zur Vereinfachung von Musiksignalen für CI Patienten, gingen wir in einer weiterführenden Studie der Frage nach, ob durch eine gezielte Ausdünnung der elektrischen Anregung das Musikhören für den CI-Patienten verbessert werden und er sukzessive an eine höhere Musikkomplexität herangeführt werden kann.

Material und Methoden: Hierzu wurden 10 erwachsenen, postlingual ertaubten CI-Patienten in insgesamt 8 Sitzungen 16 verschiedene klassische Musikstücke in 10 Komplexitätsstufen (Stufe 1 = Original; Stufe 10 = stärkste Vereinfachung) vorgespielt und die als am angenehmsten empfundene Komplexitätsstufe ausgewählt. Daneben erfolgte eine Erfassung der Musikerfahrung und der Musikalität mit dem Münchner Musikfragebogen und mit dem Mini-PROMS. In einem zweiten Schritt setzten sich die Teilnehmer zu Hause täglich für 3-4 Wochen intensiv mit komplexitätsreduzierten Musikstücken unter Anleitung durch ein Hausaufgabenheft auseinander. Anschließend erfolgte erneut eine Evaluierung der Komplexitätsstufen sowie der Musikalität.

Ergebnisse: Insgesamt wurde eine Komplexitätsstufe von 6.5 im Median ausgewählt und zwar unabhängig vom gewählten Musikstück. Dabei fanden wir keine Übereinstimmung zwischen der musikalischen Kompetenz gemessen am Mini-PROMS und der gewählten Komplexitätsstufe. Auch nach dem intensiven Musikhören änderte sich die Vorliebe der Studienteilnehmer nicht, in der Komplexität reduzierte Stücke zu bevorzugen (Median: 8). Demgegenüber wurden jedoch nach dem Training einzelne Klangparameter wie u.a. Natürlichkeit, Harmonie, Klangvolumen und Hall tendenziell positiver bewertet.

Diskussion: Patienten mit einem CI scheinen Musik mit geringerer Komplexität zu bevorzugen. Ob ein längeres Training diese an das Original heranführen kann, kann derzeit nicht beantwortet werden. Möglicherweise könnten jedoch neue Signalverarbeitungsalgorithmen auf der Basis der gewonnenen Ergebnisse in Zukunft in der CI-Technologie eingesetzt werden.


Text

Hintergrund

Musikhören wird von postlingual ertaubten Cochlea-Implantat-Trägern (CI-Trägern) oft als wenig angenehm empfunden. Ursache hierfür ist die begrenzte spektrale Auflösung aufgrund der geringen Anzahl von Elektroden im CI [1], [2]. Ein gezieltes analytisches Training kann zwar zu einer verbesserten Differenzierungsfähigkeit von Tonhöhen und Klangfarben [3], [4], [5], jedoch nicht zwangsläufig zu einem vermehrten Gefallen an Musik beitragen [6]. Aufbauend auf vorangegangenen Arbeiten zur Komplexitätsreduktion von Musik für CI-Nutzer [7], [8] sind wir in einer weiterführenden Studie der Frage nachgegangen, ob durch eine gezielte Ausdünnung der elektrischen Anregung der Musikgenuss und das Klangempfinden für den CI-Patienten gesteigert werden kann.

Material und Methode

Eingeschlossen wurden 10 erwachsene (w=7, m=3), postlingual ertaubte, ein- (n=8) bzw. beidseitig (n=2) CI-versorgte Patienten (Alter: 47-79 Jahre (MW 65,9)) mit einer Hörerfahrung von mindestens 6 Monaten und einem Sprachverstehen mit CI im Freifeld von 70 % (im Mittel) bei 65 dB gemessen am Freiburger Einsilber-Test.

Prä- und postinterventionell erfolgte die Darbietung von insgesamt 16 klassischen Musikstücken im Original sowie in spektral vereinfachten Versionen über das Audiokabel auf den Sprachprozessor in 10 Komplexitätsstufen (Stufe 1 = Original; Stufe 10 = stärkste Vereinfachung). In 8 Sitzungen in einem Zeitraum von etwa 4 Wochen wurde die jeweils am angenehmsten empfundene Komplexitätsstufe für jeweils 4 Stücke evaluiert. Während der 4-wöchigen Trainingsphase setzten sich die Teilnehmer zu Hause täglich für ca. 20 Minuten mit den vier komplexitätsreduzierten klassischen Musikstücken auseinander. Hierzu sollten diese Fragen zu den Themenbereichen Klangempfinden, Charakter, Tempo und eingesetzte Instrumente in einem speziell entwickelten Fragebogen beantworten. Zusätzlich wurde bei jedem Teilnehmer die Musikerfahrung mit dem Münchner Musikfragebogen und die musikalische Kompetenz mit dem Mini-PROMS (Profile of Music Perception Skills, computergestützter Test zur Einschätzung von Melodie, Tempo, Akzent und Klang) [9] erfasst.

Ergebnisse

9 von 10 Probanden gaben an, vor Eintritt der Hörstörung oft und lange Musik gehört zu haben. Außer bei zwei der Probanden ließ dies nach Eintritt der Hörminderung und nach der Implantation nach. Im Mini-PROMS erzielten alle 10 Probanden ein „durchschnittliches“ (n=6) oder „gutes“ (n=4) Ergebnis. Die besten Ergebnisse wurden im Bereich der Wahrnehmung des Tempos, schlechtere Ergebnisse beim Erkennen von Melodien erzielt. Nach dem Training fand sich in der Gesamtbewertung keine signifikante Verbesserung.

Die Beurteilung der Klangeigenschaften von Musik im Allgemeinen auf einer analogen Skala im Münchner Musikfragebogen wies kaum intraindividuelle, aber deutliche interindividuelle Unterschiede auf: so in Bezug auf die Parameter „Natürlichkeit“ (Spanne: 1-9, Median: 5,5), „angenehm“ (Spanne: 1-8, Median: 6), „deutlich“ (Spanne: 1-8, Median: 4), „blechern“ (Spanne: 1-10, Median: 5) und „hallig“ (Spanne: 1-10, Median: 5). Nach dem Training wurden einige Klangeigenschaften tendenziell positiver bewertet. Am ausgeprägtesten war dies im Bereich „hallig“ (Median: 5 versus 7). Keine Unterschiede fanden sich in Bezug auf die Bewertung der Faktoren „angenehm“ und „deutlich“. Demgegenüber wurde die „Natürlichkeit“ nach dem Training geringfügig schlechter eingeschätzt (Median: 5,5 versus 5).

Bei der Auswahl der Komplexitätsstufen zeigten sich zwar inter- und intraindividuelle Unterschiede, dennoch bevorzugten die Probanden insgesamt über alle verwendeten Musikstücke eher eine niedrige Komplexität (Median: 8). Nach einem zweimaligen Anhören des gleichen Stückes fand sich ebenfalls keine Tendenz zur Bevorzugung eines höheren Komplexitätsgrades (Median 8 vs. Median 8). Auch bei den Musikstücken des Vor- und des Nachtestes ließ sich keine nennenswerte Veränderung beobachten (Median 6,5 und Median 8). Demgegenüber wurden nach dem Hörtraining die einzelnen Klangparameter (Harmonie, Natürlichkeit, Deutlichkeit, blechern, hallig, Klangvolumen, Gefallen) bei Stücken, die in zwei Übungsphasen gehört wurden, tendenziell positiver bewertet. Es fand sich allerdings kein Zusammenhang zwischen der musikalischen Kompetenz gemessen am Mini-PROMS und der gewählten Komplexitätsstufe.

Diskussion

Die vorliegende Studie zeigt, dass ein Großteil der CI-Träger insgesamt eine niedrigere musikalische Komplexität beim Hören klassischer Musik bevorzugt; so werden bis auf die Wahrnehmung der Natürlichkeit alle anderen Aspekte durch eine spektral vereinfachte Darbietung der Musik positiver beurteilt. Ein 4-wöchiges Training änderte die Wahl der Komplexitätsstufe nicht. Ob ein längeres Training mit spektral vereinfachter Musik die Patienten stärker an das Original heranführen kann, kann derzeit noch nicht beurteilt werden.

Schlussfolgerung

Neben einer aktiven intensiven Auseinandersetzung mit Musik kann eine Weiterentwicklung der Signalvorverarbeitung eine potenzielle Möglichkeit darstellen, um den Musikgenuss für CI-Träger in Zukunft zu verbessern.


Literatur

1.
Limb CJ, Roy AT. Technological, biological, and acoustical constraints to music perception in cochlear implant users. Hear Res. 2014; 308:13-26.
2.
Gfeller K, Guthe E, Driscoll V, Brown CJ. A preliminary report of music-based training for adult cochlear implant users: Rationales and development. Cochlear Implants International. 2015;16(Suppl 3):S22-S31.
3.
Vandali A, Sly D, Cowan R, van Hoesel R. Training of cochlear implant users to improve pitch perception in the presence of competing place cues. Ear and Hearing. 2015;36(2):e1-e13.
4.
Galvin JJ 3rd, Fu QJ, Shannon RV. Melodic contour identification and music perception by cochlear implant users. Ann N Y Acad Sci. 2009 Jul;1169:518-33.
5.
Smith L, Bartel L, Joglekar S, Chen J. Musical Rehabilitation in Adult Cochlear Implant Recipients with a Self-administered Software. Otology and Neurotology. 2017 Sep; 38(8):e262-e267.
6.
Looi V, Gfeller K, Driscoll V. Music appreciation and training for cochlear implant recipients: A review. Semin Hear. 2012; 33(4):307-34.
7.
Nagathil A, Weihs C, Neumann K, Martin R. Spectral Complexity Reduction of Music Signals Based on Frequency-domain Reduced-rank Approximations: An Evaluation with Cochlear Implant Listeners. J Acous Soc Am (JASA). 2017;142(3):1219-28
8.
Nagathil A, Weihs C, Martin R. Spectral Complexity Reduction of Music Signals for Mitigating Effects of Cochlear Hearing Loss. IEEE/ACM Trans. Audio, Speech, and Language Processing. 2016; 24(3):445-458
9.
Zentner M, Strauss H. Assessing Musical Ability Quickly and Objectively: Development and Validation of the Short‐PROMS and the Mini‐PROMS. Annals of the New York Academy of Sciences. 2017 Jul;1400 (1):33-45